Die Kleinstadt in der Ostalgarve hat viel Geschichte und Charme sowie einige Sehenswürdigkeiten aufzuweisen. Hinzu kommt eine umliegende Landschaft, die ihresgleichen sucht. Wasser- und Zugvögel haben die Idylle längst für sich entdeckt
Ende der 1980er Jahre fuhr ich zweimal am Tag durch Castro Marim – zur Schule in Vila Real de Santo António und zurück nach Monte Francisco, wo ich damals lebte. Die Ortsumgehung gab es nicht und die EN 122, die mitten durch die Kleinstadt führte, war im Ort so schmal, dass ich stets befürchtete der Bus würde die Hausfassaden streifen. Danach zog ich nach Vila Real und kurz darauf wurde die Umgehungsstraße gebaut. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal durch Castro Marim gefahren bin, doch allzu viel hat sich seit den 80ern nicht geändert. Die Kleinstadt erstreckt sich inzwischen ein wenig nach Westen und Nordwesten. Dort entstanden neue Wohngebiete, eine neue Schule und eine Sporthalle. Der Stadtkern blieb weitgehend unverändert – ist aber nicht verfallen! Die Häuser sind gepflegt, strahlen weiß getüncht in der Sonne, die Fensterbänke sind mit Blumentöpfen geschmückt und die Straßenbeleuchtung im Retrostil trägt zusätzlich zum Charme bei. Für mich ist der Platz unterhalb der Hauptkirche das schönste Fleckchen in der Kleinstadt. Auf der Terrasse vor dem Café an der Ecke genießen einige Touristen die Sonnenstrahlen. Früher war hier eine Kneipe, in der die Männer am Morgen ihren mata-bicho tranken, einen Kurzen, der morgens auf leeren Magen getrunken wird und das Immunsystem stärken soll…
Oben thront die Kirche Nossa Senhora dos Mártires – ein imposantes Bauwerk, verglichen mit den kleinen Häusern drumherum – und oberhalb der Kirche die Burganlage, die die Wiege der Ortschaft bildet. Laut archäologischen Untersuchungen war die Anhöhe, auf der sich die Burg befindet, schon in der Bronzezeit besiedelt. Auch Phönizier, Griechen, Kartaginesen und Römer ließen sich dort nieder. Für die Errichtung der ersten Burg sollen die Mauren zuständig gewesen sein. Ein kleine rechteckige Festung mit vier Wachtürmen, in der sich heute das Burgmuseum befindet. 1242 wurde Castro Marim von den Streitkräften von D. Paio Peres, Großmeister des Santiago-Ordens, im Rahmen der Reconquista erobert. 1277 verlieh König D. Afonso III Castro Marim die Stadtrechte und ließ die Burg, die bei den blutigen Schlachten der Reconquista zerstört wurde, neu errichten. Die Burgmauer ließ 1303 sein Sohn D. Dinis bauen, nachdem er den Vertrag von Alcañices mit dem kastilischen König abschloss, der die Grenzen zwischen Portugal und Kastilien festlegte. Portugal verlor dabei Ayamonte und daher beschloss der König die Grenze an dieser Stelle zu verstärken. Die Bedeutung der geostrategischen Lage der Burg wird erst erkennbar, wenn man oben an der Zinnenmauer steht und den gesamten Grenzraum zwischen Spanien und Portugal überblickt.
Weiter an Bedeutung gewann die kleine Ortschaft, als sie 1319 zum Sitz des Christusordens, der Nachfolgeorganisation der verbotenen Tempelritter, wurde. Während die Tempelritter vielen Herrschern in Europa ein Dorn im Auge waren, weil sie riesige Ländereien besaßen und an keinen Königshof Steuern abführten, spielten sie in Portugal eine entscheidende Rolle bei der Reconquista. D. Dinis wollte sowohl den Templern als auch dem Papst gegenüber loyal sein, also vollzog er den päpstlichen Bann auch in Portugal, rief aber gleichzeitig den Christusorden ins Leben, mit nahezu identischer Satzung, seinen Besitzungen und personeller Besetzung. Nach dem Umzug des Christusordens 1356 nach Tomar erlebte die Siedlung einen Niedergang. Die neue Bevölkerung verzog sich so schnell, wie sie angerückt war. Mit der Eroberung von Ceuta 1415 und dem Beginn der portugiesischen Expansion erlangte Castro Marim – erneut wegen seiner Lage – neue Bedeutung als Verteidigungspunkt gegen nordafrikanische Angriffe. Um die Besiedlung der Ortschaft zu fördern, verlieh 1421 König João I Castro Marim das Sonderrecht ,,Lehnsgut für Flüchtlinge”. Strafgefangene konnten sich frei ansiedeln und ein neues Leben beginnen. Eine bescheiden erfolgreiche Regelung, denn die Nachbarn schauten mit Argwohn zu und befürchteten eine Brutstätte frei -aufwachsender Verbrecher.
Dennoch wuchs die Gemeinde. Im 16. Jh. wurde die Burganlage zu klein, sodass die ersten Häuser rund um die Burgmauer gebaut wurden. Auch die Santiago-Kirche aus dem 14. Jh. innerhalb der Anlage erwies sich als zu klein für die Gläubigen der Gemeinde. Eine neue Wallfahrtskirche, die Ermida Nossa Senhora dos Mártires, wurde direkt unterhalb der Burg errichtet – für die „Märtyrer“, die außerhalb der Festung unbeschützt leben mussten, daher der Name. Zur Hauptkirche wurde sie jedoch erst nachdem die Santiago-Kirche bei dem Erdbeben von 1755 zerstört wurde. Damals wurde die Wallfahrtskirche erweitert, die Bauarbeiten liefen bis 1834. Heute prägt sie das Stadtbild von Castro Marim und herrscht über den kleinen Hauptplatz.
Dieser Platz war lange das Zuhause eines Storches, der Teil der Geschichte der Stadt wurde. Laut Paulo Tomé vom Naturschutzinstitut ICNF wurde dieser Storch, weil er das schwächste Küken war, aus dem Nest geworfen. Ein Kollege von Paulo fand den Jungvogel und nahm ihn zu sich. Der Storch wuchs in Castro Marim auf, hielt sich am liebsten auf dem Platz vor der Kirche und in der Burganlage auf und wurde von der Bevölkerung schnell ins Herz geschlossen. Es gibt viele lustige und kuriose Geschichten über ihn. Paulo erinnert sich, dass bei Burgbesichtigungen von Schülern der Storch stets vor der Gruppe stolzierte, als ob er die Führung übernehmen würde. Oft mussten Fußballspiele des lokalen Vereins unterbrochen werden, weil er mitten auf dem Fußballplatz landete oder Schiedsrichter verfolgte, die ein Foul nicht pfiffen. Auch ich habe eine lustige Episode mit der Cegonha de Castro Marim erlebt. Es war Sommer, meine Schwester und ich saßen im Auto bei geöffneten Fenstern und mussten fliehen, als plötzlich der Storch im Auto saß. Als er mit etwa drei Jahren ein Nest bauen wollte, soll die Eigentümerin des Hauses, das er als Standort wählte, einen Besen nach ihm geworfen und ihm dabei die Beine gebrochen haben. Paulo und seine Kollegen vom ICNF kümmerten sich um den Storch, doch er überlebte nicht. In der Erinnerung der Castromarinenses wird er aber immer weiterleben.
Dass der Storch nicht vergessen wird, sieht man auch im Mercado Municipal, der ehemaligen städtischen Markthalle, in der die Skulptur eines lebensgroßen Storches steht. Die Markthalle ist heute eine Art Schaufenster regionaler Produkte und Tourismusbüro und liegt nur wenige Meter westlich vom Hauptplatz entfernt. Dort kann man das Salz und das Flor de Sal aus den umliegenden Salinen kaufen. Keine andere Stadt der Algarve ist so von den Salinen und der Salzgewinnung geprägt wie Castro Marim. Das Meersalz ist tatsächlich das Weiße Gold der Kleinstadt. Aber bevor ich von den Salzgärten schwärme, widme ich mich der Casa do Sal, die seit 2014 direkt am großen städtischen Parkplatz in einem ehemaligen Salzlager liegt, und Ausstellungen sowie Vorträgen dient. Die Dauerausstellung ist natürlich dem Thema Meersalz und Salinen gewidmet und in der Rezeption können unter anderem ein wunderschöner Bildband zur Salzgewinnung und Meersalz gekauft werden.
Mein nächster Stopp ist das Forte de São Sebastião und das Forte de Santo António, heute Revelim de Santo António genannt. Beide Festungen wurden in Folge des Unabhängigkeitskrieges mit Spanien ab 1641 gebaut – wieder einmal schenkte das portugiesische Königshaus der kleinen Stadt am Rande des Reiches nur wegen ihrer strategischen Lage Aufmerksamkeit… Beim Bau der Festung São Sebastião auf der südlich von der Burg gelegenen Anhöhe wurde eine Wallfahrtskapelle zerstört, dafür eine neue in der nach Osten gerichteten Festung errichtet und Sankt Antonius gewidmet. Während das Forte de São Sebastião eines der besterhaltenen Exemplare seiner Art in der Region ist, hat das Forte de Santo António, mit Ausnahme der Wallfahrtskapelle und einigen kleinen Mauerüberresten, die Zeit nicht überstanden. Am Südhang des Hügels wurde vor einigen Jahren eine etwas pompöse Freizeitanlage erstellt, die scheinbar von der Bevölkerung keine Zuneigung bekommt. Neben der Wallfahrtskapelle und einer Windmühle befindet sich auf dem Hügel auch das Interpretationszentrum von Castro Marim (nur nach Absprache zu besichtigen). Doch es sind die Salzgärten deren Anblick uns hier oben fesselt. Das Muster, das diese von Menschen bereits im 8. Jh. vor Christus zur Salzschöpfung geschaffte Becken bilden, ist beeindruckend. Und es sind nicht nur die Salzbauer, die von ihnen profitieren. Für die Vögel sind die Salinen lebenswichtig. Sie bieten ihnen ideale Schutz-, Nahrungs- und Brutbedingungen. Sollte die Salzschöpfung eingestellt werden, würde die Anzahl der geflügelten Wintergäste hier dramatisch zurückgehen oder gar ganz ausbleiben. Das hier vorherrschende Gleichgewicht zwischen der wirtschaftlichen Aktivität und der Natur ist selten und deshalb umso beeindruckender. Das Gebiet kann zu Fuß erkundet werden. Direkt durch die traditionellen Salinen bei Castro Marim führt der nur zwei Kilometer lange Pfad ,,PR Salinas Tradicionais”; der ,,PR Cerro do Bufo” ist mit zehn Kilometern der längste und wohl interessanteste (s. ESA 11/2010 und ESA 11/2016). Informationen zu den jeweiligen Pfaden können bei Odiana, dem Verein zur Entwicklung des Guadiana-Gebietes, gegenüber vom Mercado Municipal, bezogen werden oder online. Einfach in der Suchmaschine den Namen der Route eingeben. Der Ausflug bei den industriellen Salinen im Cerro do Bufo kann auch auf dem Rad erfolgen – vor allem nachdem vor Kurzem der neue Radweg zwischen Castro Marim und Vila Real de Santo António eingeweiht wurde.
Leider ist die Salzschöpfung, vor allem die nach traditioneller Art, also per Hand, keine sehr rentable Tätigkeit. Weshalb jeder der dieses Gebiet besucht die marnotos unterstützen sollte. Ein kleiner Abstecher in die Loja do Sal der lokalen Salz-Kooperative neben der alten Markthalle, ist in dieser Hinsicht sehr hilfreich und sicher nicht uninteressant. Andere Salzbauer sind umgeschwenkt. So beispielsweise die Eigentümer von Água Mãe, die einen Salz-Spa unter freiem Himmel eröffnet haben (s. ESA 09/2015), der ab Anfang April wieder besucht werden kann. Es gibt also viel zu sehen und zu erleben. Wer es etwas ruhiger mag, sollte den zweiten Samstag eines jeden Monats meiden, da dann der Markt stattfindet.
Text & Foto: Anabela Gaspar
veröffentlicht in ESA 03/2020