Nach zwei Monaten Isolation war dieser Küstenausflug bei Albufeira unbeschreiblich schön. Frische Salzluft, eine atemberaubende Kulisse und eine farbenfrohe Blütenpracht. Selbst das Meer schien sich befreit zu fühlen und schlug wild gegen die Felsen
Im portugiesischen Volksmund heißt es, dass man etwas erst dann vermisst, wenn man es nicht mehr hat. So ist es in der Tat. Das Meer war immer nur einen Katzensprung entfernt, doch erst als der Zugang zu den Stränden wegen der Corona-Pandemie untersagt wurde, sehnte ich mich nach dem blauen Ozean. Und dann, nachdem wir das Auto auf dem Parkplatz der Anlage Clube Maria Luísa in Torre da Medronheira bei Olhos d´Água abstellen und am Ende der Sackgasse dem schmalen Weg zwischen der Baustelle und der Villa Casa Maré Baixa zum Strand folgen, merke ich in unbändiger Vorfreude, wie sehr mir der Atlantik tatsächlich gefehlt hat. Meiner Kollegin Miranda Opmeer, die für das Design der ESA zuständig ist und mich heute begleitet, geht es ebenfalls so. Als sich kurz darauf der Blick zum Strand öffnet, kommt mir nur ein Gedanke: Freiheit! Statt weiter der Steintreppe bis zum Strand zu folgen, nehmen wir den Trampelpfad, der linker Hand am Holzzaun entlang zu den Klippen hochführt. Hier beginnt die Route Trilho dos Olhos d´Água. Oben bei den Klippen angekommen nehme ich mir Zeit, um die Landschaft um mich -herum richtig aufzunehmen, und meine Sehnsucht nach dem weiten Atlantik zu stillen. Ich ziehe die salzhaltige Luft tief ein und genieße die frische Meeresbrise auf meiner Haut. Noch ist der Strand menschenleer. Hoffentlich wird es bald anders sein, denn ohne Tourismus wird die Algarve schwer „überleben“.
Zu Beginn unseres Spaziergangs führt der Pfad direkt an traumhaft gelegenen Villen vorbei, bevor man eine Treppe zu skurrilen Felsformationen hinabsteigt. Eine Bank, von blühenden Blumen umgeben, lädt zum Verweilen ein. Ein Ort der Ruhe und Entspannung. Schwer zu glauben, dass es hier im August 2009 zu einem schweren Unglück kam. Ein alleinstehender Felsen brach ab und stürzte auf den Strand, wo sich die Menschen sonnten. Fünf Personen verloren ihr Leben, drei weitere wurden verletzt. Nach Angaben der Behörden hatten an der Unglücksstelle unterhalb der steilen Felsküste Hinweisschilder auf die Gefahr von Steinschlag hingewiesen. Auch deutsche Medien berichteten über das Drama am beliebten Ferienziel. Die stark zerklüftete Felsenküste, mit ihrer Vielfalt an geologischen Formen, die bis zu Dolinen hinreichen, ist ein beeindruckendes Meisterstück der Natur, doch es ist immer Vorsicht geboten.
Gleich nach der ersten Doline, blicken wir auf einen eindrucksvollen, zwischen den Klippen und Felsen versteckten Strand. Hier trifft man bei Niedrigwasser oft Vitor Raposo bei seiner Sandmalerei (s. S. 16) an. Doch nun reicht das Wasser fast bis zu den Felsen. Auch wenn er heute hier war, hat das Meer seine Bilder längst verschlungen. An der Nordseite des Strandes wird der Pfad oberhalb der Klippen schmal und ist von Vegetation umgeben. Wir müssen dicht an den Pflanzen und unter Schilfrohr vorbei. Wenige Meter danach führen Steinstufen rechts zum Strand hinab. Eine Erfrischung können wir uns nicht erlauben, da Hochwasser herrscht und die Wellen heftig gegen die Felsen schlagen.
Enttäuscht darüber sind wir keinesfalls, denn die überreiche Landschaft auf den Klippen belohnt uns mit blühenden Hottentottenfeigen, Tausendgüldenkraut, Margeriten und vielen anderen Blümchen. Durch die Blütenpracht wird das Grün der Pinien und das Blau des Himmels und des Atlantiks noch stärker hervorgehoben und die Schönheit der Landschaft untermalt. Egal wohin das Auge schaut: Man sieht himmlische Postkartenmotive! Wir nehmen Platz unter einer enormen Schirmpinie und lassen unsere Blicke schweifen. Vor uns das weite Meer und im Osten sind in der Ferne die rötlichen und zugleich goldenen Sandsteinklippen vom Praia da Falésia zu erkennen, die bis Vilamoura reichen und den Übergang von der Steilküste im Westen zu den langen feinsandigen Stränden in der Zentral- und Ostalgarve bilden.
Wind und Wasser haben den Küstenabschnitt bei Olhos d´Água stark zerklüft. Eine riesige Doline zwingt uns, um sie herum landeinwärts zu gehen. Wir bleiben stets am Zaun, der Pfad wird enger, wir müssen unter einer alten, umgekippten Pinie hindurch, die dem Wind im letzten Winter nicht Stand halten konnte, und kurz darauf sind wir zwischen Sandsteinfelsen und Zaun, der ebenfalls umzukippen droht, uns aber dennoch Halt bietet. Wir kommen an zwei weiteren, ebenfalls beeindruckenden Dolinen vorbei, an Stellen, an denen das Gestein schwarz ist und in denen Felsentauben nisten. Immer wieder öffnen sich uns traumhafte Ausblicke auf die Küstenlinie, aber auch landeinwärts ist der starke Kontrast zwischen dem azurblauen Himmel und dem Grün der Pinien und Mastixsträucher wunderschön.
Nach der nächsten Treppe geht es rechts über Steinstufen zu einem kleinen, inmitten der Felsen gelegenen Strand. Bei Ebbe sicher ein kleines verstecktes Paradies auf Erden. Kurz darauf endet unter der großen Schirmpinie die Route für diejenigen, die weniger aktiv sind. Vor uns liegt eine nicht zugänglich Bucht in der zwei wie Afrika und Südamerika geformte Felsen im Wasser liegen. Zugegeben, es bedarf etwas Phantasie, um die beiden Kontinente zu erkennen.
Leicht abenteuerlich geht es durch eine schmale Schlucht, in der wir ein wenig klettern müssen,
zu einer kleinen Bucht. Dort hat sich jemand die Zeit mit dem Aufstellen von Steinmännchen vertrieben. Von hier klettern wir zur nächsten Schlucht und schaffen einen weiteren Anstieg, bevor wir umkehren, da kein erkennbarer Pfad weiter zum Westende des Strandes Olhos d´Água führt. Bevor wir uns auf den Weg zurück zum Strand Maria Luísa machen,
legen wir eine Verschnauf- und Stärkungspause unter der Schirmpinie ein. Zwei Möwen leisten uns dabei Gesellschaft. Der perfekte Abschluss für einen perfekten Ausflug.
Trilho dos Olhos d´Água – Etwa 2 Std. hin und zurück. Die Route eignet sich nicht für Kinder und Personen mit eingeschränkter Mobilität.
Text & Foto: Anabela Gaspar
Veröffentlicht in ESA 06/2020