Bootsausflug von Setúbal nach Alcácer do Sal
Am Fuße der Serra da Arrábida öffnet der Sado seine Ufer, mündet in die von der Sanddüne Troía umarmte Bucht von Setúbal und lädt ein zu einer Erkundungstour mit dem Boot in das Wasservögel-Paradies und in die Heimat einer Familie der Großen Tümmler
Der Fluss Sado, der von Süden nach Norden fließt und in den Atlantik mündet, findet seinen Weg durch das Naturreservat Reserva Natural do Estuário do Sado in die Bucht von -Setúbal am Fuße der Serra da Arrábida, des Gebirgszuges südlich von Lissabon. Über 25.000 Hektar groß ist sein Schwemmgebiet und bietet gesetzlich geschützten Lebensraum mit Babystube für über einhundert Sorten Schaltiere, Niststätte und Nahrung für Wasservögel sowie eine Heimat für eine von weltweit zwei sesshaften Delfinfamilien der Großen Tümmler. Umarmt wird das Flussdelta im Süden und nach Westen von der Sanddünenlandschaft der Reserva Botânica das Dunas de Tróia, Naturreservat für eine Reihe endemischer Pflanzenspezies, die an der Spitze der Halbinsel Tróia ihr Ende findet.
Alcácer do Sal, Setúbal und Tróia, verbindet neben der gemeinschaftlichen Naturschutzzonen eine gemeinsame Geschichte, und die führt zum weißen Gold der Antike – Salz. Bereits Phönizier und Römer machten sich die Gezeiten im Schwemmgebiet des Sado zunutze und legten am südlichen und nördlichen Ufer Meersalzsalinen an. Das geerntete Salz wurde mit Lastkähnen transportiert, mit sogenannten Galeões do Sal flussabwärts und noch im vergangenen Jahrhundert bis auf die Märkte in Frankreich und Holland exportiert. Nachdem der Transport auf vier Rädern und Schienen den zu Wasser überflüssig gemacht haben, wurden die Galeões do Sal ausgemustert und etliche Salinen stillgelegt.
Der setubalense Unternehmer Jorge Miguel Andrade Pina kennt die Geschichte seiner Heimatstadt von seinen Eltern und Großeltern und wuchs traditionsbewusst auf. Bereits als Junge verstand er ökologische Zusammenhänge in der Natur, zu Wasser und zu Land sowie in der Serra da Arrábida im Naturpark, wo er viele Jahre aktiv für Umwelterhalt tätig war. Als die von den in Setúbal ansässigen Industrien abgeleiteten Abwässer in den späten 90er Jahren den Bestand der Delfinfamilie von über 50 Tieren auf unter 20 dezimierte und das kontaminierte Meerwasser außerdem noch flächendeckend das Austernsterben sowie das Absterben essenzieller Mikroalgen im Mündungsdelta des Sado provozierte, setzten er und Gleichgesinnte sich gemeinsam massiv für rigorose Umweltauflagen ein. Um auf die Missstände im Estuário do Sado aufmerksam zu machen ließen Jorge Miguel und Gleichgesinnte, unter der Schirmherrschaft von Ocean alive, die ehemalige Salzroute von Alcácer do Sal nach Setúbal zur Weltausstellung 98 in Lissabon neu auferstehen. Hierfür wurden zwei Galeões do Sal vom Bootstyp Hiate de Setúbal nachgebaut. Mit Salz beladen segelte Jorge Miguel mit Crew von Tróia bis Cadiz und zurück, um auf den sozioökonomischen Wandel aufmerksam zu machen sowie Vorschläge zu unterbreiten, wie man die Kulturidentität Setúbals wahren könne.
Im Jahre 2005 gründete Jorge Miguel in Setúbal das Naturtourismus-Unternehmen Rotas do Sal und leitet heute gemeinsam mit seinem Kompagnon Nuno Juzarte eine Flotte mit zwei Motoryacht-Ausflugsbooten sowie in Kooperation mit anderen Eignern drei Hiate-Repliken. Die Ausflüge bringen Naturneugierige in die Bucht von Setúbal, entlang der Ausläufer der Serra Arrábida in das Habitat der Tümmlerfamilie oder in das Schwemmgebiet zur Vogelobservation. Im Café mit Lädchen in der städtischen Markthalle Livramento, die vom TIMES Magazin erst kürzlich zum schönsten Markt Portugals ernannt wurde, kann man ausgesuchte regionale Produkte erwerben und bei einem galão mit Klostertörtchen seinen Wunschausflug buchen: Delfinbeobachtungen, Küstentouren -entlang der Sanddüne von Tróia, Weinprobe, Austernverkostung oder Tapas im Sonnenuntergang an Bord mit Blick auf die Gebirgskette mit ihren paradiesischen Strandbuchten, auf Tróia und das karibisch türkisblaue Meer.
Der Firmenname bedeutet Salzroute und verrät Jorge Miguels Intention. Die Bucht von Setúbal in ihrer einzigartigen Schönheit und Vielfalt hinsichtlich Flora und Fauna möchte der naturverbundene Skipper seinen Gästen vermitteln. So erfahren diese an Bord mit Jorge Miguel und seiner dynamischen Crew eine Menge Wissenswertes über die Geschichte der Gegend und welche Tiere sich hier besonders heimisch fühlen. Über die Biodiversität der Tier- und Pflanzenwelt, vor allem über die Vielfalt der Wasservögel, die im Naturreservat Sado nisten oder als Zugvögel überwintern, erfährt man besonders umfangreich auf der neuen Route flussaufwärts von Setúbal nach Alcácer do Sal.
Treffpunkt zum Halbtagesausflug an Bord ist am Hafenbecken am Cais das Fontainhas, gleich neben dem Anlegesteg der Autofähre nach Tróia gelegen. Kaum den Hafen verlassen, verfolgen die momentan 30 Tiere zählenden „Flipper“ von Setúbal die Motoryacht Acala. Blitzschnell tauchen die bis zu vier Meter langen und 500 Kilogramm schweren erwachsenen Meeressäuger neben dem Boot auf, unter dem Kiel hindurch und springen in die Luft. Zu schnell, um all ihre Sprünge im Sucher der Kamera einzufangen. Der Kapitän schaltet den Motor herunter. Nicht füttern, nicht anlocken, einfach genießen, bittet er seine Gäste. Die golfinhos nähern sich dem Boot ohne Scheu, sie kennen den Klang des Motors.
Mit steigender Flut beginnt die Bootsreise mitten durch das drittgrößte Feuchtgebiet Portugals bis zum 50 Kilometer entfernten Alcácer do Sal. Gemächlich pflügt die Motoryacht Wassermassen zur Seite, die als Wellenkamm an beiden Ufern auslaufen und Meer-äschen zum Springen animieren. Flamingos, Reiher, Störche, Meerschwalben stehen am Ufer Spalier, sie staken im Schlamm umher auf der Suche nach Leckerbissen. Hin und wieder zieht ein Greifvogel seine Kreise, scheucht die Vogelschar auf, bevor sie wenige hundert Meter entfernt wieder landen und sich vom König der Lüfte nicht weiter stören lassen.
Hinter aufgehäuften Erdwällen an beiden Ufern, dicht bewachsen mit Seegras, lagen früher Salinen, die heutzutage zu Reisfeldern umfunktioniert, drainiert, mit Mutterboden aufgeschüttet und mittels Kanalsystem mit Süßwasser bewässert, ein Drittel der Reisproduktion Portugals mit etwa 50.000 Tonnen Carolino-Rundreisertrag erster Güte abdecken. Die Steine für die Schutzwälle zwischen Sado-Ufer und Feldern haben einst die entleerten Salzboote aus Holland und Frankreich mit zurück nach Portugal und in den Sado gebracht. Die Steine wurden ausgeladen und gestapelt, als Schutz gegen Springflut. Hinter den Reisfeldern erheben sich Dünen zu Hügeln, dicht bewachsen mit Schirmpinien.
Hin und wieder steht ein Steg auf Stelzen windschief in den Fluss hinein gebaut. Manche dienen Flussfischern noch als Ablagefläche für Netze und Angelzubehör, andere modern vor sich hin, bis der Fluss die morschen Bohlen eines Tages mit sich reißt. Es waren einst über 50 solche Stelzenstege, von denen das weiße Gold direkt nach der Ernte verladen den weiten Weg bis auf holländische Märkte angetreten hat.
Weiter windet sich der Sado in langgezogenen Kurven durch die sattgrüne Landschaft, hin und wieder trotzt die Ruine eines früheren Salzhauses dem Zahn der Zeit, ein Fischer winkt mürrisch, als das Boot Heckwellen schlägt und die gewünschte Beute aufgeregt aus den Wellen hüpft, anstatt den Köder zu schlucken. Nach knapp zwei Stunden Bootsfahrt rückt erst die Eisenbahnbrücke der Linha Sul von Lissabon an die Algarve ins Blickfeld, danach die Autobahnbrücke A2, die ehemalige Eisenbahnbrücke, die Burgfeste, das Rathaus, die Uferpromenade von Alcácer.
Eine dreiviertel Stunde Zeit steht den Gästen für die Erkundung durch die Unterstadt zur Verfügung, bevor Kapitän Jorge Miguel zum Aufbruch hupt und es mit auslaufender Flut flussabwärts zurück bis nach Setúbal geht. Die Eindrücke während der Fahrt sind vielfältig und besonders kontrastreich im Industriehafen von Setúbal mit seinen Werften, Containerkränen, Lotsenbootstation und Schiffsfriedhof.
Die Gegend entlang der Salzroute ist weitläufig, an allen drei Ufern gibt es reichlich Spannendes zu entdecken. Touristisch ist die Region im Naturpark des Sado größtenteils noch unerforscht und gerade deswegen und dank ihrer unberührten Natur derart facettenreich, dass es sich auf jeden Fall lohnt wiederzukommen, um die alte Burgstadt Alcácer do Sal ganz zu erobern, um in der maritimen Fischerhafenmetropole Setúbal das Flair einer modernen Stadt zu genießen, um in der Marschlandschaft Flamingos und Co. aufzulauern. Von den möglichen Abenteuern in der Serra da Arrábida ganz zu schweigen. Ahoi.
Text: Catrin George Ponciano in ESA 06/2021
Fotos: Catrin George Ponciano; Ungapitproject/José Palma
Info:
https://rotasdosal.pt