Der Bioco feiert seine Renaissance
Während in Deutschland und in Frankreich ein Verbot von Burka und Burkini diskutiert wird, soll in der Algarve eine seit dem 19. Jahrhundert verbotene Tracht zurückkehren. Sie diente ebenfalls der Verschleierung, aber zu einem anderen Zweck als die muslimische Burka
In seinem 1923 veröffentlichten Buch „Os Pescadores“ beschreibt der portugiesische Schriftsteller Raul Brandão die mit der traditionellen Tracht Bioco, auch Rebuço genannt, verschleierten Frauen aus Olhão: „Wenn sie das Haus im schwarzen Bioco verhüllt verlassen, sehen sie wie geheimnisvolle Figuren aus. Sie gehen an uns vorbei, schauen uns an, aber wir sehen sie nicht. Das Funkeln ihrer Augen gewinnt durch den Rebuço noch an Kraft. Sie verschwinden und lassen uns nachdenklich zurück. (…) Sie sind geheimnisvoll und erwecken Träume. Ist es eine attraktive Frau, die sich mit ihrem Liebhaber trifft? Wem gehören diese funkelnden Augen?“
Der Bioco war jedoch bereits 1892 verboten worden. Der damalige Zivilgouverneur von Faro, Júlio Lourenço Pinto, sah in dem langen schwarzen Mantel mit großer Kapuze, der bis zu den Füßen reichte und das Gesicht verbarg, ein „Erbe der muslimischen Herrschaft“, allerdings nicht im Sinne einer Verschleierung weiblicher Attribute. Vielmehr stand der Bioco unter Verdacht, er erleichtere „sexuelle Ausschweifungen“ im Schutz der Verhüllung. In Artikel 32 der regionalen Polizeiverordnung wurde daher festgelegt, dass „auf allen Straßen und in allen Kirchen des Dis-triktes Faro die sogenannten Biocos oder Rebuços, mit denen die Frauen ihre Gesichter verbergen, verboten sind.“ Später begründete Pinto in seinem 1894 erschienenen Chroniken „O Algarve“ seine Entscheidung weiter: „Es handelt sich um eine Maske, die es Sünderinnen ermöglicht, sich unerkannt Liebesaffären oder sogar ehelicher Untreue hinzugeben.“ Doch nicht nur Frauen nutzten den Bioco, um nicht erkannt zu werden. Auch Männer verhüllten sich mit dem schwarzen Gewand, um sich mit ihrer Geliebten zu treffen, aber auch um nicht erkannt zu werden, wenn sie in finsterer Absicht unterwegs waren, etwa um ein Verbrechen zu begehen.
Das Verbot wurde nicht überall befolgt. Während die Frauen aus anderen Städten der Algarve die Tracht ablegten, beharrten sie in Olhão noch lange nach dem Verbot auf ihrer Freiheit. Denn im Gegensatz zur Burka, mit der die traditionelle Tracht aus der Algarve oft und gerne verglichen wird, verlieh der Bioco den Frauen Freiheit. In einer Gesellschaft – nicht nur in Portugal, sondern europaweit – in der es sich für eine Frau nicht gehörte, das Haus alleine zu verlassen, bestand in der Verschleierung die einzige Möglichkeit, es trotzdem zu tun, ohne dabei erkannt zu werden und böser Nachrede zum Opfer zu fallen. Weitere Unterschiede zwischen dem Bioco und der Burka sind, dass Ersterer keine religiöse Bedeutung hat und kein von Männern vorgeschriebenes Gewand ist. Im Gegenteil: den Männern war der Bioco ein Dorn im Auge. Das Ende der Biocos wurde schließlich durch die Mode diktiert.
Die Geschichte des Bioco und alle um die Tracht erzählten Geschichten über verbotene Liebe und Affären begeisterten Lurdes Silva auf Anhieb. Die Professorin aus Porto, die an einer Hochschule in Loulé unterrichtete, entdeckte das Gewand während eines Besuches im regionalen Trachtenmuseum in São Brás de Alportel. „Ich habe mich schon immer für unsere Geschichte, die Traditionen und die Kultur interessiert“, erklärt Lurdes Silva. „Die Geschichte hat mich umso mehr fasziniert, weil es ein Symbol der Freiheit der Frauen der Region war.“ Lurdes Silva war so sehr von der Tracht angetan, dass sie das Tragen des Bioco wieder aufleben lassen wollte. Zwei Jahre recherchierte sie, bis es so weit war und sie die Marke -BiocoTradition ins Leben rief. Kurios ist dabei, dass sowohl der Zivilgouverneur, der die Tracht verbot, als auch die Hochschullehrerin, die diese Tracht neu erfindet, aus Porto stammen.
Zusammen mit der Designerin Maria Caroço entwickelte Lurdes drei Modelle, die der modernen Frau angepasst sind: Mistério, ein knielanges Cape mit Kapuze; Paixão, eine kurze dreilagige Version und Tradição, ein Modell von schlichter Eleganz. Während die traditionelle Tracht stets schwarz war, sind die Modelle von Lurdes in verschiedenen Farben erhältlich. Zu Beginn nur in Rot, Grün und Blau: „Farben der Algarve. Das dunkle Rot der Ziegelsteine der Markthalle in Olhão, das Grün der Olivenbäume und das Blau des Atlantiks und Algarve-Himmels”, erklärt Lurdes Silva. Mittlerweile sind die bequemen Mäntel auch in anderen Farben erhältlich und in Zusammenarbeit mit zwei regionalen Künstlern wurden Modelle mit Aufdruck entwickelt: Ein Motiv kombiniert eine Zeichnung von Fátima Silvestre und die Legende der blühenden Mandelbäume. Das andere erzählt die Geschichte des Bioco und weist ein Graffiti des Straßenkünstlers SEN auf. „Ziel ist es, Tradition, Design und Kunst zu vereinen“, so Lurdes. Zudem gibt es Winter- und Sommermodelle und seit Kurzem auch einen wasserdichten Regenumhang.
Die Capes, auf deren Innenseite die Geschichte des Bioco und einige Verse von Raul Brandão abgedruckt sind, sind zu hundert Prozent Made in Portugal. Der Stoff wird in Portugal hergestellt und jedes einzelne Stück im Land per Hand genäht. Von jedem Modell werden nur ein Dutzend Exemplare produziert. Bis Ende des Jahres plant Lurdes eine Limited-Edition auf den Markt zu bringen; mehr dazu wollte sie noch nicht verraten. In der Algarve sind die Capes bei
Mar d´Histórias in Lagos oder über die Webseite www.biocotradition.com erhältlich.
Text: Anabela Gaspar
ESA 10/16