Leseranfrage:
Ich hatte für meine dreiköpfige Familie im Mai 2020 Hin- und Rückflüge von München nach Faro bei der Fluggesellschaft TAP Air Portugal für einen zweiwöchigen Ferienaufenthalt in der Algarve gebucht. Im April 2020 wurde uns mitgeteilt, dass die von uns gebuchten Flüge wegen der COVID-19-Pandemie storniert worden seien.
Hierauf setzte ich mich mit dem Kundenservice der TAP Air Portugal in Verbindung, wo mir mitgeteilt wurde, ich solle mich wegen der Rückerstattung der Flugpreise mit dem Reisebüro in Verbindung setzen, über die ich die Flüge gebucht hatte.
Sodann nutzte ich den Online-Mahnschreibengenerator des Reisebüros, um die Erstattung der Flugkosten nach der Fluggastrechteverordnung für die annullierten Flüge geltend zu machen. Ich erhielt daraufhin eine E-Mail des Reisebüros mit der Bestätigung, dass mein Erstattungsantrag an die Fluggesellschaft weitergeleitet worden sei und das Reisebüro die Erstattung veranlassen werde, sobald die Fluggesellschaft die Erstattung genehmigt und den Betrag an das Reisebüro gezahlt habe.
Seitdem erhalte ich jeden Monat ein E-Mail-Update zum Status meiner Rückerstattung, die bis zum heutigen Tage aussteht. In den E-Mails wird stets darauf hingewiesen, dass die Fluggesellschaften einer massiven Arbeitsbelastung unterlägen und daher kein Auszahlungsdatum genannt werden könne. Ist es sinnvoll, den Rückerstattungsbetrag einzuklagen?
Antwort:
Es hat sich in diesen Fällen stornierter Flüge – wie auch in dem vorliegenden – gezeigt, dass Fluggesellschaften und Reisebüros die Verantwortlichkeit für die Rückerstattungspflicht häufig zwischen sich hin- und herschieben. Für den Geschädigten stellt sich daher zunächst die Frage nach dem richtigen Anspruchsgegner.
Der Anspruch auf vollständige Erstattung der Flugscheinkosten ist gemäss Artikel 8 Absatz 1 a) der Europäischen Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) binnen sieben Tagen von der Fluggesellschaft zu leisten.
Im vorliegenden Fall wurden lediglich Flüge gebucht. Es sind daher nicht die Regelungen für Pauschalreisen anwendbar. Eine Pauschalreise besteht stets aus mindestens zwei Hauptreiseleistungen, meistens um eine zusammenhängende Buchung von Flug und Hotel.
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 26.3.2020 entschieden, dass die Europäische Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004) auch in solchen Fällen anwendbar sei, in denen ein Reisender seinen Flug mit einer ausländischen Fluggesellschaft über ein Reisebüro und nicht direkt bei der Fluggesellschaft gebucht hat.
Der EuGH vertritt in dem zitierten Urteil die Auffassung, dass der Begriff des „ausführenden Luftfahrtunternehmens“, auf den die Europäische Fluggastrechteverordnung Bezug nimmt, nicht nur solche Fluggesellschaften umfasse, die mit dem Fluggast direkt einen Vertrag abgeschlossen hätten, sondern auch solche, die dies mit dem Reisebüro tun, das wiederum mit dem Fluggast einen Vertrag geschlossen hat. Der Fluggast könne sich damit auf die Europäische Fluggastrechteverordnung berufen.
Die Vorschriften bezüglich der Gerichtszuständigkeit für Vertragsstreitigkeiten setzten somit nicht den Abschluss eines direkten Vertrags zwischen dem Fluggast und der Fluggesellschaft voraus. Es müsse allerdings die beklagte Fluggesellschaft eine freiwillige Verpflichtung eingegangen sein. Eine solche sei die Übernahme einer Reiseleistung und die damit einhergehenden Verpflichtungen aus der Europäische Fluggastrechteverordnung durch den Vertragsabschluss mit dem Reisebüro. Die Verpflichtung der Fluggesellschaft im Namen des Reisebüros begründet danach rechtlich eine „Vertragssache“. Eine Klage auf Erstattung der Flugkosten nach der Europäischen Fluggastrechteverordnung ist daher nach der Rechtsprechung des EuGH als Klage aus einer Vertragssache zu werten.
Das hat zur Folge, dass die Fluggesellschaft nicht nur am allgemeinen Gerichtstand ihres Sitzes, sondern auch am besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes, bei Flügen am Gerichtsstand des Abflugortes oder des Ankunftsortes verklagt werden kann.
Diese Rechtsprechung, die auch vom Bundesgerichtshof vertreten wird, bringt dem geschädigten Fluggast erhebliche Vorteile. Er muss die Fluggesellschaft nicht mehr an ihrem Sitz im Ausland verklagen, im vorliegenden Fall die TAP Air Portugal bei dem zuständigen Gericht in Lissabon, sondern er kann bei dem Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich der Ankunfts- oder Abflugflughafen liegt Klage gegen die Fluggesellschaft erheben.
Im vorliegenden Fall können Sie Klage gegen die TAP Air Portugal beim Amtsgericht Erding, in dessen Zuständigkeitsbereich der Flughafen München liegt, erheben. Nur wenn der Streitwert fünftausend Euro übersteigt, ist das Langericht Landshut zuständig.
Seit Beginn der COVID-19-Pandemie hat sich gezeigt, dass die Fluggesellschaften die Ansprüche auf Kostenrückerstattung nur sehr schleppend oder überhaupt nicht bearbeiten. Wird jedoch Klage erhoben, erkennen die Fluggesellschaften die geltend gemachten Rückerstattungsansprüche zwecks Vermeidung weiterer Kosten in der Regel an, sodass in vielen Fällen ein Anerkenntnisurteil ergeht und die Geschädigten relativ schnell zu Ihrem Geld kommen. Denn die Fluggesellschaften haben nur wenig Gründe, mit denen sie der Klage entgegentreten können.
Die Möglichkeit, bei dem Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich der Abflug- oder Ankunftsflughafen liegt, gegen ausländische Fluggesellschaften zu klagen, hat auch wirtschaftliche Vorteile. Nach dem deutschen Zivilprozessrecht muss die im Rechtsstreit unterlegene Partei die gesamten gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten sowie unter Umständen sogar die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten tragen. Im portugiesischen Zivilprozessrecht bleibt die obsiegende Partei hingegen auf ihren Rechtsanwaltskosten sitzen, weshalb dort Klagen mit geringen Steitwerten aus wirtschaftlichen Gründen oft wenig sinnvoll sind.
Erschienen in ESA 04/2021