Leseranfrage:
Mein Vater hat mit seiner zweiten Ehefrau ein gemeinschaftliches handschriftliches Ehegattentestament errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben und mich und die beiden Töchter der Ehefrau aus zweiter Ehe als Schlusserben eingesetzt haben. Nach dem Tode meines Vaters hat die Ehefrau ein neues Testament errichtet, in dem sie nur ihre beiden Töchter als ihre Erben eingesetzt hat. Nach dem Tode ihrer Mutter haben die beiden Töchter nun einen Erbschein beim Nachlassgericht beantragt, der sie als Alleinerben ihrer Mutter ausweisen soll, mit der Begründung, in dem gemeinschaftlichen Ehegattentestament sei nicht festgelegt worden, ob der Überlebende dieses Testament später noch ändern und über das Vermögen frei verfügen könne. Hieraus sei zu schließen, dass die Eheleute eben gerade keine Wechselbezüglichkeit und Bindungswirkung betreffend die Schlusserbeneinsetzung gewollt hätten. Ist das richtig?
Antwort:
Nach § 2267 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) können Ehegatten ein gemeinschaftliches eigenhändig geschriebenes Testament errichten.
Es genügt, wenn einer der Ehegatten das gemeinschaftliche Testament handschriftlich verfasst und der andere Ehegatte dieses eigenhändig mitunterzeichnet. Der mitunterzeichnende Ehegatte soll hierbei angeben, an welchem Datum und an welchem Ort er seine Unterschrift beigefügt hat.
Im sogenannten „Berliner Testament“ setzen sich zwei Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Alleinerben ein und treffen die Bestimmung, dass nach dem Tod des Längerlebenden der Nachlass an einen Dritten, meistens die gemeinsamen Kinder fallen soll.
Der Vorteil des Berliner Testaments ist, dass man zunächst den überlebenden Ehegatten absichern kann. Dieser kann mit dem gemeinsamen Vermögen weiterleben, ohne das Erbe teilen zu müssen. Die gesetzlichen Erben, meist die Kinder, haben jedoch die Möglichkeit, nach dem erstversterbenden Elternteil ihren Pflichtteil geltend zu machen. Der Pflichtteilsberechtigte hat keine Erbenstellung, sondern er hat nur einen Geldanspruch gegen den Erben.
Haben die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezügliche Verfügungen getroffen, entsteht hierdurch eine sehr starke Bindung.
Wechselbezügliche und damit bindende Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament sind gemäß § 2270 Absatz 1 BGB Verfügungen, von denen anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen nicht ohne die Verfügung des anderen getroffen sein würde, mit der Folge, dass die Nichtigkeit oder der Widerruf der einen Verfügung die Unwirksamkeit der anderen zur Folge hat.
Der Widerruf einer solchen wechselbezüglichen Verfügung erfolgt zu Lebzeiten der Ehegatten durch eine höchstpersönliche Erklärung gegenüber dem anderen Ehegatten, die der notariellen Beurkundung bedarf. Durch eine neue Verfügung von Todes wegen kann ein Ehegatte zu Lebzeiten des anderen seine Verfügung nicht einseitig aufheben.
Das Recht zum Widerruf erlischt jedoch mit dem Tode des anderen Ehegatten; der überlebende Ehegatte ist nun an die wechselbezügliche Verfügung gebunden.
Es steht den Ehegatten jedoch frei zu bestimmen, ob und inwieweit ihre letztwilligen Anordnungen in ihrem gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich sein sollen. Sie sind auch befugt, die Widerruflichkeit wechselbezüglicher Verfügungen über den im Gesetz vorgesehenen Rahmen hinaus zu erweitern oder zu beschränken und dem überlebenden Ehegatten sogar ein freies Widerrufsrecht einzuräumen.
Die Wechselbezüglichkeit und damit die Bindungswirkung muss für jede einzelne Verfügung des Testaments gesondert geprüft werden. Sofern die Wechselbezüglichkeit von den Ehegatten nicht ausdrücklich bestimmt ist, muss der Wille der gemeinsam testierenden Ehegatten durch Auslegung ermittelt werden. Maßgeblich ist dabei der Wille zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments.
Wenn die Erforschung des Willens beider Ehegatten durch Auslegung bezüglich der Wechselbezüglichkeit kein eindeutiges Ergebnis gebracht hat, also weder die gegenseitige Abhängigkeit noch die gegenseitige Unabhängigkeit der maßgeblichen Verfügung festgestellt werden kann, muss auf die Auslegungsregel des § 2270 Absatz 2 BGB zurückgegriffen werden, wonach eine Wechselbezüglichkeit im Zweifel dann anzunehmen ist, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedenken oder wenn dem einen Ehegatten von dem anderen eine Zuwendung gemacht und für den Fall des Überlebens des Bedachten eine Verfügung zugunsten einer Person getroffen wird, die mit dem anderen Ehegatten verwandt ist oder ihm sonst nahesteht.
Dies ist vorliegend der Fall: Ihr vorverstorbener Vater hat seine Ehefrau nur deshalb zu seiner Alleinerbin bestimmt, weil diese wiederum auch Sie neben ihren Töchtern zum Schlusserben bestimmt hat. Die Ehefrau war daher an Ihre letztwillige Schlusserbeneinsetzung in dem gemeinschaftlichen Testament gebunden und sie war daher nach dem Tod ihres Ehemannes an einem einseitigen Widerruf dieser wechselbezüglichen Verfügung durch ein weiteres Testament gehindert.
Das Nachlassgericht muss daher einen Erbschein ausstellen, der Sie und die beiden Töchter als Erben der verstorbenen zweiten Ehefrau Ihres Vaters ausweist.
Um die Bindungswirkung nach dem Tod des erstversterbenden Ehegatten zu vermeiden oder abzumildern, können die Ehegatten bestimmen, dass der Überlebende befugt sein soll, die eigentlich wechselbezüglich bindende Schlusserbeneinsetzung einseitig abändern zu können. Der überlebende Ehegatte wird also durch eine solche Abänderungsklausel in die Lage versetzt in einem eigenen Testament wirksam abweichende Regelungen zu treffen, solange sich diese im Rahmen der Abänderungsbefugnis halten. Seine Bindung an die wechselbezügliche Verfügung wird dadurch aufgehoben oder modifiziert.
Eine solche Klausel kann sinnvoll sein, um angemessen auf veränderte Lebensumstände reagieren zu können.
Erschienen in ESA 05/2021