Die pandemische Situation hat unseren Bezug zu persönlichen Kontakten von Grund auf verändert. Eine wachsende Reduzierung der persönlichen Anwesenheit ist die Folge, sei es in privater oder beruflicher Hinsicht. Eine Kompensation kann teilweise mit Hilfe von moderner Technik erfolgen. Portugal reagiert diesbezüglich nun auch in Bereichen, welche seither schon von Gesetzes wegen von der persönlichen Anwesenheit der Beteiligten geprägt waren: Öffentliche Beurkundungen und Unterschriftenbeglaubigungen. Seit dem 4.4.2022 ist die Wahrnehmung derselben auch via Videokonferenz möglich. Rechtsanwalt und advogado Dr. Alexander Rathenau veranschaulicht die neuen Möglichkeiten
I. Allgemeines
Die einleitende Bezugnahme des Dekrets Nr. 126/2021 vom 30.9.2021 auf COVID-19 und der daraus folgenden Notwendigkeit der Minimierung von persönlichen Kontakten verdeutlicht, wie intensiv die Auswirkungen der Pandemie mittlerweile auch im juristischen Bereich sind. Zur Durchführung der Videokonferenzen stellt das Justizministerium auf der Website https://justica.gov.pt eine entsprechende Plattform zur Verfügung. Verwaltet wird diese durch das Instituto dos Registos e do Notariado, I.P. in Kooperation mit dem Instituto de Gestão Financeira e Equipamentos da Justiça, I.P. Es soll sichergestellt werden, dass die besondere Rechtssicherheit und Authentizität der einschlägigen Amtshandlungen gewahrt bleiben. Auch ist eine zusätzliche Begleitung der Beteiligten durch einen Rechtsanwalt oder Prozessbevollmächtigten möglich. Die gesetzlichen Regelungen sollen vorerst für zwei Jahre Gültigkeit entfalten, bevor über eine dauerhafte Wirksamkeit entschieden wird.
II. Anwendungsbereich
1. Erfasste Berufsgruppen
Die gesetzlichen Regelungen erfassen die klassischen Berufsgruppen, die in Portugal die Befugnis besitzen, öffentliche Beurkundungen und Unterschriftenbeglaubigungen durchzuführen. Dabei handelt es sich insbesondere um die Berufsgruppen der Notare, Rechtsanwälte, Rechtsbeistände (solicitadores), Standesbeamte und der Konsularbeamte.
2. Territorialer Anwendungsbereich
Gleichwohl umfassen die neuen Regelungen nur solche Amtshandlungen innerhalb des portugiesischen Staatsgebiets. Portugiesische Konsularbeamten dürfen nur solche notarielle Akte annehmen, die im Ausland aufhaltende portugiesische Staatsangehörige betreffen.
3. Betroffene Handlungen
Allgemein erfasst sind öffentliche Beurkundungen, d. h. sowohl die klassische notarielle Beurkundung als auch das privatschriftliche Dokument mit besonderer anwaltlicher Beurkundung und die Beglaubigung von Unterschriften. Diese Rechtsakte haben bisher die persönliche Anwesenheit der Beteiligten (bzw. je nach Zulässigkeit des Vertreters des Beteiligten) vor den genannten Berufsgruppen notwendig gemacht. Der Vornahme via Videokonferenz soll – sofern die entsprechenden Vorgaben eingehalten werden – die gleiche Beweiskraft zukommen wie bei einer persönlichen Beteiligung. Gleichwohl gelten Einschränkungen:
a. Notare, Rechtsanwälte, Konsularbeamte
Bei diesen Berufsgruppen ist eine Vornahme via Videokonferenz ausgeschlossen, soweit Testamente und damit zusammenhängende Handlungen betroffen sind. Grundsätzlich ausgeschlossen sind auch Handlungen, die sich auf grundbuchfähige Tatsachen beziehen. Via Videokonferenz dürfen jedoch die wichtigsten Rechtsakte formalisiert werden, die grundbuchrechtliche Relevanz haben, namentlich solche, die rechtliche Tatsachen zum Gegenstand haben, die für die Begründung, die Anerkennung, den Erwerb, die Änderung oder das Erlöschen von Eigentums-, Nießbrauch-, Nutzungs- und Wohnrechten, Erbbaurechten oder Grunddienstbarkeiten maßgebend sind. Ferner solche rechtlichen Tatsachen, die für die Entstehung oder Veränderung von Wohnungseigentum maßgeblich sind. Erfasst sind auch die Beurkundung von Kaufvorverträgen mit dinglicher Wirkung und die Bestellung von Hypotheken, ihre Abtretung, Änderung oder Löschung und die Abtretung des Vorrangs der jeweiligen Eintragung.
b. Standesbeamte
Bei Standesbeamten können via Videokonferenz nur besondere Vornahmen der Übertragung, Belastung und sofortigen Eintragung von Immobilien (welche in einer einzigen persönlichen Sitzung vorgenommen werden können), Trennungs- bzw. Scheidungsverfahren im gegenseitigen Einvernehmen sowie das Anerkennungsverfahren von Erben vorgenommen werden.
IV. Ausgestaltung der Plattform
Die virtuelle Plattform soll es technisch ermöglichen, Dokumente hochzuladen sowie Zugang zu diesen für alle Beteiligten zu schaffen, Audio und Video aufzuzeichnen (sowie die Zustimmung von den Beteiligten dazu zu erfragen), Zustimmung zu Dokumenten zu erklären, qualifizierte elektronische Unterschriften abzugeben, historische Verlaufsabfragen zu tätigen sowie Kosteneinsicht zu nehmen.
V. Identitätsprüfung
Der Zugang zur bereitgestellten Plattform ist für die genannten Berufsgruppen nur mit einer Benutzerauthentifizierung möglich. Diese erfolgt über die Website https://www.autenticacao.gov.pt/. Die Identifizierung erfolgt nach strengen Vorgaben. Die weiteren beteiligten Personen werden anhand ihres Personalausweises bzw. Reisepasses sowie ihrer E-Mail-Adresse identifiziert.
VI. Zugang zur Plattform
Die Teilnehmer erhalten via E-Mail einen Link zur Bestätigung des Termins. Dazu wird ein weiterer Link für den Zugang am Tag des Termins versendet sowie die Betreiber- und Nutzungsbedingungen und ggf. anfallende Gebührenrechnungen.
VII. Start der Videokonferenz
Die Videokonferenz beginnt erst dann, wenn die Teilnehmer ihre Zustimmung zur Erfassung der für die Überprüfung ihrer Identität notwendigen Daten gegeben, die Identifizierung auf der Plattform durchgeführt und erklärt haben, dass sie die Nutzungsbedingungen annehmen.
VIII. Sicherstellung von Identität und freiem Willen
Der Sicherstellung, dass die Beteiligten ihrer angegebenen Identität entsprechen und nach ihrem freien Willen handeln sowie die Einhaltung der sonstigen gesetzlichen Vorgaben, ist von den erfassten Berufsgruppen umfassend Rechnung zu tragen. Z.B. können Teilnehmer aufgefordert werden, den Raum um sich herum zu zeigen. Bild und Ton dürfen nicht unterbrochen werden. Auch bei schlechter Bildqualität, mangelhaften Licht- oder Tonverhältnissen oder Unterbrechungen der Videoübertragung ist das Verfahren abzubrechen. Bei Abbruch aus technisch- oder personenbedingten Gründen sowie bei Zweifeln des durchführenden Amtsinhabers an der Identität oder dem freien Willen von Beteiligten oder sonstigen Rechtmäßigkeitsbedenken ist der gesamte Vorgang nichtig und damit ungültig.
IX. Verfahrensabschluss
Nach Lesen und Erläutern des betreffenden Dokuments unterschreibt der entsprechende Angehörige der genannten Berufsgruppe mit qualifizierter elektronischer Signatur und leitet diese an die technischen Mitarbeiter der Plattform weiter. Diese wiederum prüfen die Qualität der Aufzeichnung sowie die qualifizierte elektronische Signatur. Die Beteiligten erhalten im Anschluss eine elektronische Abschrift des erstellten Dokuments.
X. Speicherung
Die Dokumente werden archiviert und von der Plattform 20 Jahre gespeichert. Soweit notwendig, erfolgt eine Erstellung in Papierform. Beteiligte können bis 30 Tage nach dem Termin elektronisch Einsicht nehmen. Aufzeichnungen von Videokonferenzsitzungen werden den Teilnehmern nur auf richterliche Anordnung zur Verfügung gestellt.
XI. Datenschutz
Alle Zugriffe auf die Plattform werden zu Kontrollzwecken elektronisch registriert. Unbeschadet eines Gerichtsbeschlusses ist der Zugang zu den elektronischen Aufzeichnungen von der Genehmigung des Verwaltungsorgans der IT-Plattform abhängig. Sowohl die genannten Berufsgruppen, als auch die technischen Betreiber unterwerfen sich den bestehenden Datenschutzregelungen.
XII. Vergleich mit anderen Ländern
Auch andere Länder passen sich der epidemiologischen Lage an – wenn auch im unterschiedlichen Umfang. Österreich sieht die digitale GmbH-Gründung bereits seit Anfang 2019 vor. Seit Frühjahr 2020 ist dort (zunächst vorläufig, mittlerweile dauerhaft) die digitale Wahrnehmung notarieller Amtshandlungen umfassend möglich; ausgenommen sind jedoch Testamente und sonstige letztwillige Verfügungen. Ähnlich umfassend gilt dies ebenfalls seit zwei Jahren in Belgien mit Hilfe der sogenannten digitalen Vollmacht. Deutschland dagegen sieht erst ab dem 1.8.2022 die Möglichkeit vor, die Gründung einer GmbH sowie die Unterzeichnung bestimmter Handelsregisteranmeldungen über ein System der Bundesnotarkammer online durchzuführen; darüber hinaus besteht weiterhin die (persönliche) Anwesenheitspflicht der Beteiligten bei notariellen Amtshandlungen.
In ESA 08/2022, Foto: pxhere.com