Rechtsanwalt und advogado Dr. Alexander Rathenau zeigt auf, welche Fragen sich Einwanderer stellen müssen und inwieweit dabei die EU-Grundfreiheiten zugunsten der Einwanderer wirken. Als Beispiel dient hierzu ein deutsches Ehepaar, das seinen Ruhestand in der Algarve verbringen möchte
In Portugal und in den weiteren 26 Ländern der Europäischen Union wird oftmals leichtfertig auf „die EU“ geschimpft und der Wunsch nach einem Austritt laut, sobald in einer politischen Frage Solidarität gefordert ist. Dabei vergisst der nörgelnde Unionsbürger seine EU-Grundfreiheiten zu schätzen. Ohne die Freizügigkeit könnte er nicht, nur mit seinem Personalausweis ausgerüstet, Urlaub in einem Mitgliedstaat seiner Wahl machen. Ohne die Warenverkehrsfreiheit könnte sich kein deutscher Staatsbürger ohne Weiteres ein Anwesen in Portugal kaufen. Ohne die Arbeitnehmerfreizügigkeit könnte kein österreichischer Schulabgänger in einer portugiesischen Strandbar bedienen.
Weniger offensichtlich profitiert von den Grundfreiheiten auch, wer sich in einem anderen Mitgliedstaat dauerhaft niederlassen möchte. Denn das EU-Recht geht nationalem Recht vor, soweit das nationale Recht keine günstigeren Regelungen für den Unionsbürger bereithält.
1. Mein Mann und ich möchten unseren Alterswohnsitz nach Portugal verlegen. Geht das so einfach?
Ja. Grundsätzlich hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der EU-Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Dies gewährleistet die Grundfreiheit der Freizügigkeit. Für die Einreise nach Portugal genügt die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses. Da Sie sich jedoch dauerhaft in Portugal aufhalten möchten, indem Sie Ihren Wohnsitz in Portugal beziehen, werden an Ihren Aufenthalt höhere Anforderungen gestellt. Portugal setzt für Ihren dauerhaften Aufenthalt ein Aufenthaltsrecht voraus. Sie haben ein Aufenthaltsrecht, wenn Sie a) Arbeitnehmer oder Selbstständiger in Portugal sind oder
b) für sich und Ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügen, sodass Sie während Ihres Aufenthalts in Portugal keine Sozialhilfeleistungen des portugiesischen Staates in Anspruch nehmen müssen. Ihre finanziellen Mittel, z. B. aus einer Rentenzahlung, müssen also genügen, damit Sie Ihren Lebensunterhalt selbst finanzieren können. In Portugal wird die Grundfreiheit der Freizügigkeit weiterhin beschränkt, indem Sie verpflichtet sind, sich bei der zuständigen Behörde anzumelden. Die Ausländerbehörde hat diese Aufgabe den Gemeindeämtern delegiert. Die Anmeldung erfolgt demnach bei der Câmara Municipal Ihres Wohnsitzes innerhalb einer bestimmten Frist unter Vorlage einer Reihe an Unterlagen, wie z.B. eines Rentenbescheides.
2. Unser Sohn möchte nachkommen und als angestellter Shuttle-Fahrer arbeiten. Kann er hier so einfach arbeiten?
Ja. Grundsätzlich gewährleistet die Grundfreiheit der Arbeitnehmerfreizügigkeit jedem Unionsbürger u. a. das Recht, sich um eine tatsächlich angebotene Stelle zu bewerben, sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach dem für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben. Das bedeutet Ihr Sohn darf sich um eine ausgeschriebene Arbeitsstelle bewerben und zur Aufnahme der Tätigkeit nach Portugal einreisen sowie sich hier aufhalten, solange er die Tätigkeit ausübt. Für den Verbleib Ihres Sohnes in Portugal nach Beendigung seiner Arbeit, legte die EU-Kommission in einer Verordnung Sonderregeln fest. Anders müsste man den Sachverhalt beurteilen, wenn Ihr Sohn in der öffentlichen Verwaltung Portugals tätig werden wollte. Das Gesetz selbst erklärt die Arbeitnehmerfreizügigkeit auf solche Fälle für unanwendbar. Denn dadurch nimmt der europäische Gesetzgeber Rücksicht auf die enge Beziehung zwischen dem öffentlichen Dienst und der Ausübung von Hoheitsgewalt. In allen Mitgliedstaaten ist die Ausübung von Hoheitsgewalt traditionell Inländern vorbehalten. Um jegliche Diskriminierung von EU-Ausländern zu vermeiden wird dieser Ausnahmetatbestand jedoch sehr eng ausgelegt.
3. Uns wird schnell langweilig. Wir möchten von unserem portugiesischen Wohnsitz aus ein Online-Coaching für Deutsche anbieten. Ist das erlaubt?
Ja. Grundsätzlich gewährleistet die Grundfreiheit der Dienstleistungsfreiheit den Aufenthalt in einem Mitgliedstaat zur Ausübung selbständiger Tätigkeiten. Sowohl der Dienstleistende als auch der Dienstleistungsempfänger sind geschützt und können sich über die Grenze bewegen. Geschützt wird die Freiheit, Dienstleistungen zu erbringen, geschützt wird aber auch die Freiheit, Dienstleistungen entgegenzunehmen. Daneben ist es außerdem möglich, dass allein die Dienstleistung die Grenze passiert. Insoweit wird von sog. Korrespondenzdienstleistungen gesprochen. Darunter fallen insbesondere das e-business und der e-commerce, wie Sie es planen. Allerdings ist die Abgrenzung zur Grundfreiheit der Niederlassungsfreiheit in Ihrem Fall problematisch. Die Niederlassungsfreiheit ginge der Dienstleistungsfreiheit vor, womit andere Beschränkungsmöglichkeiten verbunden wären. Während die Dienstleistungsfreiheit eine nur vorübergehende selbständige Tätigkeit schützt, gewährleistet die Niederlassungsfreiheit eine dauerhafte selbständige Tätigkeit in Portugal. Welche Grundfreiheit zu Ihren Gunsten greift, entscheidet sich also nach der Dauerhaftigkeit Ihrer Tätigkeit. Weder die Grundfreiheit der Dienstleistungsfreiheit noch die Grundfreiheit der Niederlassungsfreiheit stellen Sie von der Besteuerung Ihrer Einnahmen und Ihrer Sozialversicherungspflicht frei, vorausgesetzt es handelt sich bei Ihrem Online-Coaching um ein anmeldepflichtiges Gewerbe. Dies hängt von der tatsächlichen Art ihrer Tätigkeit ab.
4. Ich möchte mein Auto mitnehmen. Ich habe gelesen, dass hohe Einfuhrsteuern erhoben werden. Ist das nicht EU-rechtswidrig?
Nein. Denn die Grundfreiheit der Warenverkehrsfreiheit, die den freien Verkehr von Waren, hier Autos, gewährleistet, verbietet zugleich jede unmittelbare und mittelbare Diskriminierung auf Grund der Staatsangehörigkeit und alle anderen staatlichen Regelungen und Maßnahmen, die die Warenverkehrsfreiheit beschränken. Hieran knüpft das Erheben von Binnenzöllen, innerhalb der EU an. Die Einfuhrsteuer unterfällt diesen Regelungen jedoch nicht. Denn Einwanderer entrichten bei Einfuhr des KFZ zwar einen Steuerbetrag, aber Erwerber eines KFZ in Portugal entrichten denselben Betrag unter einer anderen Flagge. Auf der portugiesischen Rechnung wird die Kraftfahrzeugzulassungssteuer ausgewiesen. Einfuhr eines KFZ aus dem Ausland und Erwerb eines KFZ in Portugal werden insofern nicht ungleich behandelt, weshalb keine diskriminierende Maßnahme vorliegt. Das ist zumindest aktuell noch die Meinung der EU-Kommission.
5. Mein Mann erhält regelmäßig Dividenden aus Luxemburger Aktiengeschäften, die er in portugiesische Gesellschaften reinvestieren möchte. Gibt es irgendwelche Probleme, wenn die Gewinne aus Luxemburg auf sein portugiesisches Konto überwiesen werden?
Nein. Denn die Grundfreiheit der Kapitalverkehrsfreiheit gewährleistet grundsätzlich den freien Kapitalfluss. In diesem Zusammenhang versteht man unter Kapitalverkehr jede über die Grenze eines Mitgliedstaats der Gemeinschaft hinweg stattfindende einseitige Wertübertragung, die primär zu Anlagezwecken erfolgt. Ihr Mann möchte sein Vermögen in portugiesischen Gesellschaften anlegen. Zu diesem Zweck überträgt er seine luxemburgischen Aktiengewinne nach Portugal. Ein portugiesisches Konto ist wegen des einheitlichen Euro-Zahlungsverkehrsraums (SEPA) jedoch nicht notwendig. Ihr Mann sollte darauf achten, dass bei der Überweisung keine bzw. nur dieselben Gebühren wie für eine innerdeutsche Überweisung anfallen. Denn ein wichtiger Grundsatz des SEPA-Zahlungsverkehrs besteht darin, dass Banken verpflichtet sind, In- und Auslandsüberweisungen in Euro gleich zu behandeln soweit die Gebühren betroffen sind. Vor der Einführung des SEPA-Zahlungsverkehrs waren Überweisungen auf ausländische Konten sehr teuer. Da die Kapitalverkehrsfreiheit außerdem grundsätzlich Beschränkungen sowohl zwischen den Mitgliedstaaten als auch zwischen Mitgliedstaaten der EU und Drittstaaten verbietet, handelt es sich um ein Beschränkungsverbot. Es wäre also auch unzulässig den freien Kapitalfluss zwischen beispielsweise den USA und Portugal zu erschweren. Ihr Mann dürfte sich auch aus diesen Ländern die Dividenden überweisen lassen.
Wie sich in den Antworten auf die Fragen des deutschen Ehepaars schon abzeichnet, lebt das (Europa)Recht von Ausnahmen und Gegenausnahmen. Einwanderern ist daher anzuraten sich anwaltlich betreuen zu lassen, um nicht in Stolperfallen zu tapsen.
In ESA 09/2022, Foto: Shutterstock