Je nach Sonnenstand mäandert der Rio Guadiana als blaues, silbernes oder goldenes Band durch eine kaum besiedelte Hügellandschaft. Fruchtbar ist sein breites Tal. Ein Orangenhain, ein Gemüsegarten reiht sich neben den anderen. Auch Ölbaume, angeforstet in geometrischen Mustern, verleihen dem Rio sattgrüne Seitenstreifen. Hüben in Portugal, drüben in Spanien. Dieses Grün steht vor allem im Sommer in krassem Widerspruch zur ausgetrockneten Region ringsum. Der schotter-schiefrige Boden will ohne viel Wasser einfach nichts hergeben. Nur knorrige Büsche gedeihen. Zistrosen natürlich. Dank ihres Harzmantels trotzen sie der Hitze, der Trockenheit. Wie ein Duftkissen schwebt ihr herbsüßer Geruch über der Landschaft. Sie ist voller Überraschungen. Nichts ist spektakulär, aber vieles ist von einer stillen Schönheit gezeichnet, die entdeckt sein will.
,,Echte Orte“ entstanden am Rio wie im Hinterland erst nach der Rückeroberung des Landes durch Christen. Um 1240 war das. Gekämpft wurde nicht viel in dieser bettelarmen Region, sie wurde den neuen alten Herren mehr oder weniger überlassen, was für den gesamten Grenzraum zwischen den beiden Ländern zutrifft. Von den voran gegangenen Äras der römischen, der westgotischen und der maurischen Herrschaft gibt es nur wenige Spuren. Denn ernsthafte archäologische Ausgrabungen stellte man nie oder nur punktuell an. Aber es gibt Spuren. Zum Beispiel antas. Immer wieder sieht man Hinweisschilder, wie Menhir Lavajo. Bis etwa 4000 v. Chr. entstanden diese Hünengräber teils neben Wohnhäusern, die jedoch oft von späteren Generationen abgetragen wurden. Nur vor den Ruhestätten der Toten hatten sie Respekt. Sesshaft dürften die Menschen in dieser Region damals nicht gewesen sein. Das änderte sich mit dem Einzug der Phönizier und Griechen. Von versklavten Einheimischen ließen sie in einem etwa 50 Kilometer breiten Gürtel, extrem reich an Edelmetallen, zahlreiche Gruben ausheben. Von der atlantischen bis zur mediterranen Küste zieht sich dieser Gürtel hin. Besonders in der Nähe des Rio Guadiana wurde man fündig. Der Aushub wurde nach viel versprechenden Steinbrocken durchsucht. An Ort und Stelle schmolz man sie ein, transportierte das gewonnene Kupfer, Silber und Gold auf dem nahen Rio ans Meer und von dort zu den Zielhäfen im Mittelmeer. Die Römer intensivierten diese Ausbeutung, die Mauren noch mehr. Eindrucksvolle Bilder des Arbeitsprozesses gewinnt man bei einem Besuch des Parque Mineiro Cova dos Mouros an der Ribeira da Foupana. In einem Freilichtmuseum wurde diese Mine solcherart freigelegt, dass der Ablauf teils an Puppen originalgetreu dargestellt verständlich wird. Eine ideale Station bei einem Tagesausflug durch den Concelho Alcoutim. Die Jungen verlassen ihre Heimat Ist man erst einmal so weit ins Landesinnere vorgedrungen, dürften den Besuchern eigenartige Vorstellungen von Einsamkeit befallen. Heute noch leben hier viele Menschen in einer Form, die sich seit Jahrhunderten unwesentlich veränderte. Oft in allein gelegenen Schieferhäuschen. Fernsehantennen ändern nichts am Stillstand. In so manchen Orten sieht man nur noch alte Leute. Auf Bänken sitzen sie zusammen. Lassen sich von der Wintersonne aufwärmen oder dem Sommerschatten erfrischen. Hauptsache zusammen. Ein Hundchen dabei, eine Ziege vielleicht. Viel Gelächter. Aber den Jüngeren ist das Lachen vergangen. Sie hat es zum Überleben allesamt an die Küste oder nach Mitteleuropa verschlagen. Im Concelho-Journal berichtet der Präsident der Camara auf einem zweiseitigen Artikel zum Jahreswechsel 2004/2005, dass er die Regierung Portugals vor Gericht geladen habe. Anklagepunkt: Verhinderung jedweder Investitionen durch das Ministerium für Umwelt. Im arroganten Lissabon klebten Leute auf schwerwichtigen Stühlen. Jahrzehntelang hätten sie keinen Finger gekrümmt, behandelten heute aber jeden, der einen Finger krümme, um Arbeitsplätze zu schaffen, wie einen Aussätzigen. Immer wieder neue Gesetzesvorlagen, die kein Anwalt durchschaue. Hindernisse und Schikanen ohne Ende. Dutzende von internationalen Investoren seien abgewiesen worden, obwohl sie vorbildliche Projekte des ,,sanften Tourismus“ der Sonderklasse vorgelegt hatten. Das Resultat dieser Lissabonner Politik ist trist in der Tat: In jüngsten Jahren verließen über 20 Prozent der gesamten Bevölkerung eben fast alle jüngeren Leute den ,,Kreis ohne Zukunft“. Verschlafen, verträumt, Alcoutim Zentrum des weiträumigen aber dünn besiedelten Kreises ist natürlich das Städtchen Alcoutim. Eine fast spielzeughaft wirkende Miniburg (14. Jh.) auf einem Hügelchen am RioUfer ist Dreh- und Angelpunkt. Sie diente der Grenzverteidigung. Misst man die Gefahr der Überfälle an der Größe von Burgen wie hier mit jener über dem gegenüber gelegenen spanischen Städtchen San Luca thronenden Riesenfestung dürften die Angriffe der Portugiesen lästiger gewesen sein… Im Burghof finden sich auch ein Artesanato-Laden und ein Museum mit archälogischen Funden. Leider sind die Öffnungszeiten unregelmäßig. Zu Fuß lässt sich das Städtchen quasi im Handumdrehen entdecken, was eine ganz und gar unhektische Erkundung nur förden kann. Da gibt es ein paar nette Kneipen, und hat man Glück, schaukelt ein Fischer den Kunden im bunten Bötchen hinüber nach Europa, wie manche Einheimischen sagen. Segelyachten, gut und gerne zwei bis drei Dutzend, darunter auch dreimastige olle Kähne oder elegante aus Leichtmetall, dümpeln auf dem Rio. Sie strahlen eine wunderbare, nie ruhende Ruhe aus, als wollten sie sich von Tausenden von Meilen auf hoher See erholen. Ja, dieses Alcoutim hat eine sehr spezielle Atmosphäre. Wie auf einer Insel inmitten arider Kargheit fühlt man sich; wie ein Mensch, dem die Zeit irgendwie abhanden zu kommen scheint, lässt man sich auf den scheinbaren Stillstand dieser Umgebung ein. Interessant ist die Kirche ein wenig oberhalb vom Ort. Sie stellt ein Beispiel frühester Renaissance-Architektur in der Algarve dar, wurde 1538 bis 1554 auf den Resten einer Ruine erbaut, was sich am Grundriss durchaus erkennen lässt. Drei Schiffe markieren die Innenarchitektur. An Details interessiert das Portal mit dem Wappen des Grafen von Alcoutim. Guck doch, schwarze Hühnergeier! Eine Wanderung von nur einem Kilometer Länge führt zur Brücke über das Flüsschen Cadavais. Auf einem Hügel erheben sich hier die Ruinen der maurischen Festung Castelo Velho aus dem späten 8. Jahrhundert, eine der ältesten Spuren maurischer Architektur in der Algarve überhaupt. Von wegen Flüsschen. Wie Adern zur Aorta winden sich teils recht tief ins Hügelland eingekerbte Bäche und Flüsschen dem Rio Guadiana entgegen. Tiefe Wassergumpen, kleine Wasserfälle, Störche, Seidenreiher, Rohrdommeln. Im Ufergebüsch trällern Nachtigallen am helllichten Tag. Für Wanderer, die extrem einsame Gegenden hoch schätzen und für Menschen, die Vögel, auch seltene wie die schwarzen Hühnergeier, beobachten wollen, für Menschen, die ihrer Phantasie über diese eigenwillige Region freien Lauf lassen wollen, sind die Ribeiras versteckte Zonen voller unvergesslicher Eindrücke. Rauhes und Harmonisches liegen auf- und nebeneiander wie die Symbole von Yin und Yan. Man braucht wahrlich kein Esotheriker zu sein, bloß ein Natur liebhabender Romantiker, um die zeitlose Schönheit dieser Region in sich auf- und wahrzunehmen.
Text: ROLF OSANG