Die mittlerweile vom Verein Rota Vicentina markierte Route zwischen Burgau und Boca do Rio verlangt Wanderern einiges ab. Es geht buchstäblich rauf und runter. Dafür wird man aber reichlich belohnt mit atemberaubenden Ausblicken und (fast) menschenleeren Stränden
Bevor uns der berüchtigte Virus einholte, hatten wir Ende 2019 und Anfang 2020 die Küste von Lagos, von der Ponta da Piedade bis Burgau, zu Fuß erobert. Wir waren zutiefst von der Landschaft beeindruckt und es stand fest, dass wir weiter bis zum südwestlichen Ende des portugiesischen Festlandes bei Sagres wandern würden. Doch es folgten der Lockdown und der Sommer, der viel zu heiß war, um Wanderungen zu unternehmen. Mitte Oktober war es dann endlich soweit und wir sahen fiebernd unserer nächsten Etappe im Westen entgegen. Mit mir unterwegs ist Batin aus Deutschland, der hier den Winter verbringt. Ich bin gespannt, wie er – mit neutralem Blick – auf die Landschaft reagiert.
Wir starten mit einem kleinen Rundgang durch Burgau. Jeder freie Quadratmeter in der zwischen zwei Hügeln eingeklemmten Bucht wurde bebaut. Die Häuser stehen dicht beieinander, dazwischen ein Wirrwarr von schmalen Gassen und Treppen. Viele Gebäude wurden renoviert, strahlen weiß getüncht in der Sonne und dienen der Ferienvermietung. Sie schmiegen sich an die beiden Hänge und scheinen um den Meerblick zu kämpfen. Während Batin die kleine Ortschaft entzückend findet, hält sich meine Begeisterung in Grenzen. An was es genau liegt, kann ich nicht sagen. Es sind eher diverse Kleinigkeiten: Die vielen Satellitenschüsseln; die zwar der Tradition getreu renovierten, aber leider leerstehenden Häuser; die vielen Läden mit Strandaccessoires und die Restaurants, deren Angebote von indisch bis italienisch reichen. Mein Eindruck ist, dass der Ort seine Identität verloren hat.
Da man vom Strand aus nicht auf den westlichen Felskamm gelangt, schlendere ich mit diesen leicht getrübten Gedanken durch die Gassen bis zur Rua Agrícola, die wenige Breitengrade nördlicher, parallel zur Küste, Richtung Westen führt. Hier bieten sich drei Möglichkeiten: Man kann entweder der zweiten oder der dritten Straße links bis zum Felskamm folgen oder kurz vor der westlichen Ortsausfahrt, am kleinen Parkplatz vor dem Verkaufsbüro und der Bar der Tourismusanlage den schmalen Weg links vom Gebäude und an den Müllcontainern vorbei nehmen.
Schnell wird uns klar, dass diese Wanderung uns einiges abverlangen wird. Gleich zu Beginn müssen wir einen steilen Anstieg überwinden. Immer wieder rutschen mir die Füße weg. Batin sieht mich kopfschüttelnd an und kritisiert meine Sportschuhe. Stolz berichtet er, mit seinen Stiefeln den Edna und die Pyrenäen bestiegen zu haben. Als auch er kurz darauf abrutscht, kann ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Auch nicht als er, am Felskamm angekommen, staunend den Ausblick genießt. Nun bin ich diejenige, die stolz ist. Auf mein Land, auf meine Algarve, auf diese Landschaft und dieses Licht, die praktisch jeden sprachlos machen. Dabei haben wir heute nicht einmal die idealen Wetterbedingungen. Zwar scheint die Sonne und die Küste ist weit bis in den Westen zu sehen, aber der Horizont ist verschwommen und das Wasser nicht ganz kristallklar. Es weht eine leichte Brise, doch dass es hier meistens nicht so windstill ist, beweist die niedrige Vegetation. Sowohl Mastixsträucher als auch Kermeseichen sind nur wenige Zentimeter hoch. Selbst die Zwergpalmen sind größer. Der Abstieg, der wenige Meter weiter erfolgt, ist genauso steil und tückisch, wie der Anstieg und wir rutschen einige Male ab, während wir – inspiriert durch ein Segelboot vor dem Praia dos Rebolos – von einer Weltumsegelung träumen.
Mittlerweile erblicken wir im Westen bereits die sich ebenfalls an den Hang schmiegenden Häuser von Salema, während im Osten Burgau auch noch in unserem Blickfeld liegt. Ich halte mich links, stets nahe am Felskamm, doch Batin meint, dass wir laut seiner Wander-App, den Pfad rechts nehmen sollen. Eine bestimmende Frauenstimme ertönt: „In 20 Metern dem rechten Pfad folgen“. Ich aber will am Felskamm entlangwandern, um stets den Blick auf den weiten Atlantik und die frische Salzluft genießen zu können. Eine für die Rota Vicentina typische blau-grüne Markierung an einem Stein bestätigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin und ich kann Batin überzeugen, mir zu folgen. Kurz darauf erblicken wir die Häuser von Barrancão, den weitläufigen Praia das Cabanas Velhas und weiter westlich Salema. Der Pfad führt uns leicht abwärts an zwei mit Graffiti besprühten Ruinen vorbei. Kurz darauf kommandiert die Frauenstimme der App uns erneut ins Landesinnere, wir bleiben jedoch bei den Klippen und steigen kurz darauf zum Strand ab.
Der nächste Abschnitt geht wieder steil bergauf. Direkt hinter den Hinweisschildern am Strand, sind drei improvisierte Stufen und die Markierung der Rota Vicentina zu sehen. Ein kleiner Pinienwald verleiht der umliegenden Landschaft zusätzlichen Reiz, denn durch das Grün der Bäume kommen die Felsen und das Meer noch stärker zur Geltung. Oben angekommen gilt es jedoch, landeinwärts um ein Privatanwesen zu wandern, da es wegen des Grundstückzauns und einer tiefen Schlucht nicht möglich ist, die Küste entlangzuwandern. Der Pfad führt um das Anwesen herum wieder zum Felskamm.
Einige hundert Meter weiter erheben sich vor uns die Überreste der Festung Almádena. Von der Festung, besser gesagt, von den Ruinen, auf denen sie damals errichtet wurde und in denen u. a. Kupfermünzen des römischen Kaisers Nero gefunden wurden, wird behauptet, dass sich dort ein Neptun-Tempel befand. Später sollen die Mauren dort eine Moschee gebaut haben und 1632 ließ dann der Graf D. Luís de Sousa die Festung errichten, mit dem Ziel, eine naheliegende almadrava (labyrinthisches Thunfisch-Fangnetz) vor Piraten zu schützen. Das Erdbeben von 1755 richtete große Schäden an der Festung an, trotzdem blieb sie bis 1849 in Betrieb.
Kurz darauf erreichen wir unser heutiges Ziel und blicken auf den Strand Boca do Rio. Ich erzähle -Batin, dass die Kraft der Wellen des Tsunamis, der das Erdbeben damals auslöste, die Überreste einer römischen Villa am Strand freilegte, von der heute praktisch nichts mehr zu sehen ist, geschweige denn von der prachtvollen Vergangenheit des Gebäudes. Es soll eine große Villa mit Marmorsäulen und wunderschönen Mosaiken und Fresken gewesen sein. Zur Villa gehörte eine Garum-Produktionsstätte und ein Hafen, denn die Ribeira de Budens, die heute ein kleiner Wasserlauf ist, war damals ein bis weit ins Land befahrbarer Fluss. Ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft will anhand dieser Fundstelle mehr über das Wirtschaftssystem des Römischen Reiches erfahren (s. ESA 5/19).
Fazit: Eine etwa acht Kilometer lange Wanderung, die nicht nur eine traumhafte Küstenlandschaft bietet, sondern auch noch Wissenswertes zur Geschichte Portugals und zudem ein gutes Cardio-Physio-Training ist.
Text & Foto: Anabela Gaspar
veröffentlicht in ESA 11/2020