Ein Boxenstopp lohnt sich
Jeder Autofahrer kennt die Burgstadt Alcácer do Sal an der Autobahn A2 Richtung Lissabon, doch einen Abstecher dorthin machen die Wenigsten. Dabei hat der historische Flusshafen seinen Besuchern eine Menge erlebenswertes zu bieten
Rein gefühlsmäßig liegt Alcácer do Sal noch nicht „wirklich“ im Alentejo, zum Großraum Lissabon gehört das historische Munizipium aber auch nicht mehr. Die letzte Ausfahrt vor -Setúbal und dem Autobahnkreuz Richtung Vasco da Gama Brücke oder zur 25 de Abril Brücke auf der Reise nach Lisboa, oder umgekehrt die erste Abfahrt Richtung Süden zur Algarve führt nach Alcácer do Sal. Das Gelände an beiden Seiten der Autobahn dehnt sich südlich von Setúbal kilometerweit aus. Nirgends sind Dorfflecken zu sehen, nicht einmal vereinzelt stehende Bauernhäuser. Die Erde ist sandig, der Sand hell und feinpudrig, beinahe wie Heidesand. Korkeichen und Schirmpinien spenden Rinderherden dürftig Schatten. So wie man es sich für den Alentejo vorstellt. Doch es fehlen die sanften Hügel, die verschlafenen Dörfer mit ihren kalkweißen Fassaden und bunten Tür- und Fensterfassungen, die den Alentejo charakterisieren.
Die beinahe schon südfranzösisch anmutende Waldregion bis zur Ausfahrt 8 unterbricht erst eine über 60 Kilometer lange Talaue. Das Bild wird vom Sado auseinandergeschoben, der 180 Kilometer weiter südlich in der Serra da Vigia bei Ourique im Herzen des Alentejo entspringt und gen Norden fließend an Alcácer do Sal vorbei, dann bei Setúbal in den Atlantik mündet. Unmittelbar an die Ufer schmiegen sich nahezu ganzjährig grasgrüne Felder, die das Tal zum Leuchten bringen. In Reih und Glied als Rechtecke aneinandergelegt erinnern die kräftigen Halme – rasch hingeguckt – an Schilfgras, doch ihre Ähren tragen das Korn Asiens: Reis.
Eingebettet in diesen blau-grünen Rahmen zwischen arrozais (Reisfelder), Flussbett und Sommerhimmel, erhebt sich das Städtchen Alcácer am nördlichen Sado-Ufer am Fuße des einst mächtigsten und größten Maurenkastells der Iberischen Halbinsel. Beinahe zehn Fußballfelder groß maß die mittelalterliche, von einem über 20 Meter hohen Festungswall umschlossene Burganlage einstmals und trotzte etlichen Angreifern, vornehmlich Wikingern und Normannen, die mehrmals versuchten, die Bastion zu stürmen – und gescheitert sind. Zwischen Flussufer und Kastell auf der Kuppe drängen Häuser, Straßen und Treppengassen den Hang hinab.
Alcácer entdeckt man am besten zu Fuß und beginnt den Spaziergang am Südufer am Parkplatz neben dem Skateboard-Park. Zwei hölzerne Einmaster-Segelboote liegen dort am Steg vertäut. Ihr Schiffsbauch erinnert an Schiffe aus der Wikingerzeit und tatsächlich sind die zwei Repliken einstiger Salz-Transportschiffe nach ähnlichem Ursprung gebaut. Bauchig breit in der Mitte, schmal an Bug und Heck, sieht das Boot aus wie das Kanu eines Riesen. An Bord solcher Boote wurde früher Salz von den Salinen zum Hafen in Setúbal transportiert. Heute dienen die nachgebauten Galeões do Sal für Flussfahrten mit Touristen (s. ESA 06/21), organisiert und durchgeführt seitens des Rathauses.
Von der Fußgängerbrücke über den Fluss erhascht man den besten Blick auf die Stadt und den Sado. Flussab- und flussaufwärts verbinden zwei Eisen-brücken seine Ufer, beide nach Bauplänen von Gustave Eiffel konstruiert. Sie verfügen über einen speziellen Schwungmechanismus, den man bei Bedarf mittels Zahnradsystem bedienen und die Brücke öffnen kann, damit Schiffe mit Segelmasten ein und auslaufen können. Was heutzutage eher selten passiert, und falls doch, handelt es sich eher um Privatyachten oder Ausflugsboote aus Setúbal kommend.
Die Unterstadt mit ihren schmalen Gassen, den Jugendstilhäusern neben Fischerhäuschen, atmet gleichzeitig den Duft der Fremde eines Hafens in Meernähe ein und alentejanische Gemütlichkeit aus, vermischt zu einem sehr eigenen maritimen, aber entspannt dörflichen Flair. Die Santiago-Kirche mit ihren zwei barocken Glockentürmen dominiert das Panorama an der Promenade. Innen überrascht die Kirche mit Fliesenbildern, Goldkunst-Altären und einem imposanten Deckengemälde zu Ehren der Santiago-Ordensbrüder. Die Kirche liegt, wie der Name bereits ankündigt, am Santiago de Compostela Pilgerpfad und bietet gleich neben der Kirche Unterkunft für Pilger an.
Am anderen Ufer am Ende der Fußgängerbrücke gelangt man auf die Praça Pedro Nunes. Der hübsch mit Bäumen bepflanzte Platz ist umstellt mit Rathaus, Stadtmuseum und dem örtlichen Finanzamt, im rosa-roten Renaissancepalast untergebracht. Die Skulptur eines noblen Herrn empfängt den Spaziergänger. Unter Mathematikern weltweit bekannt als Petrus Nonius, ehrt die Stadt Alcácer do Sal ihren salaciense Pedro Nunes mit einem Denkmal, das den Erfinder des Winkelmessers zur exakteren Bestimmung der Position in der Seefahrt, auch bekannt als Nonius für Ablese-genauigkeit bei Längen und Winkeln, in voller Größe darstellt. Nunes´ bahnbrechend wissenschaftlich progressive Erfindung trug im 16. Jahrhundert wesentlich bei zur Neu-Vermessung der Welt und sorgte in der portugiesischen Seefahrt für noch mehr Vorsprung durch Wissen. Der Mathematiker, Geograf und Kartograph wurde zum königlichen Kosmografen ernannt und in Lissabon zusammen mit anderen herausragenden Persönlichkeiten während der Entdeckerepoche im Padrão dos Descobrimentos am Ufer des Tejo in Belém, mit Winkelmesser in der Hand in Sandstein skulptiert verewigt.
Die Flusspromenade führt von der Praça Richtung Kreisverkehr an der Brücke. Ein stadtbekanntes Paar Enten watschelt den Bürgersteig entlang und freut sich über jedes Brotbröckchen. Mit Aussicht auf den Sado laden Straßencafés zum Verweilen ein, danach geht es zum Beispiel weiter auf der Fährte der Rota do Azulejo, die an Häuserfassaden an zehn Stationen zusammengefasst zu einer von fünf möglichen Routen durch die Unterstadt führt. Das Fliesenensemble an Häuserfassaden, Brunnen und Kirchen zeigt verschiedene Farbnuancen und Motive und blättert portugiesisches Kulturerbe und modernes Design farbenfroh glasiert auf. Besonders beeindrucken die dekorativen und teilweise religiösen Bildmotive aus insgesamt drei Jahrhunderten. Auf der zweiten Route Rota Afonsina erreicht man sämtliche historisch bedeutenden Gebäude, Kirchen und Kapellen in Alcácer verteilt, bestaunt unterwegs die Vielfalt der architektonischen Details an Häusern, Palais und Brunnen und die steinerne Wappengalerie, die etliche Gebäude kunstvoll in Sandstein gemeißelt zieren.
Zum Burghügel in die ehemalige Feste führen viele Stufen die steile Gasse Calçada de 31 de Janeiro hinauf bis zur Santa Maria-Kirche und weiter durch das historische Viertel zum ehemaligen Kastell mit ehemals integriertem Kloster der Nossa Senhora de Ara Coeli. Über 100 Jahre stand das Kloster leer, bevor das Kastell mit Klostergemäuer zur Herberge in historischem Ambiente umgebaut worden ist. Im archäologischen Museum in der früheren Krypta untergebracht, stößt man auf das santuário romano, die Geburtsstätte von Imperatoria Salacia, den römischen Namen für den zum Munizipium ernannte bedeutende Marktplatz für Salz, das an den Ufern des Sado, wo heute Reisfelder grünen, über viele Jahrhunderte hinweg in den von den Römern einst angelegten Salinen gewonnen wurde und der Stadt Wohlstand bescherte. Etliche weitere Artefakte und archäologische Funde führen während des Besuches durch die unterirdisch angelegte Museumslandschaft durch sämtliche wichtige Epochen der historisch belegten 2.700-jährigen Besiedelung des heutigen Alcácer.
Den Rittern des Schwertordens gelang die endliche Eroberung aus den Händen der maurischen Besetzer und deren Kastell diente dem Orden als -Niederlassung. Erst später zog der Klarissennonnenorden der heiligen Ara Coeli in das Kloster nebenan ein. Die Kirche und der ehemalige Kreuzgang sind in den heutigen Hotelkomplex integriert und können besucht werden.
Zurück in der Unterstadt warten lokale Spezialitäten darauf, probiert zu werden. Teigtaschen mit Kaninchenfleischfüllung, Flussfischeintopf oder Muschelreis klingen verführerisch. Zum Nachtisch mag man ein wirklich süßes Klosterkonditoreiteilchen mit Pinienkernen probieren oder karamellisierte Pinienkerne (pinhoada) oder in der Markthalle rohe Pinien zum Selberrösten für daheim mitnehmen. Aus Pinienholz schnitzen geschickte Kunsthandwerker hübsche Figuren und Eulen. Die Sattlerzunft von Alcácer ist berühmt für ihr meisterhaftes Verarbeiten von Rindsleder zum bequemen portugiesischen Sattel und für all diejenigen, die kein edles Ross ihr Eigen nennen, gibt es Miniatursättel als Schlüsselanhänger, außerdem robuste Gürtel mit schicken Schnallen, Geldbörsen und Handtaschen aus Sattlermeisterhand. Bei so viel Auswahl findet man leicht ein Mitbringsel. Fazit: Ein Boxenstopp in Alcácer do Sal lohnt sich auf jeden Fall.
Text und Fotos: Catrin George Ponciano in ESA 07/2021
Info:
Das Tourismusbüro am Kreisverkehr an der Eisenbrücke wird derzeit umgebaut und ist deswegen geschlossen. Infomaterial, Broschüren, Stadtkarte und andere Auskünfte erteilt das Rathaus werktags von 9 – 17 Uhr mit Mittagspause oder das städtische Tourismusportal online auf Portugiesisch hier: https://www.cm-alcacerdosal.pt/dosal.pt/en/turismo