Ausflug nach Santa Luzia
Nichts hat das Leben der Anwohner von Santa Luzia bei Tavira einst mehr geprägt als der Thunfischfang. Die Thunfischfallen vor der Küste sind längst verschwunden, die Erinnerung an die damalige Solidarität ist geblieben – und eine Spazierroute
Der Thunfischfang in der Algarve hat eine über 2.000-jährige Tradition. Das dunkelrote Fleisch wurde bereits unter römischer Herrschaft zur teuer bezahlten Delikatesse und zum Exportschlager erhoben. Die maritime Bindung zum Thunfischfang verdankt Tavira einer Laune der Natur. Der begehrte blaue Fisch schwimmt seit Jahr und Tag zwischen April und September an der Küste entlang zum Laichen Richtung Mittelmeer und sein Rogen brachte noch mehr Gewinn. Um Thunfisch en gros zu fangen, musste man sich jedoch etwas einfallen lassen. Der Fisch ist kräftig, sobald Gefahr droht, weiß der Stier des Meeres seine Schwanzflosse schlagkräftig einzusetzen. Herkömmliche Fangmethoden taugten deswegen nicht und so entwickelten die Fischer etwas Neues: Ein ausgetüfteltes Labyrinth aus Netzfallen, genannt armação de atum oder almadrava, in das sich gleich mehrere Dutzend Thunfische gleichzeitig hineinverirrten. Vor Taviras Küste existierten vier Fallen mit bis zu 600 Hektar Größe: Senhora do Livramento, Abóbora, Medo das Cascas und Três Irmãos am Strand Praia do Barril.
Westlich von Tavira zweigt von der Nationalstraße N-125 ein Zubringer ab, führt durch den Tourismuskomplex Pedras d`El Rei und geradewegs zum Fußweg zum Praia do Barril. Parken kann man bequem am Seitenstreifen oder auf dem gebührenpflichtigen Parkplatz der Ferienanlage. Ein Kanal trennt die Insel vom Festland, auf den Dünen flimmern flach gebaute, weiß gekalkte Gebäude im Sonnenlicht – die ehemalige Thunfisch-Fischersiedlung. Gleich am Anfang der Strecke ist eine Hinweistafel mit Umgebungskarte aufgestellt. Eine zweite Tafel informiert über die ansässige Flora und Fauna, eine dritte über die momentan gültigen Covid-19 Regeln. Die Brücke über den Kanal führt zur Inselbahn. Die gemütliche Tour kostet derzeit € 1,90 pro Fahrt oder man spaziert an den Schienen entlang.
Auf der südöstlichen Kanalseite erkennt man das Fischerörtchen Santa Luzia und einen vom Kanal abzweigenden Seitenarm, der sich in die Marsch schlängelt. Auf dieser Wasserstraße wurde im Ruderboot alles Nötige für die Inselbewohner und den Thunfischfang transportiert. Erst später wurde der Transport auf die Schiene verlegt. Zuerst zog ein Maulesel einen Lasten-Pritschenwagen die etwa zwei Kilometer lange Schmalspur entlang, später eine ausrangierte Diesellok aus den Gruben in Mina de São Domingos. Der Fußweg führt über einen Damm mitten durch die Marsch. Bei Flut ein Paradies in leuchtend blau und grün. Bei Ebbe tummeln sich abertausende Winkerkrabben im Schlamm, sehr zur Freude heimischer Wasservögel, wie zum Beispiel Stelzenläufer, Silberreiher oder Meerschwalben. Ein Hain Zedernbäume schenkt unterwegs Schatten. Gleich hinter dem Wald gelangt man zur Endstation neben dem ehemaligen Wäscherinnenhaus.
Früher teilten sich die vier Gebäude auf in vier Komplexe. In den hinteren zwei Gebäuden wohnten die Fischer mit ihren Familien. Wand an Wand und Tür an Tür. Beengt und ohne Fenster. Das kleine Häuschen am Platz war der Stall für den Maulesel, im Holzofen dahinter wurde gemeinschaftlich Brot gebacken. Es gab einen Kaufmannsladen, eine Taverne und einmal pro Woche kam ein Barbier auf die Insel. Im vorderen Gebäude mit Aussichtskanzel waren Lager, Chefunterkünfte, Büro und Administration untergebracht. Nachdem 1972 lediglich ein Thunfisch den Fischern von Barril in die Falle ging, musste das Unternehmen schließen. Die Fischer wurden entlassen und zogen zurück auf das Festland. Die Gebäude standen leer, bis ein neuer Lizenznehmer für Barril gefunden war, nämlich die Betreibergesellschaft Pedras d`El Rei, die die einstigen Fischerhäuser zur Versorgungsstation für den öffentlichen Strandbetrieb umgewandelt haben. In den einstigen Lagerhallen ist heute das Restaurant Museu do Atum und ein von der in Santa Luzia ansässigen Assoziation für lokalen Kulturerhalt Lais de Guia ins Leben gerufene und betreute Dokumentationszentrum über die armação de atum untergebracht. Durch die in den beiden Gasträumen ausgestellten Fotografien, Fangzu-behör und Werkzeug, Modellboote und -Netze, erfährt man, wie die Fischer auf der Insel gelebt haben, wie viele Thunfische in welchem Jahr gefangen wurden, welche Bootstypen zum Einsatz kamen und wie die Thunfischfallen funktionierten. Nebenbei bemerkt, speist man dort hervorragend (nicht nur) Spezialitäten vom Thunfisch.
Eine maßstabgetreu nachgebaute Replik des Fallenlabyrinths vor der Insel demonstriert, wie die Fallen angelegt waren. Dreißig Meter hohe, im Zickzack wie Wände aufrecht ins Meer hineingestellte Tunnel aus Fischernetzen gespannt, unten beschwert mit Bleikugeln, oben markiert mit Korkbojen, gewährten dem flinken Jäger Einlass. Immer tiefer schwamm der ahnungslose Thunfisch in die Falle, bis zur letzten quadratisch angelegten Netzkammer, die sogenannte copo. An die Oberfläche gelockt, peitschte der Thunfisch das Wasser auf, bis es schäumte. Die Fischer knieten in ihren calão Booten, beugten sich über die Reling, um den sich aufbäumenden Fisch mit gebogenen Eisenhaken an den Kiemen zu erwischen und gemeinschaftlich mit Muskelkraft an Bord zu hieven. Die gezeigte Fotogalerie verbildlicht im Detail die übermenschliche Anstrengung der Thunfischfänger, Falte für Falte in ihre Miene eingraviert. Thunfischfang war ein Knochenjob. Die Bezahlung dürftig. Zugeteilte Mengen Fisch für den Eigenverzehr, Logis in rudimentären Unterkünften und etwas Handgeld, war alles, womit die Fischer entlohnt wurden. Trotzdem bot die almadrava etlichen Familien aus Santa Luzia jedes Jahr sechs Monate am Stück bezahlte Arbeit, eine Unterkunft, sowie eine funktionierende Gemeinschaft, erwachsen aus Solidarität der gemeinsam erlebten solitären Inselexistenz und den geteilten Gefahren am Arbeitsplatz Meer.
Damit das Fallenlabyrinth dem Gezeitenstrom standhielt, hat man die Netztunnel mit 250 bis 350 Kilogramm schweren Ankern beschwert. Zwölf Mann oder mehr schleppten jeden Anker einzeln von der Bahnstation durch den Sand bis zu den Booten, hievten ihn an Bord, und ruderten anschließend hinaus zur almadrava. Sobald der Vorarbeiter an der geeigneten Stelle das Zeichen gab und den Hut schwenkte, wurde der Anker über Bord geworfen. Trotz der über 200 Anker, konnte ein Sturm in den Sechzigerjahren verheerenden Schaden anrichten und hat alle Korkbojen von den Netzen fortgerissen. Kork sofort und in benötigter Menge als Ersatz aufzutreiben war unmöglich, deswegen spendete ein befreundeter Winzer dem Fischfangunternehmer leere Weinfässer, die anstatt Kork an die Fallen geknüpft als Bojen dienten. Ab sofort sah man vom Ufer aus Fässer wie Perlen aufgereiht im Meer schwimmen, was der Insel den Namen Barril, „Fass-Insel“ beschert hat.
Die Thunfischfallen entlang der Algarveküste fanden alle ein abruptes Ende, weil der Thunfisch einer neuen Route an der Küste vorbei folgte, zu weit entfernt um eine almadrava wie einst zu errichten. Die Netzlabyrinthe wurden abgebaut, die Anker gehoben – und die Thunfischfänger in Santa Luzia? Etliche haben sich dem Krakenfang verschrieben oder neue Tätigkeiten im Tourismusgewerbe gefunden. Die Anker der armação do Três Irmãos stehen aufrecht in den Dünen am Strand. In Gedenken an die Abermillionen Schweißtropfen der Thunfischfischer. Festhalten brauchen die Anker nichts mehr – außer die Erinnerung.
Das japanisch-portugiesische Fischfang-Unternehmen Tunipex aus Olhão lockt seit Mitte der 1990er den Blauflossen-Thunfisch mit moderner Technologie und unter Erfüllung aller auferlegten Artenschutzbedingungen in die Falle. Basierend auf den Kenntnissen ehemaliger Fischer entstand vier Kilometer vor der Küste, zwischen Olhão und Fuzeta, ein künstliches Riff in einem artgerecht großen Netzbecken, wo hinein die Thunfische angefüttert schwimmen, und bleiben, damit die sensiblen Tiere weder in Panik verfallen noch unter Stress gefangen werden. Der Qualitätsanspruch ist hoch, die Fangquote geregelt, der Thunfischbestand kontrolliert. So lebt der Thunfischfang im dritten Jahrtausend fort – und schenkt dreißig Familien eine sichere Existenz.
Porträt:
Ins Leben gerufen hat die Rota do Atum die Archäologin Brígida Baptista aus Santa Luzia mit ihrem Projekt zur Erhaltung des lokalen maritimen Kulturgutes Roteiros da Pesca de Santa Luzia. Der gemeinnützige Verein Lais de Guia – Associação Cultural do Património Marítimo erfährt hierfür finanzielle Unterstützung vom Rathaus von Tavira sowie vom Gabinete de Apoio Local Sotavento für die Umsetzung. Nun hofft Brígida im nächsten Schritt auf eine zweisprachig gestaltete und vollständige Beschilderung der markanten Punkte auf beiden Routen über den Thunfischfang und über den Krakenfang sowie auf die im Aufbau befindliche App. In Kooperation mit dem Centro de Ciência Viva de Tavira bietet Brígida regelmäßig gemeinnützig geführte Routen an. Auf eigene Faust unterwegs wächst das Interesse an der maritimen Bedeutung von Santa Luzia eigenständig, sagt sie, die Rota do Atum sensibilisiert anschaulich pädagogisch die Wertschätzung für die tatsächliche Arbeitsleistung der Fischer, früher wie heute.
Facebook:
https://www.facebook.com/associacaolaisdeguia
Termine und Infos über sämtliche Aktivitäten. Die Rotas finden auf
Portugiesisch, nach vorheriger Absprache auf Englisch statt.
Tipp:
Im Hotel Vila Galé Albacora östlich von Tavira gelegen, befindet sich ein weiteres Dokumentationszentrum über den Thunfischfang in der ehemaligen armação da Abóbora. Die Straße mit integriertem Rad-/Fußweg dorthin durchquert Meersalzsalinen und endet direkt in der Lagune am Strand. Unterwegs passiert man die Ruine des einstigen Forte do Rato, erbaut zum militärischen Schutz der Thunfischfalle gegen Fischfang-Piraten.
Kulinarische Tipps:
Estupeta de atum – gebeizter und in Streifen gezupfter Thunfisch mit Tomaten, Paprika und Zwiebeln
Muxama de atum – luftgetrockneter Thunfischschinken aus dem Rückenfilet
Barriga de atum grelhada – saftige Bauchstücke herzhaft gegrillt
Bife de atum algarvio – Thunfischsteak in Zwiebel-Paprika-Tomatensud gesotten
Ceviche de atum – gesalzene und gesäuerte hauchdünne Scheiben Thunfisch, roh serviert
Bife de atum na brasa – Thunfischsteak, japanisch kurz gegrillt wie ein Steak à point
Text und Fotos: Catrin George Ponciano in ESA 10/20