Erst beten – dann feiern
Jeder Verein braucht seinen eigenen Festtag und jede Fischergemeinschaft einen eigenen Schutzpatron; darauf beharren die Fischer von Arrifana und bereiten für den 30. Juli ihre Festa dos Pescadores da Arrifana vor
Wer zum Strand und zum gleichnamigen Küstendorf Praia da Arrifana möchte, erreicht das Dorf und seinen Fischerhafen verborgen in einer Bucht an der Steilküste im Naturpark Costa Vicentina/Südwest-Alentejo im Gemeindebezirk von
Aljezur. Von der Nationalstraße N 120 aus Lagos kommend, biegt man einen halben
Kilometer vor dem Ortseingang von Aljezur links ab auf die Nebenstrecke M 1003-1,
von Aljezur gen Süden, rechts, und folgt den Verkehrsschildern und der engen Landstraße neun Kilometer bis Arrifana.
Um das Küstendorf zu erkunden, parkt man am besten neben der Hauptstraße auf einem der ausgeschilderten Parkplätze und nimmt die Straße zu Fuß abwärts bis zum Strand. Der Strand liegt geschützt in einer Bucht zwischen steil aufragenden, graphitfarbenen Klippen. Am südlichen Ende der Bucht ragt ein hoher, schmaler Felsen aus wogender See: A Pedra da Agulha.
Die Hauptstraße oben entlang der Klippen endet an der Ponta da Arrifana. Die Felsenhalbinsel kennzeichnet einen geografisch markanten Punkt an der Küste mit grandiosem Ausblick. Der Fischerhafen Portinho de Pesca da Arrifana befindet sich am Fuß der Ponta da Arrifana in einer von Felsen umschlossenen Bucht. Eine steil bergab führende Betonpiste leitet zum befriedeten Hafenbecken mit Bootsrampe und zum Hafengebäude. Der Fischerhafen von Arrifana existiert seit vielen Jahrhunderten. Die Fischer können von ihren Vorfahren berichten und erzählen Geschichten vom Thunfischfang mit Thunfischfallen, vom Zweitgeschäft mit Algenfarmen und vom Zusatzgeschäft durch das Sammeln von Seepocken und Entenmuscheln.
Die gegenwärtig im Fischerhafen von Arrifana operierende Fischergemeinschaft Asso-cia-ção dos Pescadores do Portinho da Arrifana e Costa Vicentina ist ein eingetragener Verein, der hingegen erst seit März 1999 besteht. Etwa ein Dutzend hauptberufliche Fischer mit eigenem Boot gehören dem Verein an. Bei der Gründung kam ein Thema zur Sprache, das in Arrifana schon oft diskutiert worden war, nämlich das Fehlen einer andernorts üblichen, traditionell jährlich stattfindenden Segnung der Fischerboote und der Fischer durch den Padre der jeweiligen Kirchengemeinde. „Jeder Verein braucht seinen eigenen Festtag“, beharrte José Aranha, Vizepräsident des Vereins, „und wir
Fischer brauchen einen Schutzpatron.“
Ein Fest zu Ehren der Fischer mit Fischerboot-Prozession, zu dem Angehörige, -Freunde und Besucher eingeladen sind und im Anschluss an die religiöse Zeremonie Geselligkeit genießen sollen. So entstand die Festa dos Pescadores da Arrifana. Der religiöse Sinn war definiert, fehlte bloß noch der passende Schutzpatron und ein würdiges Ziel für die Prozession. Die Wahl für den Schutzheiligen fiel einstimmig auf São Pedro, den Schutzpatron der Fischer. Der Pedra da Agulha-Felsen in der Bucht wurde zum Wahrzeichen erhoben und im biblisch übertragenen Sinne, in Anlehnung an Jesus Worte im Matthäusevangelium, zum mythologischen Ziel der Prozession erklärt. „Du bist Petrus, der Felsen auf dem ich meine Kirche bauen will“, soll Jesus zu seinem Jünger Simon, dem Fischer, gesagt und ihn fortan Petrus (abgeleitet von Pétros, griech. für Fels) genannt haben. Der Mythos für einen alten Brauch war neu geboren.
Zwei Heiligenfiguren wurden bestellt und geweiht. Eine große und eine kleine Ikone. Der kleinere São Pedro steht in einer gläsernen Vitrine im Fischerhafen, die größere Heiligenfigur in einer mit religiösen Utensilien ausgestatteten Nische im Büro des Vorstandes in der Fischer-Siedlung. Für die jährlich stattfindende Zeremonie am letzten Samstag im Juli wird die größere der beiden Ikonen mit Blumen geschmückt und in den Fischerhafen transportiert.
Die Festa dos Pescadores da Arrifana beginnt gegen 16 Uhr mit der Segnung der Fischerboote und der Fischer. Danach bitten die Fischer Ansässige und Besucher an Bord, zur Fischerboot-Prozession zum Felsen Pedra da Agulha auf der anderen Seite der Bucht. Im Boot an der Spitze der Prozession thront São Pedro auf einem Podest am Bug platziert. Mit ihm an Bord der Pfarrer von Aljezur. Am Pedra da Agulha angekommen, gedenkt der Padre den Seelen der Fischer, Angler, Matrosen, Soldaten und Piloten, die entlang der Küste von Arrifana ihr Leben verloren haben. Ein Moment des Innehaltens. Die Fischer und ihre Gäste beten still für die Opfer und ihre Hinterbliebenen und werfen Blumen und Blumenkränze am Fuße des Felsen ins Meer.
Dann geht es zurück an Land. Im Anschluss an die Prozession wird gefeiert. Jeder Gast erwirbt für zehn Euro einen Tonkrug, der jedes Jahr anders aussieht und als Souvenir mit nach Hause genommen wird. Den Krug kann der Gast an der Theke der Bar mit dem Getränk seiner Wahl füllen lassen. Für das leibliche Wohl sorgen die Fischer mit Sardinen vom Grill und Brot, im Andenken an das erste Abendmahl im Johannesevangelium, als Jesus mit seinem Jünger Petrus Fisch und Brot für alle teilte.
Sämtliche Getränke, Speisen und Arbeitszeit stiften die Fischer von Arrifana als Tribut an São Pedro mit Fürbitte um Schutz auf See und gesunde Wiederkehr mit reichem Fang-Ertrag. Was nach Abzug aller Kosten vom Verkauf der Tonkrüge übrig bleibt, kommt in die Vereinskasse für künftige gemeinnützige Anschaffungen. Die 1999 ins Leben gerufene Festa dos Pescadores da Arrifana erfreut sich von Jahr zu Jahr wachsender Beliebtheit. Mittlerweile finden über 1.500 Besucher ihren Weg zum Fischerhafen nach Arrifana. Sie wollen am neu geborenen Mythos teilhaben.
Im vergangenen Jahr kam es während der festlichen Zeremonie zu einem bürokratischen Zwischenfall. Die Küstenwache von Lagos verbot den Fischern, zur Prozession Passagiere an Bord zu nehmen, weil deren Sicherheit nicht gewährleistet sei, was zu großem Unmut führte. Die Fischer von Arrifana und ihre Gäste fühlten sich ungerecht behandelt. In anderen Orten entlang der Algarveküste dürfen Passagiere während der Prozession an Bord der Fischerboote mitfahren, wie zum Beispiel Anfang August in Olhão zur Insel Culatra. Eine bittere Erfahrung für die Veranstalter und besonders für die Anwohner und die zu diesem Ereignis angereisten Gäste, die am Anlegesteg stehen bleiben und zusehen mussten, wie die Fischerboote ohne sie in See stachen.
Das Ansinnen der Fischer von Arrifana geriet ins Wanken. Die Initiatoren sahen ihre spirituelle Idee gefährdet und waren erbost darüber, dass Bürokratie stärker als Brauchtum sein kann. Zwar findet die geplante Fischerboot-Prozession in diesem Jahr in Begleitung der Küstenwache und unter Erfüllung der verlangten Sicherheitsvorkehrungen wieder statt, doch die Enttäuschung vom vergangenen Jahr ist den Veranstaltern und vielen Gästen schmerzhaft im Gedächtnis geblieben. Es ist der Fischergemeinschaft von Arrifana und ihren Gästen zu wünschen, dass auch in künftigen Jahren die Küstenwache über das Wohl der Passagiere während der Prozession von Arrifana wacht und der gerade erst erwachende Mythos am Pedra da Agulha erhalten bleibt.
Text: Catrin George
ESA 07/16