Ein gut bewahrtes Geheimnis
Unterhalb des Friedhofes von Alte liegt eine kleine Oase, die weitgehend unbekannt ist, obwohl sie gleich am westlichen Ortseingang ausgeschildert ist. „Oxalá continue assim“, möge sie weiterhin so bleiben, also unbekannt und traumhaft schön
Seit nunmehr 27 Jahren lebe ich in der Algarve und seit fast 11 Jahren bin ich stets für ESA auf Entdeckungsreise. Ich meine behaupten zu können, dass ich mich in der Region gut auskenne. Dennoch war mir dieses kleine Paradies auf Erden namens Queda do Vigário völlig unbekannt. In den meisten Algarve-Reiseführern werden der Wasserfall und die kleine Lagune nicht erwähnt und wenn, dann lediglich mit ein oder zwei Zeilen. Der Wasserfall Pego do Inferno bei Tavira wird hingegen in allen Reiseführern ausführlich beschrieben. Dabei ist der Wasserfall bei Alte viel schöner, leichter zugänglich und bietet eine hervorragende Grünfläche. Hinter dem Friedhof von Alte führt am westlichen Hang ein breiter Weg hinab ins Tal. Sandalen oder Flip Flops sind für den steilen Abstieg nicht geeignet, man sollte daher, trotz hoher Temperaturen, festes Schuhwerk oder zumindest leichte Sportschuhe tragen. Nach zirka 300 Metern verläuft der Weg dann entlang der Ribeira de Alte, deren Wasser, mit Ausnahme von ein oder zwei Stellen, durch das Dickicht der Vegetation nicht zu sehen ist. Schilfrohr, Oleander, aber auch Johannisbrot-, Oliven- und Feigenbäume wachsen an den Ufern des schmalen Baches, der bei Quinta do Freixo nordöstlich von Alte entspringt, das ganze Dorf durchquert und später mit dem Bach Barranco dos Fojos und der Ribeira de Algibre zusammenfließt. Schließlich mündet er bei Paderne dann in die Ribeira de Quarteira. Noch bevor man den Wasserfall sieht, hört man ihn. Nach nur rund 100 Metern entlang des Flussbettes erstreckt sich mitten in der Landschaft eine gepflegte Rasenfläche. Nördlich ist sie von einem karg bewachsenen Hang begrenzt, östlich von einer steilen Felswand, aus der Baumwurzeln herausragen, und im Süden von der Ribeira de Alte, die hier idyllisch dahin plätschert. Das Grundstück wurde 2002 vom Rathaus von Loulé erworben, das später, mit dem Ziel eine Freizeitanlage zu schaffen, den Zugang und die Picknickanlage bauen ließ und den Rasen anlegte. Auf dem Container, der als Café dienen sollte, ist ein Zitat von Fernando Pessoa zu lesen, das so viel wie „Gott will, der Mensch träumt, die Arbeit ist geboren“ bedeutet. Hier ließ sich jedoch scheinbar kein Träumer finden, der das Café führen wollte, und so steht der Container seit jeher leer da und dient lediglich Graffitisprayern als Sprühfläche. An der Picknickanlage fehlen leider bei gut der Hälfte der mit Schieferstein bezogenen Tische und Bänke die schönen Platten. Dort ist nur das verrostete Metall zu sehen. Doch diese Zerstörung nimmt dem Wasserfall mit der Lagune, zu der am südöstlichen Ende des Rasens eine Holztreppe führt, kein bisschen an Schönheit. Das Wasser stürzt mit voller Kraft aus 24 Metern Höhe in die kleine blaue Lagune. Es ist kristallklar und der Grund an den Ufern daher gut sichtbar. Wie tief die Lagune in der Mitte ist, konnte ich nicht ergründen. Jedenfalls scheint sie tief genug zu sein für wagemutige junge Männer, die vom höchsten Punkt der rötlichen Felswand in die Lagune springen. Was ich aber rausfand ist, dass der Wasserfall nicht das Werk von Mutter Natur ist, sondern von Duarte de Melo Ribadeneyra, 18. Herr von Alte, Ende des 17. Jhd. künstlich angelegt wurde, d.h., er ließ den Verlauf des Flüsschens zu dieser Stelle umleiten. So steht es zumindest im Buch „Alte na Roda do Tempo“ (1995) von Isabel Raposo. Zudem gibt es Dokumente in der Casa d ́Alte, laut denen „der Bau der Queda do Vigário so gut gelungen sei, dass er vom Erdbeben im Jahr 1755 nicht beschädigt wurde“. Nicht nur dem Erdbeben konnte der Wasserfall standhalten, sondern der gesamten Bauentwicklung in der Algarve und somit praktisch unverändert ins 21. Jhd. gelangen. Lange war dieser Ort das Ausflugsziel vieler Familien der Umgebung. Heute kommen die Besucher meistens aus anderen Bezirken. Aber auch an warmen Sommertagen sind es angeblich nicht mehr als drei oder vier Familien. Die Altenses bevorzugen es, sich in den Schwimmbecken der Fonte Grande zu erfrischen. Die Becken befinden sich zirka 150 Meter nach der Fonte Pequena am östlichen Ortsrand von Alte. Bevor man weiterfährt, lohnt es sich, an dieser Stelle einen kleinen Rundgang zu machen. Die Quelle Fonte Pequena war früher Treffpunkt der Frauen des Dorfes, die hier frisches Wasser holten und ihre Wäsche wuschen. Die weiße Marmorskulptur des Steinhauers Vítor Picanço im Fluss ist eine Hommage an sie. Ende der 1940er Jahre wurde die Anlage, wie sie gegenwärtig dasteht, gebaut und nach Eng. Duarte Pacheco benannt. Heute wie damals finden hier Tanzabende und andere Veranstaltungen statt, doch ansonsten trifft man hier nicht viele Menschen, obwohl der malerische Park unter den großen Bäumen zum Verweilen einlädt. Hier ehren die Bewohner auch den berühmten Dichter aus Alte, Cândido Guerreiro. Einige seiner Sonette sind auf Kacheln entlang der Mauer zu lesen. Laut des Gedichtes unterhalb seiner Büste ließ er sich von diesem Ort inspirieren: „Weil ich am Fuße der vier Berge geboren, wo die Wasser im Vorbeigehen die Lieder der Mühlen und der Brücken singen, lehrten mich die Wasser das Sprechen“. Folgt man der Straße etwas weiter, kommt man kurz darauf zu einer Zypressen-Allee und danach sieht man schon die Anlage der Fonte Grande. Hier entspringen zwei Quellen, die in die Ribeira de Alte fließen: die Fonte Grande und die Olho-de-Boi. Erstere liegt links vom alten Waschhaus, das heute als Bühne dient und ein wahres architektonisches Prachtstück ist. Letztere liegt hinter dem kleinen Kiosk am Ostende der Anlage, kann aber nur bei starken Regenfällen wahrgenommen werden. Die Anlage ist eine idyllische, grüne Oase inmitten der sonst eher kargen Landschaft. Seitdem die Schwimmbecken und die Picknickanlage in den 1980er Jahren gebaut wurden, treffen sich hier im Sommer die gesamte Gemeinde sowie viele Besucher. Das kristallklare – und sehr kalte – Wasser der Quellen bietet Erfrischung, majestätische Bäume spenden Schatten, das Restaurant gutes Essen und wer selbst grillen will, hat dazu die Möglichkeit. Die Beliebtheit der Anlage führt jedoch dazu, dass es an den meisten Wochenenden im Hochsommer praktisch unmöglich ist, ein freies Plätzchen zu finden. Es ist also ratsam, den Ausflug unter der Woche zu planen. In der Fonte Grande finden auch viele Veranstaltungen statt, etwa das große Volksfest am 1. Mai, Folklore- Festivals oder das Fest zu Ehren der Nossa Senhora da Assunção am 15. August. 2005 ließ das Rathaus daher am Hang gegenüber der Becken ein Amphitheater, Umkleideräume und neue WCs bauen. Außer den genannten Erfrischungsmöglichkeiten hat Alte noch viel mehr zu bieten. Die kleine Gemeinde mit den verwinkelten, kopfsteingepflasterten Gassen, den weiß getünchten Häusern und Blumen an praktisch jeder Ecke wird oft als schönstes Algarve-Dorf bezeichnet. Prunkstücke sind die Hauptkirche mit ihren manuelinischen Portikus und die Barrockkapelle São Luís. Ebenfalls einen Besuch wert sind die Casa Memória de Alte, in der man mehr über die Geschichte und die Traditionen von Alte erfährt, oder das Pólo Museológico Cândido Guerreiro e Condes de Alte.
Text: Anabela Gaspar