Am 10. Februar 2019 ist eine umfassende Reform des Vormundschafts- und Pflegschaftsrechts in Portugal in Kraft getreten. Menschen, die nicht selbst für sich entscheiden können, bekommen einen rechtlichen Betreuer. Dies kann z.B. notwendig sein, wenn man eine psychische Behinderung hat. Rechtsanwalt und advogado Dr. Alexander Rathenau beantwortet die wichtigsten Fragen zur rechtlichen Betreuung
Das am 10. Februar 2019 in Kraft getretene neue Betreuungsrecht führte zur größten Reform des allgemeinen Teils des portugiesischen Zivilgesetzbuches seit dessen Inkrafttreten im Jahr 1966. Es wird in den kommenden Jahren eine herausragende Bedeutung im Leben vieler Menschen haben, da mit der zunehmenden Alterung der Gesellschaft die Zahl der Betreuungsfälle steigt.
1. Was bedeutet rechtliche Betreuung?
Rechtliche Betreuung bekommen Menschen über 18 Jahre, die nicht in der Lage sind, für sich selbst zu entscheiden. Die bisherigen Rechtsinstitute der Entmündigung (interdição) und Gebrechlichkeitspflegschaft (inabilitação) wurden aufgehoben und durch eine einheitliche und flexible Erwachsenenbetreuung (acompanhamento de maior) ersetzt. Lagen die strengen Voraussetzungen einer Entmündigung nicht vor, kam unter der alten Rechtslage die Bestellung eines Gebrechlichkeitspflegers in Betracht. Der portugiesische Gesetzgeber reagiert mit der neuen Erwachsenenbetreuung auf die Zunahme von Personen mit altersbedingten Erkrankungen, die eine auf die jeweilige Situation zugeschnittene Lösung benötigen. Die Betreuung ist auf das Notwendige zu beschränken, und die angeordneten Maßnahmen spätestens alle fünf Jahre zu überprüfen.
2. Wie kommt es zu einer Betreuung?
Eine Betreuung kann man für sich selbst beantragen oder man kann seinen Ehepartner, Lebenspartner oder einen erbberechtigten Verwandten damit beauftragen. Unabhängig von der Zustimmung des Begünstigten (der zu betreuenden Person) ist die Staatsanwaltschaft antragsbefugt. Das Gericht kann die fehlende Zustimmung des Begünstigten durch einen Beschluss ersetzen, wenn er nicht mehr in der Lage ist, diese frei und bewusst zu erteilten. Der Antrag auf Ersetzung seiner Zustimmung kann gleichzeitig mit dem Antrag auf Betreuung gestellt werden. Der Antrag auf Betreuung kann bereits ein Jahr vor dem Erreichen der Volljährigkeit gestellt werden.
3. Kann man seinen Betreuer selbst bestimmen?
Seit dem 10. Februar 2019 grundsätzlich ja. Dabei handelt es sich um einer der wichtigsten Änderungen im Vergleich zum alten System. Anders als in Deutschland war es in Portugal bisher nicht möglich eine Person zu bestimmen, die entscheiden soll, wenn man es selbst nicht mehr kann. Es bestand das Risiko, dass jemand vom Gericht zum Betreuer ernannt wurde, den man sich selbst nicht ausgesucht hatte. Jede volljährige Person kann daher ab sofort im Hinblick auf eine – bereits eingetretene oder später eintretende – Notwendigkeit einer Betreuung eine Person bestimmen, die als Betreuer vom Gericht ernannt werden soll. Ist eine Vertrauensperson vorhanden (z.B. der Ehepartner oder die Tochter) empfiehlt es sich diese Bestimmung mit Vertretungsrechten zu koppeln. Gemeint ist die Erteilung einer Vollmacht. Üblich sind in Portugal Generalvollmachten im vermögensrechtlichen Bereich, die auch weiterhin in Kraft bleiben, wenn der Vollmachtgeber seine Geschäftsfähigkeit verliert. Mit einer Generalvollmacht bestehen nämlich gute Chancen, dass eine Betreuung vom Gericht nicht angeordnet werden muss. Unabhängig davon, ob die Bestimmung der Person mit oder ohne Vertretungsbefugnisse vorgenommen wird, sollte die Erklärung aus Gründen der Rechtssicherheit anwaltlich oder notariell beurkundet werden.
Die Bestimmung der Person kann jederzeit frei vom Auftraggeber widerrufen werden. Das Gericht kann den Auftrag aufheben, wenn Umstände vorliegen, die vermuten, dass der Auftraggeber das Mandat widerrufen wollte. Wird im Interesse des Betreuten eine andere Person vom Gericht zum Betreuer ernannt, erlischt das erteilte Mandant und damit auch die Vollmacht, sollten auch Vertretungsbefugnisse erteilt worden sein. Der Auftrag erlischt auch mit dem Tod des Auftraggebers oder Auftragnehmers. Nach den allgemeinen Regeln erlischt der Auftrag (und damit auch die eventuelle Vollmacht) jedoch dann nicht mit dem Tod des Auftraggebers oder durch eine Entscheidung des Betreuungsgerichts, wenn der Auftrag auch im Interesse des Beauftragten oder eines Dritten erteilt wurde. Letzteres ist eine Besonderheit des portugiesischen Rechts, die z.B. das deutsche Recht nicht kennt. Lassen Sie sich durch einen Fachanwalt beraten.
4. Wer wird vom Gericht zum Betreuer ernannt, wenn man selbst keinen ernannt hat?
Der Betreuer wird stets vom Gericht formal bestellt. Der Begünstigte (oder sein gesetzlicher Vertreter) entscheidet grundsätzlich selbst, wer sein Betreuer wird. Wurde aber keine Person – wie oben unter Frage 3 aufgeführt – bestimmt, bzw. ist der Begünstigte aufgrund seiner Erkrankung nicht mehr dazu in der Lage, entscheidet das Gericht unter Berücksichtigung des nachstehenden Personenkatalogs wer Betreuer wird: a) der Ehepartner, der vom Begünstigten nicht getrennt lebt, b) der faktischer Lebenspartner, c) ein Elternteil, d) die Person, die durch die Eltern in einem beurkundeten Dokument (z.B. Testament) bestimmt wurde, e) die volljährigen Kinder, f) ein Großelternteil, g) die Person, welche durch die Institution bestimmt wird, die den Begünstigten aufgenommen hat, h) der Vollmachtnehmer, dem der Begünstigte Vertretungsbefugnisse erteilt hat, i) eine andere vertrauenswürdige Person. Es können mehrere Betreuer mit unterschiedlichen Aufgaben ernannt werden. Anders das alte Recht – das ebenso einen Katalog mit Personen vorsah – ist die Reihenfolge dieser Aufzählung nicht subsidiär, d.h. der zuerst genannte Ehepartner hat keinen Vorrang bei der Entscheidung über die Ernennung des Betreuers. Bemerkenswert ist jedoch, dass der Ehepartner sowie Vor- und Nachfahren des Begünstigten das Betreuungsmandat nicht ablehnen dürfen. Nachfahren können nach einem Zeitraum von 5 Jahren auf Antrag entlassen werden, wenn es andere vertrauenswürdige Nachfahren gibt. Wer demnach seinem Ehepartner sowie bestimmten Vor- und Nachfahren die Last nehmen möchten, als Betreuer handeln zu müssen, hat einem weiteren Grund, frühzeitig durch die Bestimmung der Wunschperson vorzubeugen.
5. Wird der Betreuer für seine Leistungen bezahlt?
Nein. Die Tätigkeit des Betreuers erfolgt unentgeltlich. Je nach der wirtschaftlichen Situation des Betreuten und Betreuers kann es zu der Erstattung von Auslagen kommen. Der Betreuer hat den Betreuten mindestens einmal im Monat zu besuchen, sollte das Gerichtsurteil keine andere Regelung vorsehen. In Deutschland wird die Tätigkeit des Betreuers hingegen vergütet und notfalls durch die Staatskasse gezahlt. Dies hängt wohl auch damit zusammen, dass es in Portugal so gut wie keinen Raum für berufsmäßig bestellte Betreuer gibt.
6. Für welche Bereiche ist der Betreuer zuständig?
Nach der neuen Rechtslage kommt das ganz auf die zu betreuende Person und die konkreten Umstände an. Das Gericht bestimmt, für welche Bereiche eine Betreuung notwendig ist. Nur für die Bereiche, für die der Betreute nicht mehr selbst entscheiden kann, springt der Betreuer ein. Wenn es dem Betreuten z.B. schwer fällt, mit Geld umzugehen, kann dies der Betreuer übernehmen. Die Aufgabenbereiche des Betreuers stehen im Gerichtsurteil. Die Wahrnehmung persönlicher Rechte können dem Betreuten nur ausnahmsweise unter strengen Voraussetzungen entzogen werden; gemeint sind z.B. die Entscheidung Kinder zu zeugen sowie einen bestimmen Beruf oder Wohnort zu wählen.
7. Ist man automatisch geschäftsunfähig, wenn man einen Betreuer hat?
Nein. Auch wer einen Betreuer hat, kann voll geschäftsfähig sein. Dies kann dazu führen, dass der Betreuer und der Betreute gegensätzliche Entscheidungen treffen. Beide Entscheidungen sind erst einmal rechtsgültig. Bei Streitigkeiten muss das Gericht entscheiden, ob der Betreute geschäftsunfähig ist.
Wichtiges Fazit: Seit dem 10. Februar 2019 wurde der Umfang der Vorsorgemöglichkeiten in Portugal erweitert. Bisher war es „nur“ möglich eine Patientenverfügung, eine Vollmacht im medizinischen Bereich, eine Vollmacht im vermögensrechtlichen Bereich und ein Testament zu erstellen. Ab sofort kann im Rahmen der genannten Vollmacht im vermögensrechtlichen Bereich oder in einer separaten Urkunde die Person bestimmt werden, die vom Gericht bei der Ernennung der Person des Betreuers formal ernannt wird. Das ist sehr positiv zu bewerten, da es der Selbstbestimmungsfreiheit des Menschen Rechnung trägt.
Text: DR. ALEXANDER RATHENAU in ESA 06/2019