Kurz bevor die Regierung Mitte Januar einen neuen Lockdown einführte, unternahmen wir einen etwa sechs Kilometer langen Ausflug von Praia da Rocha bis Praia do Vau bei Portimão. Die Route führt durch feinen Sand, über Holzstege und Treppen, entlang der Strandpromenade und den Klippen. Zu Beginn hat man die Hochhäuser stets im Blickfeld, zum Ende ist der Pfad naturbelassener. Eine abwechslungsreiche Wanderung
Lissabon war 1911 Austragungsort des vierten Internationalen Tourismus-Kongresses. Das Event fungierte gleichzeitig als internationale „Taufe“ für die ein Jahr zuvor ausgerufene Republik. Tausende Ausländer strömten in die Hauptstadt, begierig darauf, sich mit eigenen Augen von der Akzeptanz und dem Erfolg des neuen Regimes zu überzeugen und das Land kennenzulernen. Als sie abreisten, waren sie davon überzeugt, dass Portugal die natürlichen Voraussetzungen besaß, um in der aufstrebenden Tourismusindustrie zu florieren. In der Algarve, die bei den Ausflügen durch Portugal mit den Teilnehmern des Kongresses nicht berücksichtigt wurde, blieb hingegen ein bitterer Nachgeschmack. Während der Monarchie hatten sich die algarvios stets vernachlässigt gefühlt. In der Republik schien es nicht anders zu sein. Daher beschlossen vier bekannte Algarve-Persönlichkeiten, darunter Tomás Cabreira und Jaime de Pádua Franco, eine ähnliche Veranstaltung in der Algarve zu organisieren, denn sie waren überzeugt, dass die Region besondere Reize besaß, um Touristen aus der ganzen Welt anzuziehen. Tomás Cabreira schrieb damals: „Die Provinz Algarve hat außergewöhnliche Bedingungen, um ein Tourismusgebiet zu sein: Das Klima ist im Winter sehr mild und die Temperatur ist zu dieser Zeit höher als die von Biarritz, der französischen Côte d’Azur und der italienischen Riviera. Die Landschaft der Algarve ist voller Reize, die Sie in keiner anderen Landschaft der Welt finden werden.“ Noch bevor 1915 dann im Casino von Praia da Rocha der 1. Congresso Regional Algarvio stattfand, der die Weichen für den Tourismus der Region stellte, organisierte Jaime Pádua Franco, Leiter der damaligen Tourismusbehörde, 1913 eine Reise für englische Journalisten in die Algarve. Ruth Kedzie Wood, eine der geladenen Journalisten veröffentlichte noch im selben Jahr The Tourists Spain and Portugal, in dem sie u. a. Portimão, Monchique und Faro beschreibt.
Der Fokus der touristischen Strategie lag Anfang des 20. Jh. – wie heute – auf dem Klima, den Stränden und der Landschaft, aber auch auf den Thermen. Damals konzentrierten sich die Behörden jedoch fast ausschließlich auf Monchique und Praia da Rocha. Letzterer ist heute eine von mehreren Tourismushochburgen in einem – wie damals prognostiziert – weltweit bekannten und beliebten Reiseziel, aber die Weichen dafür wurden hier gestellt und einige der Gebäude, die damals zum Erfolg beitrugen, wie das Bela Vista Hotel, thronen weiterhin stolz hoch oben auf den Klippen.
Unsere Wanderung beginnt an der Marina. Dort, wo sich das Süßwasser des Arade-Flusses mit dem salzigen Atlantik vereint. Zu dieser Jahreszeit ist das Parken kostenlos und es sind reichlich Möglichkeiten vorhanden. Bevor wir zum Strand laufen, gehen wir noch die Treppe zur 1621 fertiggestellten Festung Santa Catarina hinauf. Heute dient sie lediglich als Aussichtspunkt auf die umliegende Landschaft, von ihrer ehemaligen Funktion zum Schutz der Küste vor Piraten aus Spanien und Nordafrika deutet nur noch eine Kanone. Der Blick reicht über den gesamten Strand, der 2018 und 2019 in der Kategorie „Strände“ als eine der regionalen Ikonen von nationalem Interesse ausgezeichnet wurde und 2019 auch der absolute Champion der Hashtags auf Instagram war, mit mehr als 62.000 Erwähnungen in diesem sozialen Netzwerk. Über die Gebäude der Marina hinweg erblickt man auf der anderen Uferseite Ferragudo, das anders als Praia da Rocha weiterhin das Flair eines kleinen Fischerdorfes hat, und den Leuchtturm auf der Ponta do Altar. Vor uns erstreckt sich die Mole weit ins Meer. Die Sonne steht direkt über dem kleinen Turm an ihrem Ende und lässt das Wasser schimmern. Entlang der Mole befinden sich vor allem Angler, die auf das kristallklare Wasser blicken und geduldig darauf warten, dass ein Fisch anbeißt. Ab und zu winken sie einem Fischerboot zu und scheinen neidisch darauf zu sein, dass diese mit einem reichen Fang vom Meer zurückkehren. Ich blicke auf den Strand und die Skyline von Praia da Rocha. Raumordnung und in die Natur eingebettete Bauten waren bei der städtischen Entwicklung von Praia da Rocha scheinbar Fremdwörter… Dennoch kam der Strand 2012 bei einer Umfrage des Reiseportals TripAdvisor auf Platz fünf der weltweit zehn besten, „atemberaubenden“ Strände, beim Europa-Ranking sogar auf Platz zwei hinter Navagio auf der griechischen Insel Zakynthos.
Etwa 15 Minuten später sind wir zurück am Strand und beschließen bis zum Westende am Wasser entlang zu laufen. Der Rückweg soll dann über den Holzsteg erfolgen. Der Strand ist weitläufig und der Sand puderfein und fast weiß. Allerdings ist nicht die Natur, sondern der Mensch dafür zuständig, denn der Strand wurde zu Beginn des touristischen Booms künstlich aufgeschüttet, um die Kapazität zu erhöhen und um zu verhindern, dass die Wellen die auf den Klippen errichteten Gebäude gefährden. Der Erfolg der Aufschüttungen (1970, 1983 und 1996) macht Praia da Rocha einzigartig im Land. Doch gleichzeitig hatten diese Eingriffe einen perversen Effekt: Die größere Auslastung des Strandes führte zum Massentourismus und erlaubte eine größere Volumetrie der Gebäude, was ab den 80er Jahren zum Bau der heutigen Skyline führte.
Zwischen den Hochhäusern entdeckt man noch das ein oder andere Palais aus dem frühen 20. Jh. Darunter das Gebäude des Hotels Bela Vista, das António Júdice de Magalhães Barros, ein wohlhabender Unternehmer der Fischkonservenindustrie, 1918 errichten ließ. Er, seine Frau Maria da Glória und ihre fünf Töchter lebten dort glücklich zusammen, bis Maria nur sechs Jahre später starb. Sein Liebeskummer war so groß, dass António nicht weiter in der Vila de Nossa Senhora das Dores leben konnte. Er überließ das Gebäude seinem Cousin Henrique Bívar de Vasconcelos, der es in ein Hotel umwandelte. 1934 wurde das Bela Vista mit 14 Zimmern eröffnet. Viele Persönlichkeiten wie Carl Gustaf Emil Mannerheim, finnischer Staatschef und Nationalheld, oder die spanische Königsfamilie waren dort zu Gast.
Am Ende des Strandes folgen wir der Treppe zur Promenade oberhalb des Strandes und lassen vom Miradouro dos Três Castelos aus noch einmal unsere Augen über den Praia da Rocha schweifen. Westlich vom Aussichtspunkt erstreckt sich der Praia dos Três Castelos. Eine Treppe führt hinab, doch wir bleiben auf der Promenade und folgen der Küstenlinie. Dabei passieren wir Café-Terrassen, auf denen Touristen in der Sonne sitzen und die Landschaft genießen. Kurz darauf erreichen wir die Rua da Falésia, ein mit portugiesischer calçada bepflasterter breiter Fußgängerweg, der etwas abseits des Felsenkamms entlang der Küste führt. Am Parkplatz steigen wir über die Abgrenzung am Wegesrand und folgen dem Trampelpfad bis zum Felsenkamm. Sanft schlagen die Wellen gegen die Felsen am Praia do Amado. Oberhalb des Strandes liegt eine kleine Idylle: das Restaurant Cloque ao Mar. Es wurde in einem alten, traditionellen, weiß getünchten Haus, mit blauen Fenster- und Türrahmen eingerichtet und liegt etwas abseits vom Trubel. Hier kann man bei atemberaubender Aussicht die Ruhe und die frische Salzluft genießen. Außerdem bietet diese Terrasse den besten Ausblick in Portimão auf den Sonnenuntergang.
Ab dieser Stelle wird der Ausflug naturbelassener. Die Bausünden vergangener Jahrzehnte liegen nun nicht mehr in unserem Blickfeld. Der Pfad führt oberhalb der Klippen entlang und ist weder betoniert noch gepflastert. Dank regenreicher Tage ist der Boden mit sattgrünem Gras und gelben Sauerklee bedeckt. Der Atlantik ist ruhig und scheint sich an den alleinstehenden Felsen im Wasser zu schmiegen. Als wir beim letzten Felsvorsprung, kurz vor Praia do Vau, oberhalb des Praia dos Careanos stehen, auf die Ponta João d´Arens im Westen blicken und noch einige Fotos machen, schaut uns eine etwa 70-jährige Portugiesin, die ebenfalls Aufnahmen von der Landschaft macht, lächelnd an. „Herrlich, meinen Sie nicht?“, fragt sie und fügt, ohne eine Antwort abzuwarten hinzu, „Diese Bilder werden es mir während des neuen Lockdowns etwas schöner zu Hause machen“. Auch wir haben Energie getankt und kehren zufrieden zur Marina zurück.
Die Wanderroute:
Etwa 6 km hin und zurück, knapp 2 Std. Laufzeit.
Man kann auch nur entlang der Mole oder dem Strand (am Wasser oder auf dem Steg) laufen. Weitere Abschnitte sind vom Aussichtspunkt Três Castelos bis Praia dos Careanos oder vom Parkplatz am Kreisverkehr mit dem Springbrunnen, der etwas naturbelassenere Abschnitt, bis Praia do Vau.
Text und Fotos: Anabela Gaspar in ESA 02/2021