Das kleine romantische Dorf Carvoeiro begeistert seine zahlreichen Besucher nicht nur durch seine bunte Vielfalt an Bars und Restaurants, sondern vor allem aufgrund des wunderschönen Küstenstreifens mit seinen skurrilen Felsformationen. Um diese gefahrlos besichtigen zu können, führt seit kurzem ein 570 Meter langer Holzsteg von der hoch oben auf den Felsen thronenden Kapelle N. Sr. da Encarnação bis zum idyllisch gelegenen Algar Seco
Schon immer traf man hier Wanderer auf Trampelpfaden oberhalb der Klippen, die die frische Salzluft des Atlantiks und die traumhaft schöne Steilküste genossen. Nun kann man die Strecke auch bei einer Jogging- oder Radrunde genießen. Der Steg ist selbst für gehbehinderte Menschen geeignet. Starten kann man östlich am Algar Seco oder westlich hinter der Kapelle; an beiden Enden gibt es Parkmöglichkeiten. Wir starten bei der Kapelle und werfen einen letzten Blick auf den Strand von Carvoeiro und die kleinen Häuser, die sich an den Hang schmiegen. Am Strand liegen bereits die ersten Sonnenanbeter. Das türkisblaue Wasser schimmert in der Sonne und lädt zum erfrischenden Bad ein. Vielleicht später, denn wir wollen die kleine Wanderung noch vor der Mittagshitze unternehmen. Knappe 30 Meter hinter der Kapelle beginnt der Steg. In der Luft liegt der Duft von frisch gesägtem Holz. Hier und da werden noch die letzten Bretter befestigt, aber der Steg ist bereits auf voller Länge begehbar. Wir wenden dem Westen, an dessen Horizont die Küste bis zur Ponte da Piedade in Lagos erkennbar ist, den Rücken zu und marschieren gen Osten, der Sonne entgegen. Unterwegs treffen wir nette Vierbeiner mit ihren Herrchen und Frauchen, Jogger und Radfahrer, die ihr Morgentraining durchführen. Alle grüßen freundlich. Es heißt ja auch „aurora habet aurum in ore“, also Morgenstund hat Gold im Mund. Hier, oberhalb der Klippen und ihren in der Sonne strahlenden goldenen Felsen passt dieses Sprichwort ganz besonders. In regelmäßigen Abständen wurden Terrassen mit Bänken gebaut, die zum Verweilen einladen. Sie erinnern an kleine Amphitheater mit Blick über das weite blaue Meer. Ab und zu wird dieses Bild von einer Möwe oder von einem Boot durchkreuzt; von einer Yacht, die uns von Weltreisen träumen lässt, von einem Ausflugsboot mit Touristen auf Grottentour oder von einem Fischerboot, das mit seinem Fang in den sicheren Hafen zurückkehrt. Ungefähr auf mittlerer Distanz führt eine Holztreppe zu den Felsen hinab. Nachdem wir genauer hinschauen, erkennen wir, dass Stufen in die Felsen geschlagen wurden, die hinab zum Wasser und zu einer unter Anglern beliebten Stelle führen. Die von den Menschen geschaffenen Stufen sind bemerkenswert, doch noch beeindruckender sind die von Mutter Natur geschaffenen bizarren Felsformationen, Tunnel und Höhlen, die es hier zu sehen gibt. Ein Stück weiter den Steg entlang erreichen wir Algar Seco. Hier befindet sich Boneca (Puppe), eine der wohl bekanntesten Felsformationen der Algarve, die ihren Namen Seeleuten verdankt, für dieser Felsvorsprung vom Meer aus betrachtet wie ein Puppengesicht aussah. Ein schmaler Tunnel führt zu der romantisch anmutenden Höhle mit zwei „Fenstern zum Meer“. Vor allem Touristen lieben diesen Geheimtipp als Fotomotiv, doch trifft man auch auf Portugiesen, denn, wie uns ein freundlicher Algarvio erklärt:„Auch wir wissen die Schönheit unserer Region zu schätzen und kommen gern hierher“. Carla, die Inhaberin des Cafés in dieser traumhaften Lage, erzählt uns einige mit der Höhle verbundene Legenden und Fakten. Vor der Nelkenrevolution haben sich viele Menschen in der Algarve durch Schmuggel etwas nebenbei verdient. Vor allem Fischer schleuchten Tabak, Parfüm und andere Güter aus Nordafrika und Spanien. Bevor sie die Ware an Land brachten, haben die Fischer von Carvoeiro sie oft in Höhlen und Grotten entlang der Küste versteckt. Ein beliebtes Versteck war Algar Seco. GPS gab es ja damals nicht und daher nutzten sie Boneca als Orientierungspunkt. Wenn die Fischer sich dort treffen wollten, sagten sie, dass sie zur Boneca gingen. Die Polizei dachte, dass damit die Frauen eines Bordells nahe dem Leuchtturm von Alfanzina gemeint waren. Bis eines Tages Carlas Großvater am Eingang der Höhle „Boneca“ hinschrieb, um der Polizei zu zeigen, was in Wirklichkeit mit Boneca gemeint war. Ob er richtig oder falsch gehandelt hat, kann jeder für sich entscheiden. Romantischer hingegen ist die Legende von Algar Seco. Diese besagt, dass an Portugals Südküste der maurische König Benagil lebte, der eine wunderschöne Tochter namens Alfanzina hatte. Die Prinzessin unternahm gerne Spaziergänge entlang der Küste, traf dabei eines Tages den jungen Handwerker Carvoeiro und verliebte sich Hals über Kopf in ihn. Doch der König verbot die Beziehung seiner adeligen Tochter mit dem bürgerlichen Handwerker, und so traf sich das verliebte Paar fortan heimlich an den Klippen von Algar Seco. Als der König davon erfuhr, folgte er ihnen und in seinem Zorn ermordete er den unsittlichen Carvoeiro. Die Leiche fiel ins tobende Meer und wurde von den Wellen davongetragen. Daraufhin ging die Prinzessin jeden Tag zum Unglücksort zurück und trauerte ihrer Liebe nach. Es sollen ihre bitteren Tränen gewesen sein, welche die bei Algar Seco tropfenartigen Löcher in die Felsen meißelten und sich im dem darunter liegenden Naturbecken sammelten. Weiter gehen wir entlang der Felswand bis zum Felsvorsprung und zu den nächsten in die Felsen gemeißelten Stufen. Die einen führen hinab zum Wasser, die anderen hoch auf die Felsen, von denen man zum Parkplatz und dem Aussichtspunkt über Algar Seco gelangt. Wer will, kann von hier aus weiter entlang der Klippen Richtung Osten bis Vale Centeanes, Benagil, Praia da Marinha oder sogar Senhora da Rocha wandern. In den Sommermonaten sollte die Wanderung entweder am frühen Morgen oder am Ende des Tages unternommen werden. Im Licht des Sonnenauf- oder -untergangs ist diese Landschaft einfach unbeschreiblich schön.
Kevin Keiner, Stefanie Wacek
ESA 8/14