Die Schutzpatronin der Seeleute, Stella Maris, symbolisiert den rettenden Stern der Nautiker, leuchtet den Fischerfamilien auf der Ilha da Culatra und gilt gleichzeitig als Signal für ihre Zukunft
Stern des Meeres, leuchte und führe uns auf unserem Weg, baten einst die Seeleute um den Schutz der heiligen Mutter Maria vor ihrer Fahrt ins Ungewisse und hofften auf ihren Beistand während der Seefahrer-Expeditionen in unbekannte Gewässer und Länder, und darauf, dass der Polarstern ihnen stets die richtige Richtung zurück in den Heimathafen wies. In der östlichen Algarve, auf der Ilha da Culatra im Naturpark Ria Formosa, bittet die Fischergemeinschaft der Insel jedes Jahr wieder am ersten Sonntag im August darum, dass die heilige Maria Nossa Senhora dos Navegantes, wie ihre Schutzpatronin hier genannt wird, ihnen Schutz vor Sturm und Ungewissem gewährt, ihr Stern ihnen den sicheren Weg zum Hafen erleuchtet sowie Hoffnung für die Zukunft schenkt.
Das gesamte Wochenende am 3. und am 4. August ist motiviert vom lokalen Volksglauben, mit dem gemeinsamen Ziel, ein unnachahmliches Fest zu feiern. Nicht irgendein Fest, nein, es ist die Festa da Nossa Senhora dos Navegantes, ein zweitägiges bunt fröhliches Treiben zu Land, auf der Insel und vor allem zu Wasser. Die Festa fängt Samstagmorgen an mit dem Zusammentragen von nicht mehr benötigten Dingen, die man für die allgemeine Verlosung, die sogenannte rifa stiftet, deren Erlös dem örtlichen Kulturverein übergeben wird; setzt sich fort mit dem Schmücken der Fischerboote mit Blumen und Wimpel, unterbrochen von den alljährlich an beiden Tagen stattfindenden Ruderwettkämpfen in der Ria Formosa, untermalt mit musikalischen Darbietungen, die zum Tanzen und Mitsummen animieren, und findet ihren Höhepunkt beim sonntäglichen Prozessionszug auf dem Wasser und zu Land. Quasi alle 400 Fischerfamilien von der Ilha da Culatra sind anwesend, während ihre Schutzheilige der Seeleute und Fischer, aus der Wallfahrtskapelle auf der Insel, herausgetragen und zu ihrem Boot gebracht wird, dass den Corso anführt. Geschultert wird die Marienfigur mit dem Einmaster in der Hand, die mit ausgestrecktem Finger die richtige Richtung anzeigt, von Frauen aus ansässigen Fischerfamilien. Welchem Boot die Ehre zuteil wird, die Heilige an Bord zu nehmen, entscheidet jedes Jahr wieder neu das Los.
Unter lauten Viva-Rufen und permanentem Hupen der Schiffshörner, setzt sich die Prozession mit der heiligen Maria Stella Maris an der Spitze in Bewegung und nimmt Kurs auf die Küste und auf Olhão.
In der Fischerstadt Olhão findet zeitgleich die Prozession zu Ehren der dortigen Schutzheiligen Nossa Senhora do Rosário statt. Der Höhepunkt der beiden religiösen Zeremonien ist das Zusammentreffen der zwei heiligen Marias am Kai „T“ in Olhão sowie der anschließende Corso aller Fischer aus Olhão und von der Ilha da Culatra, gemeinsam mit ihren Booten zurück zur Insel. Begleitet wird der bunt beflaggte, üppig mit Blumen geschmückte Corso vom ohrenbetäubenden Lärm von Schiffshupen, Trillerpfeifen und von den Anfeuerungsrufen devoter Gläubiger sowie von begeisterten Mitfahrern diverser Nationen. Die Abfahrt ist untermalt vom Gesang an Bord und am Kai, und vom Winken der Menschen entlang der Ufermole von Olhão, die dem Zug hinterhersehen, bis die Boote winzig klein im abendlichen Dunst der Lagune verschwinden.
Still wird es erst auf der Insel auf dem Platz rund um die Kapelle während der Gemeindepfarrer die feierliche Danksagung mit Abendmahl zelebriert und die Fischer, ihre Boote und Fischgründe segnet, und das abschließende Gebet einleitet. Nach dem Amen wird ordentlich aufgetischt. Alle auf der Insel haben hierfür mitgeholfen, damit genügend Tische, Bänke und Stühle dastehen und die Gemeinde und ihre Besucher sitzen, essen und trinken können, bis die Festa da Nossa -Senhora dos Navegantes irgendwann in der Nacht ihr fröhliches Ende findet.
Der Volksglaube der Fischergemeinschaft von Culatra geht zurück bis ins späte 19. Jahrhundert, als sich die ersten Fischerfamilien auf der Insel ansiedelten, Holzhütten mit Reet gedeckt bauten, einen rudimentären Hafen anlegten, die Männer in den Thunfischfallen vor dem Ufer der Insel arbeiteten, während ihre Ehefrauen Muschelbänke pflegten und Haus und Kinder hüteten. Aus den Holzhütten mit Strohdach wurden im Laufe des vergangenen Jahrhunderts feste Häuser. Die Fischergemeinde auf der Insel wuchs, heute leben etwa 800 Menschen permanent hier. Die Culatrenses leben ganzjährig in ihrer Welt, denn diese ist seit über 150 Jahren geprägt vom bedingungslosen Miteinander und vom unvoreingenommenen Teilen. O nosso mundo, nennen sie liebevoll ihren Lebenskosmos. Eine Welt zwischen den Gezeiten am Arbeitsplatz Meer, bestimmt vom Element Wasser, vom Universum und von Mutter Natur, sind die Culatrenses daran gewöhnt, die Dinge des Alltages zu nehmen wie sie kommen und daran, sich aufeinander zu verlassen, selbst wenn man nicht immer einer Meinung mit dem Nachbarn ist.
Culatra ist eine gewachsene Kulturidentität vor der Haustür der beiden Städte Faro und Olhão, ein Rest Algarve-Authentizität mit gewachsenen Familienstrukturen, deren Vorfahren allein auf sich angewiesen, abseits von modernen Errungenschaften, bis in die Neunziger Jahre hinein ohne Strom, Fernseher und andere Annehmlichkeiten existierten, und sich ihre ureigene kleine Welt erschufen. Isoliert vom Fortschritt und der allgemein touristischen Entwicklung in der Algarve, keine fünfzehn Minuten Bootsfahrt vom Festland entfernt, betrat man noch 1985 hier einen Lebensraum in einem anderen Lebensraum. Diese kleine Welt sahen die Fischerfamilien von Culatra in dem Moment gefährdet, als die politische Entscheidung fiel, die Häuser auf der Insel abzureißen, weil sie laut Urteil, illegal gebaut wurden. Ohne Berücksichtigung der kulturellen Identität der Insel und ihrer Bevölkerung für die Algarve und damit für Portugal, sollte die gewachsene Gemeinde kommerziellen Ideen zum Opfer fallen und die Ortschaft mit Fischerhafen verschwinden.
Dank des gemeinnützigen Vereins Associação de Moradores/Pescadores da Ilha da Culatra, kurz AMIC, und ihrer politisch aktiven Vorsitzenden Silvia Padinha, konnte das Schlimmste verhindert und die Häuser gerettet werden. „Ein langer Weg, ein harter Kampf. Die Zweifel waren riesig, die Angst noch größer. Die Wut wuchs, die Resignation gleichermaßen. Letztlich half uns, was wir schon immer getan haben. Zusammenhalten. Als Gemeinschaft haben wir viel gewonnen. Für die Bewohner der Insel, für ihre Kinder und damit für unser aller Zukunft. Aber wir dürfen nicht aufhören, uns auch künftig gemeinsam um unsere Belange zu kümmern. Das sind wir unseren Vorfahren, unserer Kultur und unserer Insel schuldig“, so die culatrense Padinha.
Der traditionelle Glaube an die Nossa Senhora dos Navegantes vereinte die Bewohner, früher für den Fischfang und für die Wiederkehr und heute in ihrem Streben nach einer neuen Zukunft in ihrer alten Welt, auch in diesem Jahr wieder. Vielleicht eint sie die Festa heute anders als früher. In einer Welt, in der Menschen eher auseinander rücken als zusammen, zeigen die Bewohner von Culatra, dass Gemeinsamkeit immer noch funktioniert, wenn alle an die gleiche Idee glauben. Maris Stella über Culatra hat somit sogar noch an Strahlkraft gewonnen und sorgt auch künftig dafür, dass die Bewohner glücklich bleiben.
Text: Catrin George Ponciano in ESA 08/2019
Fotos: Bruno Filipe Pires