Vier Tage und Nächte zieht die legendäre April-Prozession quer durch den Alentejo von Moita bis zur Kirche Santuário de Nossa Senhora d´Aires in Viana do Alentejo, wo die Pferde den priesterlichen Segen empfangen und die Wallfahrer einer Fürbitte gedenken
Anno 1387 übertrug König D. João I seinem Gefolgsmann D. Diogo Lobo als Anerkennung für treue Dienste in der Schlacht von Aljubarrota und der anschließend siegreichen Rückeroberung von Évora aus den Händen der Spanier, die Liegenschaft Alvito im heutigen Distrikt Évora. Das etwa hundert Jahre später gegründete Baronat Vila Nova de Baronia breitete sich damals von Alcáçovas bis nach Évora aus und gewann als offiziell gegründete eigenständige Verwaltungseinheit im Laufe der Jahrhunderte enormes wirtschaftliches und politisches Gewicht. Etliche einflussreiche Familien aus Lissabon unterhielten in dem prosperierenden Baronat noble Landsitze und prägten die Gegend mit ihrem Vermögen, was sich in zahlreichen kunsthistorischen Spuren an Palästen, Kirchen und ehemaligen Kaufmannshäusern bis heute widerspiegelt.
Als Scherflein an die Katholische Kirche ließ die Familie Lobo im 15. Jahrhundert in Viana do Alentejo eine Kapelle bauen, die jedoch von dem verheerenden Erdbeben an Allerheiligen 1755 bis auf die Grundmauern zerstört wurde. Dennoch diente die Ruine den Gläubigen aus der Umgebung weiterhin als Zufluchtsort für Gebete und Fürbitten, besonders im Jahre 1758, als sich während einer anhaltenden Dürreperiode Bauern und Gutsherren aus dem gesamten Baronat und bis aus dem entfernten Moita mit Pferd und Wagen auf den Weg nach Viana do Alentejo machten, an der Kirchenruine versammelten und ihre Heilige um Regen baten.
Laut Überlieferung wurde ihre Fürbitte erhört, denn nur wenige Tage später begann es zu regnen, die Zisternen füllten sich, Menschen und Tiere waren gerettet, die Ernte reich und das Überleben gesichert. Seitdem pilgern die Bauern alle Jahre wieder im April von Moita bis Viana do Alentejo und ehren ihre Schutzheilige mit einer mehrtägigen Zeremonie in der Mitte des 18. Jahrhunderts erbauten prächtigen Barock-Kirche Santuário de Nossa Senhora d´Aires, die nach den Entwürfen des bekannten deutschen Hofarchitekten Johann Friedrich Ludwig entstanden ist.
Wenn sich an der Pfarrkirche von Moita Ende April zu Beginn des Pilger-Ritts mehrere hundert Reiter mit ihren Pferden und Kutscher mit traditionell einheimischen Gespannen einfinden, um zur Romaria a Cavalo von Moita im Landkreis Setúbal nach Viana do Alentejo im Verwaltungsbezirk Évora aufzubrechen, hallt das aufgeregte Wiehern der Rösser und das Geklapper ihrer beschlagenen Hufe durch sämtliche Straßen der Kleinstadt. Die Spannung auf dem Kirchplatz kurz vor dem Aufbruch zur ersten Etappe steckt alle an. Pferde, Reiter, Gläubige und Neugierige. Doch bevor die Wallfahrt losgeht, hält der Gemeindepfarrer einen Gottesdienst zu Ehren der lokalen Schutzheiligen Nossa Senhora da Boa Viagem, die die Pilger auf ihrem Ritt begleitet.
Anschließend wird zum Aufbruch geblasen und die Pferde-Parade setzt sich mit der heiligen Jungfrau Maria in einer mit Blütenkränzen prächtig geschmückten, vierspännigen Prozessions-Kutsche an der Spitze, in Bewegung. Pferd für Pferd schließt der Pilger-Zug auf und folgt dem festlich dekorierten Gespann Richtung Osten quer durch den Alentejo, auf die sogenannte Canada Real-Strecke und zirka 150 Kilometer weit über unbefestigte Wege entlang der alten Verbindungsroute zwischen Lissabon und der spanischen Grenze.
Vier Tage und drei Nächte sind die Wallfahrer unterwegs, bis sie die Kleinstadt Viana do Alentejo erreichen. Unterwegs übernachten die Reiter in Privatunterkünften oder auf Bauernhöfen bei ihren Pferden, die abgesattelt und ausgeschirrt, gefüttert und getränkt, in ambulant aufgestellten Stallungen über Nacht ausruhen. Nach der morgendlichen, täglich wiederkehrenden Segnung der Gutshöfe, auf denen die Pilger und ihre Pferde übernachtet haben, geht es weiter. Die Prozession formiert sich und zieht im Korso durch die sanft hügelige Landschaft des Alentejo, vorbei an Korkeichen und Olivenhainen, durchquert Dorfflecken, Felder und Bachläufe.
Längst ist der Pilger-Ritt zur Schutzheiligen der Tiere Nossa Senhora d´Aires in Viana do Alentejo weit über die Grenzen Portugals hinaus bekannt und erfreut sich einer zahlreichen lokalen und internationalen Fan-Gemeinde, die den Wallfahrern zu Fuß oder mit dem Fahrrad folgt.
In jedem Ort werden Pferde und Reiter wieder gebührend feierlich empfangen und mit Brot, Gebäck und Getränken versorgt. Abertausende Schaulustige verabschieden die Reiter und ihre Rösser in Moita und erwarten sie vier Tage später in Viana do Alentejo auf dem Platz neben der Burg, wo der ansässige Gemeindepfarrer nach einer Willkommensrede die Segnung der Pferde zelebriert, bevor sich der altehrwürdige gräfliche Ort dem geselligen Teil der Wallfahrt mit Musik, Tanz und leckeren Speisen widmet. Am letzten Tag findet die große Prozession zu Ehren der Schutzheiligen vor der Kirche und durch Viana do Alentejo statt, die an die überlieferte Fürbitte von vor über 250 Jahren erinnert.
Neben der ursprünglich rein religiös begründeten Wallfahrt hat sich der Brauch mittlerweile zu einem festen Termin im lokalen Kulturkalender von Viana do Alentejo entwickelt. Heutzutage spielt die gesellige Zusammenkunft zwischen Schaulustigen und Pilgern, das bunte Treiben vor, während und nach der Prozession, eine genauso große Rolle, wie das feierliche Gedenken an den historischen Hintergrund an sich. Nach einer 1930 politisch motivierten Unterbrechung, erwachte die Romaria a Cavalo nach siebzig Jahren zum Millennium erneut und erfreut sich seither und in diesem Jahr zum achtzehnten Mal, jährlich wachsender Besucherzahlen und Teilnehmer. Allein 600 Reiter mit ihren Pferden nahmen im vergangenen Jahr an der in Portugal einzigartigen Wallfahrt hoch zu Ross teil und bereits Anfang März lagen den Veranstaltern mehr als 500 Anmeldungen vor. Eine enorm vielseitig logistische Herausforderung für sämtliche organisatorisch Beteiligten, die sich in Kooperation zwischen den Rathäusern Moita und Viana do Alentejo, der Vereinigung Associação dos Romeiros da Tradição und dem Reitverein Associação Equestre de Viana do Alentejo, um die Vorbereitung zur Wallfahrt sowie um die Versorgung der Teilnehmer und ihrer Pferde kümmern, Unterkünfte organisieren, die Strecke markieren und koordinieren, damit die gesamte Veranstaltung reibungslos abläuft.
Für ihr kulturelles Engagement wurde die Wallfahrt gemeinsam mit allen beteiligten Organisatoren 2011 von der Kommission Mais Alentejo in der Kategorie „Mais Tradição“ prämiert sowie 2013 von der nationalen Tourismusbehörde als bester Beitrag für Kultur und Brauchtum im Alentejo ausgezeichnet. Dieses Jahr dürften noch mehr Zuschauer kommen, da die Romaria a Cavalo im Rahmen der Lissabonner Tourismusbörse BTL offiziell im jährlichen Kultur-Veranstaltungskalender von Portugal angekündigt wurde und dadurch vermehrt überregionale Aufmerksamkeit erhielt.
Einst, im 18. Jahrhundert aus religiösen Absichten und dem gemeinsam tief empfundenen Glauben der Bauern im Alentejo an die göttliche Vorsehung initiiert, erfreut sich der Wallfahrtsbrauch heute einer völlig anderen, modernen Form spiritueller Kameradschaft, die die Pilger eint und die Wallfahrt zu einem einzigartigen Erlebnis erhebt.
Romaria a Cavalo
Moita – Viana do Alentejo
www.facebook.com/RomariaACavaloMoitaVianaDoAlentejo
Text: Catrin George in ESA 04/2018
Fotos: CM Viana do Alentejo