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Freizeit

Im freien Fall

Von agasparFr. 19. August 2016Aktualisiert:Do. 14. Juli 20227 Min Lesezeit

Springen als Lebenselixier

Wenn man aus 4.300 Meter Höhe auf die goldene Algarve-Küste schaut, ist meistens ein kleines ovales Flugzeugfenster davor. Diesmal aber bläst einem der Wind ins Gesicht und es riecht nach Kerosin… das Herz rast. Was folgt, ist unbeschreiblich

Es ist zehn Uhr morgens und wir sind auf dem Weg nach Alvor. Bettina ist als Einzige nicht eingeweiht und noch immer überzeugt, dass es zur Delfin-Beobachtung geht. Dass sie gleich mit einem Tandemsprung und einem anschließenden 
Heiratsantrag überrascht wird, ahnt sie nicht. Es wird kaum gesprochen, um ja nichts zu verraten. Ich spüre, wie sich in den Armen ein leichtes Kribbeln unter der Haut ausbreitet, denn auch ich soll heute zum ersten Mal einen Tandemsprung machen.
Als wir das Auto neben einer großen Werbetafel mit der Aufschrift Skydive Algarve abstellen, steht auch Bettina die Anspannung ins Gesicht geschrieben. Jetzt ahnt sie langsam etwas. An der Rezeption werden wir freundlich von Lucy erwartet, die schon alles vorbereitet hat, schließlich ist ein Heiratsantrag hier nicht alltäglich und wird mit besonderer Aufmerksamkeit behandelt. Nachdem wir einige Formulare ausgefüllt haben, bekommen wir einen Besucherausweis und werden zum Hangar gebracht.
Schon beim Betreten des Vorplatzes, auf dem gerade Fallschirmspringer verschiedener Nationalitäten ihre nächsten Sprünge vorbereiten, spürt man die lockere Atmosphäre, die hier herrscht. Freundlich werden wir empfangen und die Nervosität legt sich rasch. Bruno, ein junger Sprunglehrer, der seit seiner Fallschirmjägerausbildung beim Militär schon über 6.000 Sprünge absolviert hat, stellt sich uns vor. Auf seinem Unterarm ist sein Lebensmotto tätowiert: Jump to live – Springe, um zu leben.
Wir bekommen von ihm ein ausführliches Briefing, das den gesamten Ablauf beschreibt. Vom Einnehmen der Sitzplätze in der zweimotorigen Propellermaschine über den Ausstieg bis hin zur Landung wird uns alles genauestens erklärt. Dabei werden uns diverse Körperstellungen, die wir dazu einnehmen müssen, auf dem Asphaltboden vorgemacht – eine kleine akrobatische Einlage, die in uns allen die Anspannung 
etwas löst.
Vor uns sind noch zwei Gruppen dran. Profis aus England, die gerade bäuchlings auf Rollbrettern liegend, ihre nächste Sprungformation üben. Wir nutzen die Zeit, um etwas durchzuatmen. Währenddessen 
beobachte ich das Geschehen um mich herum. In dem halb geöffneten Flugzeughangar sehe ich, wie die speziell hierfür ausgebildeten Packer die Fallschirme sorgsam falten und vorsichtig in den Rucksäcken verstauen. Akribisch werden die Schirme auf Risse und die Leinen auf Knoten und Verdrehungen geprüft. Schließlich ist dies die Lebensversicherung eines jeden Skydivers. Zwischendurch landen immer wieder Fallschirmspringer gekonnt auf der kleinen Wiese vor dem Hangar. Ihre Gesichter verraten den Spaßfaktor dieses Hobbys.
Über Lautsprecher wird die nächste Gruppe zum Besteigen des Flugzeuges aufgerufen und schon geht es wieder in die Luft. Unser Load rückt näher und wir bekommen unsere Ausstattung, bestehend aus Haube, Schutzbrille, Overall und Haltegeschirr, das wir unter Aufsicht anlegen. Nach einem Gruppenfoto und einer weiteren Trockenübung für die richtige Haltung geht es zum Flieger, der soeben wieder gelandet ist. Wir sind zu abgelenkt, um Angst oder Nervosität zu empfinden. Auf den langen Bänken im Laderaum der Dornier DO28 – ein Modell, das extra für das Aussetzen von Fallschirmspringern gebaut wurde – nehmen wir vor unserem jeweiligen Tandem-Master Platz und werden in ihr Geschirr eingehakt. Eng an-ein-andergereiht, sitzen wir ganz hinten in der Maschine. Die Seitentür ist noch nicht ganz geschlossen, da 
rollen wir schon Richtung Startbahn.

Während des 15-minütigen Steigfluges gehen die Instrukteure den Sprung zum letzten Mal mit uns durch. Erneut werden unsere Haltegurte überprüft und ein Stück angezogen. Um uns aufzulockern, werden wir angeregt durchzuatmen, den Sprung zu genießen und das Wichtigste: Immer versuchen zu grinsen – das entspannt.
Als wir 14.000 Fuß erreichen, wird die Rolltür aufgeschoben und die ersten Springer stürzen sich mit einer gelassenen Abschiedsfratze aus der Öffnung. Ich werde von Milko, meinem Sprungpartner, ein Stück näher Richtung Ausstieg geschoben. Die Anspannung steigt von Sekunde zu Sekunde. Dann ist es so weit! Wir stehen auf und ich hänge mich in meinen Haltegurt. Erstmals erblicke ich das gesamte Küstenpanorama von Lagos bis Lagoa, der blaue Horizont macht einen leichten Bogen. In der vorher mehrmals geübten „Banana-Position“ kralle ich mich in meine Schulterriemen. Ein kurzes Daumen-nach-oben-Zeichen und schon sind wir draußen.

Nur wer es selbst erlebt, kann das Gefühl nachempfinden, mit rund 200 Stundenkilometern im freien Fall Richtung Erdboden zu rasen. Trotz der hohen Geschwindigkeit nähern wir uns nur langsam der Erde und ich beginne, mein Umfeld wahrzunehmen. Die nächsten sechzig Sekunden vergehen wortwörtlich wie im Flug, als auf 6.000 Fuß (2.000 Meter) 
auch schon der Schirm aufgeht und wir sanft abgefangen werden. Plötzlich ist alles ganz ruhig. Nur 
das Motorengeräusch des sich entfernenden Fliegers und das leichte Säuseln der Leinen im Wind sind 
noch zu hören.
Acht Minuten gleiten wir langsam auf die Landezone zu, genügend Zeit, um die atemberaubende 
Aussicht zu genießen. Im Westen erkennt man deutlich das Cabo de S. Vicente und im Osten die Ria Formosa. Hinter den Bergen von Monchique ist es etwas trüber. Angeblich kann man an guten Tagen bis Sines im Alentejo oder bis nach Spanien sehen. Milko, der den Schirm lenkt, fliegt ein paar Achten, um langsam Höhe abzubauen und zeigt mir, wo wir landen werden. Wir sind auf etwa 1.000 Fuß und ich erkenne eine kleine Gruppe von Freunden und Familie, die gekommen sind, um das Spektakel zu verfolgen. Auf dem Rasen liegt ein Banner mit der Aufschrift „Will you marry me?“ – Ein kleiner Zusatz-Service von den Betreibern des Sprungplatzes.
Bettina, die als Letzte aus dem Flieger gesprungen ist, dürfte noch nichts ahnend ein paar Hundert Meter über uns kreisen und gleich zum zweiten Mal an diesem Tag überrascht werden. Dieter, ihr Freund, ist schon gelandet und wartet mit dem Ring. Die überwältigte Bettina sagt natürlich: „Ja!“

Dieses Erlebnis hat mich derart begeistert, dass ich mich gleich am nächsten Tag für die etwa zehntägige Accelerated Freefall-Ausbildung (AFF) anmelde. Die AFF-Methode ist ein in den USA entwickeltes Lehrprogramm, das es ermöglicht, innerhalb kurzer Zeit das Fallschirmspringen aus voller Höhe zu erlernen und heutzutage weltweit die bevorzugte Alternative zur konventionellen Ausbildung. Nach der gründlichen Theorieausbildung folgen sieben Lehreinheiten mit jeweils einem Solosprung, bei dem der Schüler im freien Fall bestimmte Lernziele erreichen muss. Natürlich immer in Begleitung erfahrener Fallschirmlehrer, die bis zum Öffnen des Hauptschirms an seiner Seite sind.
Montag um acht Uhr geht es los. Das Programm für den ersten Tag: Ground school-Theorieunterricht. Jeder hat sicher schon viele Schauergeschichten von missglückten Fallschirmsprüngen gehört, sodass man selbstverständlich einen gewissen Respekt vor diesem Hobby hat. Im Verlauf des Lernprogramms wird das Thema Sicherheit immer wieder besprochen. Die modernen Schirme sind wahre Technikwunder und erlauben keine Fehler. Wie bei jeder Sportart passieren natürlich auch hier manchmal Unfälle, die aber fast ausschließlich durch menschliches Versagen verursacht werden. Übermütige, meist erfahrene Springer, die zu spät zur Landung ansetzen oder den Sicherheitsabstand zu anderen Schirmen nicht einhalten und sich dann gegenseitig verfangen, sind häufige Ursachen. Dass ein Schirm mal nicht aufgeht, ist so gut wie ausgeschlossen und auch für diesen Fall gibt es einen Ersatzschirm, der im Notfall in 350 Meter Höhe selbständig auslöst. Immer noch hoch genug für eine sichere Landung. Wir gewinnen Vertrauen in die Ausrüstung und begreifen, dass sie ein essenzieller Bestandteil dieses Sports ist, den es gilt, bis aufs Detail zu begreifen.
Alle Funktionen werden den Schülern mehrmals erklärt und demonstriert. Dazwischen werden wir immer wieder abgefragt. Erst wenn wir beweisen können, dass wir alle Handgriffe beherrschen, sind wir bereit für unseren Einführungssprung: Ein Tandemsprung, bei dem wir den Hauptschirm auslösen. Es folgen Solosprünge mit jeweils zwei Lehrern pro Schüler, die uns über den gesamten freien Fall festhalten. Sobald wir die stabile Körperhaltung beherrschen, werden wir, im dritten oder vierten Sprung, langsam losgelassen. Nach jeder Lektion folgt eine Analyse der mit den Helmkameras aufgenommenen Videos, um notwendige Korrekturen zu besprechen. Sprung für Sprung verbessern wir unsere Technik und lernen neue Manöver wie Vor- und Zurückfliegen, Drehungen und Loopings. Nach Abschluss der Ausbildung bekommt der Schüler seine Lizenz und darf weltweit selbständig Fallschirmspringen. Der Weg zum Profi ist aber noch sehr lang, denn erst ab zirka tausend Sprünge darf man sich dazu zählen. Vorher sollten noch diverse Weiterbildungen und Extrakurse belegt werden, die ebenfalls zum Angebot von Skydive Algarve gehören.

Text: Julian Röhl
ESA 07/16

Skydive Algarve
Aeródromo Municipal
de Portimão
Montes de Alvor
8500-059 Alvor
Tel.: 282 496 581
info@skydivealgarve.com
www.skydivealgarve.com

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