Ein botanischer Ausflug mit Ausblick
Der Parque Natural do Sudoeste Alentejano e Costa Vicentina wurde 1995 zum Naturschutzpark erklärt, weil er eine einzigartige Pflanzenwelt einschließt. Für viele bleibt diese jedoch unentdeckt, denn es ist nicht immer einfach, den Blick von der atemberaubenden Felsenküste abzuwenden
Der Naturpark (PNSACV) erstreckt sich auf 110 Kilometern zwischen São Torpes bei Sines und Burgau bei Vila do Bispo. Insgesamt sind es 131.000 Hektar, auf denen 35 Biotope anzutreffen sind. In ihnen leben 1.000 Pflanzenarten. Hundert davon sind in Portugal und an der gesamten Westküste endemisch, darunter zwölf, die nur im Raum Sagres vorkommen. Es gibt 200 Vogelarten, von denen 26 an den Klippen nisten. Beeindruckende Zahlen, die eine noch beeindruckendere Landschaft beschreiben und die dazu führten, dass die Regierung die Gegend bereits 1988 zum Schutzgebiet erklärte.
Ana Carla Cabrita hatte das Privileg, in diesem Gebiet aufzuwachsen. Dort, wo sie heute Touristen entlangführt, spielte sie als Kind mit ihrer Schwester. Doch damals ahnte sie noch nicht, welche Schätze sich dort verbergen. So ergeht es auch vielen Touristen, die jährlich das Kap São Vicente, den Leuchtturm, die Festung von Beliche oder die Festung von Sagres besuchen und entlang der Küste wandern. Ihre Augen richten sich meistens zum wilden Atlantik und zu den imposanten Felsen, selten auf den Boden. Doch genau dort findet man das, was dieses Gebiet einzigartig macht.
Carla entdeckte den wahren Reichtum der Costa Vicentina erst als Erwachsene. Nach einer Reise im Jahr 2001 in Patagonien, wo stark auf Naturtourismus gesetzt wird, wurde ihr klar, dass die Costa Vicentina zwar viel kleiner als die südamerikanische Region ist, aber eine außergewöhnliche Landschaft und Artenvielfalt zu bieten hat. Von der Idee bis zum Start der geführten Wanderungen vergingen – dank der allerorts berüchtigten portugiesischen -Bürokratie – neun Jahre. Die Zeit nutzte Carla, um Ausbildungen in den Bereichen Naturtourismus und Botanik zu absolvieren. Mittlerweile dürfte sie eine der bestinformierten Personen über die Flora der Westküste sein und sie veröffentlichte außerdem 2015 zusammen mit Ana Luísa Simões den portugiesisch-englischen Pflanzenführer „200 Plantas do SW Alentejano & Costa Vicentina“, der erste für dieses Gebiet.
„Das Kap São Vicente weist die höchste Anzahl von Endemiten im Land auf“, so Carla. „Endemiten der Iberischen Halbinsel, von Portugal und vom Bereich dieses Schutzgebietes“. Einige davon sehen wir während der Wanderung wie den Thymos camphorathus (Tomilho-do-mar), eine Thymianart, die nur im Naturpark vorkommt; die Astern-Unterart Teucrium vicentinum (Pólio vicentino) aus der Familie der Lippenblütler, die nur an der Costa Vicentina vorkommt und nicht einfach auszumachen ist, da sie inmitten anderer Pflanzen wächst; den Ulex erinaceus (Tojo de Sagres) aus der Gattung des Stechginsters, der, wie der Name bereits sagt, nur im Raum Sagres wächst; der Tragant Astragalus tragacantha (Alquitira do Algarve), der ebenfalls nur an der Costa Vicentina vorkommt; oder die Cistus palhinhae (Esteva de Sagres), eine Lackzistrose, die nur in diesem Gebiet vorkommt und die leicht von der Cistus ladanifer zu unterscheiden ist, da ihre Blüte nicht deren dunkelrote Punkte hat. Auch ihre Blätter sind anders geformt.
Weitere Endemiten sind die Möhrenart Daucus carota subsp. Halophilus (Cenoura-das-arribas), ein Doldenblütler der portugiesischen Westküste; das Heidekrautgewächs Corema album (Camarinha), das im Westen der Iberischen Halbinsel und auf den Azoren vorkommt; der Dittrichia viscosa subsp. Revoluta (Tavega, Breitblättriger-Klebalant), der nur in Portugal vorkommt; oder die Viola arborescens (Violeta de Sagres), eine Veilchenart der Iberischen Halbinsel, die in Portugal aber nur im Naturpark Costa Vicentina wächst. Es handelt sich um eine kleine, scheinbar fragile Blume, dessen Stiel verholzt. Während wir dem breiten Pfad folgen, reiben wir immer wieder behutsam an verschiedenen Pflanzen, nehmen ihren Duft auf und staunen über die intensiven und angenehmen Aromen. Carla macht auch darauf aufmerksam, wie wichtig es ist, stets den Pfaden zu folgen, um die Pflanzen zu schützen. Pflücken soll man sie erst recht nicht. „Das kann zum Aussterben einer gefährdeten Art führen“, warnt sie.
Neben der biologischen Vielfalt besitzt der Naturpark auch unterschiedliche Lebensräume wie Küsten-Heiden und temporäre Teiche, die innerhalb des Naturparks als -seltene Biotope beziehungsweise prioritäres Habitat gelten, kleine Wasserläufe, Felsen und Dünensysteme, Strände und Wälder. Jeder Lebensraum ist durch eine bestimmte Flora gekennzeichnet. „Das Gebiet bietet eine enorme Vielfalt auf einer relativ kleinen Fläche“, fasst Carla zusammen. „Oft entdecken wir auf wenigen Quadratmetern bis zu zwölf Pflanzenarten, die in Symbiose leben“, erklärt sie enthusiastisch und zeigt sogleich um sich herum, um ihre Aussage anhand eines Beispiels zu kräftigen. „Hier direkt neben uns können wir Lackzistrosen, Mastixsträucher, Wacholder, Kermeseichen, wilde Oliven-Sträucher, die Zambujeiro genannt werden, die sandelholzartige Osyris quadripartita, wilden Spargel und verschiedene Ginsterarten sehen.“
Nicht alle Pflanzen sind Halophyten, doch sie sind alle an die salzhaltige Luft sowie an die trockenen, windigen Verhältnisse hier optimal angepasst. Dies führt dazu, dass auch Pflanzen, die zu Bäumen wachsen sollten, -lediglich Sträucher bleiben. „Die Mehrzahl der Pflanzen ist kleinwüchsig und sie sehen sehr fragil aus, sind aber sehr stark und resistent“, so Carla. Daher bezeichnet sie das Gebiet gerne als „Bonsai-Garten“. Bäume, vor allem Kieferarten, gibt es nur weiter im Landesinneren und dort wurden sie von Menschen gepflanzt (s. Castelejo-Route, ESA 12/16).
Die Farbpalette ist beeindruckend und zu jeder Jahreszeit gibt es irgendeine Pflanze, die gerade blüht. Derzeit unter anderem der Crocus serotinus (wilder Safran). Carla räumt jedoch ein, dass diese Landschaft zwischen März und Mai am schönsten ist. „Dann blühen die meisten Pflanzen und es ist wirklich traumhaft schön“, sagt sie mit strahlenden Augen.
Eine der Pflanzen, die zu ihrer Blütezeit definitiv zur Farbenpracht der Landschaft beiträgt, ist die Carpobrotus edulis (Essbare Mittagsblume). Es handelt sich jedoch um eine vom Menschen zur Befestigung von Dünen eingeführte Pflanze aus Südafrika, die zu einem invasiven Neophyten wurde. „Wenn Pflanzen importiert werden, bringen sie ihre natürlichen Feinde nicht mit, was zur Folge hat, dass sie sich unkontrolliert verbreiten, die anderen Pflanzen verdrängen und ihnen die Nährstoffe nehmen“, erklärt Carla. An der Westküste, wo die Mittagsblume sich oft über enorme Flächen erstreckt, werden regelmäßig Aktionen zur ihrer Entfernung durchgeführt. Carla stimmt diesen Aktionen nicht ganz zu, da „meistens einfach alles, auch andere Pflanzen, die zwischen den Wurzeln der Mittagsblume wachsen, aus dem Boden gerissen wird und dieser dann vollkommen der -Ero-sion ausgesetzt ist. Zudem müsste mittlerweile klar sein, dass dies nicht wirksam ist, denn seit über zehn Jahren werden solche Aktionen durchgeführt und die Pflanze wächst weiterhin“. Im Laufe der Jahre hat sie beobachtet, dass der Wuchs dieser Pflanze an manchen Stellen von alleine zurückgegangen ist. „Die Mittagsblume ist zwar eine invasive Art, aber auch eine schöne und, wie der Name schon sagt, essbare“, fügt Carla lächelnd hinzu, während sie an einer dieser Blumen zupft. Dann reicht sie uns die Frucht, die leicht einer Feige ähnelt und die im Inneren ein geleeartiges, süßsaures Fruchtfleisch aufweist.
Wir nähern uns den Häusern der Herdade do Vale Santo. Der gesamte Ausflug verläuft innerhalb der Privatgrundstücke dieses Landgutes. Der Schotterweg, dem wir folgen, war Teil des São Vicente-Pilgerweges und das Landgut die letzte Station vor dem Kap. „Auch nachdem der Leichnam von São Vicente im Jahr 1173 vom Kap nach Lissabon überführt wurde, kamen bis zum 15. Jahrhundert viele Pilger weiterhin hierher“, berichtet Carla. „Selbst heute trifft man noch einige.“ Das Landgut, in dem die Pilger sich früher von der langen Reise erholen konnten, dient inzwischen lediglich zwei Hirten als Zuhause. Ziegen, Schafe und Kühe weiden heute auf den früher bewirtschafteten Feldern.
Kurz darauf kreisen über uns laut kreischend drei Wanderfalken und wenig später entdecken wir auch zwei Alpenkrähen, eine in Portugal gefährdete Art, deren Bestand hier am Kap aber noch relativ hoch und das ganze Jahr über zu beobachten ist. Sie gehören zu den Vogelarten, die an den Felsen nisten.
Die Costa Vicentina ist der einzige Ort weltweit, an dem auch Störche ihre Nester auf die Felsen bauen und an der Nordseite der Praia do Telheiro ist ein solches Storchennest zu sehen. Die Felsformation dieses Strandes ist aber auch von extrem hohem geologischem Interesse. Hier treffen die stark zerklüftete Bergkette aus Schiefermassiv mit schwarzen Farbtönen, die vor 300 Millionen Jahren gebildet wurde und sich die Westküste entlangzieht, und die vor zirka 200 Millionen Jahren entstandene südliche Bergkette zusammen, die aus hellem Kalkstein und rotem Sedimentgestein besteht. Ein Aussichtspunkt, der einem wirklich den Atem raubt und an dem die Erdgeschichte offen zutage tritt. Wir genießen den Ausblick und von Carla gespendeten Tee und leckeren Johannisbrot-Kuchen, bevor wir zur Festung von Beliche und somit zum Ziel des Ausfluges weiterwandern.
Text: Anabela Gaspar
ESA 01/2017
Walkin’Sagres
Ana Carla Cabrita
Mob.: 925 545 515
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Carla bietet unterschiedliche Routen an und passt sie auch an die Wünsche der Kunden an. Zum Angebot gehören ebenfalls kürzere Wanderungen für Eltern mit Kleinkindern. Das Traggestell für Babys stellt sie zur Verfügung.