Historisches Erbe & Tradition
In diesem Monat findet in der Region die Johannisbrot-Ernte statt. Mehr zu dieser Hülsenfrucht und ihrer Verwendung sowie zu Geschichte, Architektur und Natur entdeckt man entlang der Johannisbrot-Route in Faro
Sofia Carrusca ist auf das historische Erbe der Algarve spezialisiert und setzt sich stark für dessen Erhalt ein. Sie kennt die Region wie ihre Westentasche und überzeugt nicht nur durch ihr Wissen, sondern auch durch ihr freundliches Auftreten. Nachdem sie einige Jahre für die Führungen der Kork-Route zuständig war, ein Projekt verschiedener regionaler Institutionen wie das Rathaus von São Brás de Alportel und der Tourismusverein der Algarve, bietet sie nun die Johannisbrot-Route in Eigenregie an.
Der Treffpunkt ist am städtischen Museum in der Altstadt von Faro. Das Museum befindet sich im Gebäude des ehemaligen Klosters Nossa Senhora da Assunção aus dem Jahr 1519 und wurde bereits 1897 eröffnet. Die schlichte Fassade verbirgt einen wunderschönen Kreuzgang. Neben Ausstellungen zum islamischen und römischen Erbe in der Region sowie Malereien aus dem 14. bis 19. Jahrhundert ist das aus dem 2. oder 3. Jahrhundert stammende römische Mosaik „Mosaico Oceano“ zu sehen, das eines der wichtigsten Fundstücke der Algarve ist. Das Mosaik wurde außerhalb der Stadtmauern entdeckt, was laut Historikern und Archäologen ein Beweis dafür ist, dass Ossónoba (später Santa Maria de Faaron und heute Faro) eine wichtige Hafen- und Handelsstadt war.
Nach der Zeitreise im Museum geht es zur Kathedrale, auch Igreja de Santa Maria genannt. Gebaut wurde sie nach der christlichen Rückeroberung im Jahr 1251 und musste danach drei Mal renoviert werden: nachdem der englische Feldherr Robert Devereux, 2. Earl of Essex, und seine Männer die Stadt 1596 plünderten und die Kathedrale in Brand setzten sowie nach den Erdbeben von 1722 und 1755. Vom Turm aus genießt man eine atemberaubende Aussicht über die gesamte Stadt und die Ria Formosa. Im Innenhof sind eine kleine Kapelle sowie eine Knochenkapelle zu besichtigen.
Das gegenüber der Kathedrale liegende Gebäude ist das Bischöfliche Palais. Gebaut wurde es im 16. Jahrhundert, als der Bischofssitz von Silves nach Faro verlegt wurde. Das Gebäude, in dem unter anderen Malereien von Marcello Leopardi und Rokoko–Kacheln zu sehen sind, dient noch heute als Bischofsresidenz und ist ebenfalls ein Priesterseminar.
Dann schlendert man durch die Gassen der ehemaligen Medina und entlang der alten Stadtmauer, bevor der Besuch in der Johannisbrot-Fabrik folgt.
A Indus-trial Farense, Lda., die seit 1944 unter der Marke Victus Johannisbrotkernmehl produziert, ist Teil des Unternehmens Chorondo & Filhos, das zwei weitere Fabriken in São Brás de Alportel und Boliqueime hat, die das Fruchtfleisch der Hülsenfrucht verarbeiten und der Fabrik in Faro die Samen (Carubin) liefern.
Obwohl das Fruchtfleisch, auch Carob genannt, ein Genuss ist und verschiedene Anwendungen in der Lebensmittelindustrie findet – zuletzt für die Herstellung von Berlinern, die der Renner dieses Sommers an den Stränden waren – wird der Großteil der Produktion weiterhin für Tierfutter verwendet. Auch bei Chorondo & Filhos ist das so. Lediglich zehn Prozent der Produktion dienen der Herstellung von Carobpulver (Farinha de Alfarroba), das geschmacklich dem Kakaopulver sehr ähnlich ist, aber anders als dieses fettarm und frei von anregenden Substanzen ist.
Bei Industrial Farense, Lda. dreht sich alles um die kleinen Samen der Hülsenfrucht und um ihr Nährgewebe, das sogenannte Endosperm. Das aus den Kernen der Hülsenfrucht des Johannisbrotbaumes gewonnene Mehl ist ein wahrer Alleskönner. Da das Mehl fünfmal so quellfähig wie Stärke ist, ist es ein begehrtes natürliches Bindemittel und aus vielen Erzeugnissen der Lebensmittelindustrie, der Herstellung von Naturprodukten sowie der Kosmetik- und Pharmaindustrie nicht mehr wegzudenken. Da das Johannisbrotkernmehl zudem die Bildung von Kristallen unterbindet, wird es auch gerne zusammen mit anderen Verdickungsmitteln zur Herstellung von Emulsionen eingesetzt und ist in der Europäischen Union unter der Nummer E 410 uneingeschränkt – auch für Bioprodukte – als Lebensmittelzusatzstoff zugelassen. Großen Einsatz findet das Mehl in glutenfreien Lebensmitteln und in Babynahrung.
99 Prozent der Produktion der Fabrik werden exportiert. Der Großteil nach Japan, Dänemark, Italien und England. Davor wird das Mehl im fabrikeigenen Labor unter anderem auf die Viskosität untersucht. Carlos Moura, Cláudia Contreiras und Silvina Barros, die im Labor zuständigen Ingenieure, haben bereits in mehreren Projekten zur Aufwertung der Alfarroba mitgewirkt. Beispielsweise für die Entwicklung eines Johannisbrot-Düngers, der die Nährstoffe graduell in den Boden freilässt, sowie an einem Müsliriegel aus Alfarroba. Auch die Herstellung von Textilien oder die Produktion von Biokraftstoff wurde getestet.
Die Hülsenfrucht des Johannisbrotbaumes kann man auch zu alkoholischen Getränken gären lassen und der Licor de Alfarroba gehört zu den bekanntesten und beliebtesten Algarve-Produkten. Um Skeptiker davon zu überzeugen, folgt eine Verkostung des süßen Likörs in einem Café in der Fußgängerzone, bevor der Ausflug zum Alto de São João in Faro führt.
In der Gartenanlage des eindrucksvollen Palastes des Colégio de Nossa Senhora do Alto, das João António Júdice Fialho, ein reicher Händler aus Faro, Anfang des 20. Jahrhunderts errichten ließ und das seit 1954 der Diözese der Algarve gehört und als Schule funktioniert, spaziert man im Schatten der Alfarrobeiras und lernt, dass es weibliche, männliche und zwittrige Bäume gibt. Die erste Ernte erfolgt
20 Jahre nach der Anpflanzung, kann aber auch schon nach zwölf Jahren erfolgen, wenn der Baum bewässert und gedüngt wird. Seinen Höhepunkt erreicht der Baum mit 70 Jahren; danach hält sich der Ertrag stabil. Dennoch ist der Johannisbrotbaum, anders als die Korkeiche oder die Eiche, nicht geschützt. Sofia bedauert, dass man ohne Weiteres eine 100 Jahre alte Alfarrobeira fällen kann. Denn „auch wenn man eine neue pflanzt, wird diese erst 100 Jahre später den gleichen Ertrag haben“, erklärt sie.
Fünfzig bis sechzig Prozent der Johannisbrotbäume der Algarve sind verstreut und vor allem im Barrocal, dem Landstreifen zwischen der Küste und der nördlichen Gebirgskette der Algarve, an nach Süden gerichteten Hängen vorzufinden. Erst in jüngeren Jahren wurden Plantagen angepflanzt. Normalerweise wird ein männlicher Baum zwischen sechs bis acht weiblichen gepflanzt, um die Produktion zu steigern. Zwittrige Bäume haben einen geringeren Ertrag. Doch es gibt nicht viele Landwirte, die sich für diesen Baum entscheiden. „Es ist eine langfristige Investition“,
so Sofia. „Bei Zitrusfrüchten ist die erste Ernte nach vier Jahren möglich, beim Johannisbrotbaum erst nach ungefähr 15 Jahren.“ Hinzu kommt, dass die Ernte sehr arbeitsintensiv und teuer ist. Ähnlich wie bei der Olivenernte werden die Früchte mithilfe eines Stockes abgeschlagen und mit Tüchern oder Netzen aufgefangen. Rüttelmaschinen können nicht eingesetzt werden, da der Stamm und die Zweige sehr hart sind. Pro 15 Kilogramm erhält der Landwirt lediglich 4,50 Euro. Für ein Kilogramm Mehl sind drei Kilogramm Samen beziehungsweise 300 Kilogramm Hülsenfrüchte nötig.
Text : Anabela Gaspar
ESA 09/16
Sofia Carrusca
Algarve Rotas
Mob.: 918 204 977
turismo@algarverotas.com
www.algarverotas.com
Führungen auf Deutsch mit Manuela Lindim