Leseranfrage:
Mein Ehemann ist vor kurzer Zeit verstorben. Er besaß die portugiesische Staatsangehörigkeit, ich bin deutsche Staatsangehörige. Wir hatten stets in Deutschland unseren Hauptwohnsitz und besaßen in Portugal gemeinsam eine Immobilie als Feriendomizil. Wir waren im ehelichen Güterstand der deutschen Zugewinngemeinschaft verheiratet. Da mein Ehemann seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatte, wo er auch verstarb, ist auf seinen Nachlass deutsches Erbrecht anzuwenden. Mein Ehemann hat kein Testament errichtet, da wir davon ausgingen, dass der Überlebende von uns neben unserer gemeinsamen Tochter, die in Portugal lebt, die Hälfte des Nachlasses erben würde.
Für die Eigentumsübertragung der Immobilie in Portugal müssen meine Tochter und ich beim Grundbuchamt eine Steuererklärung (Imposto do Selo) und einen Erbschein vorlegen. Bezüglich der Abgabe der Steuererklärung vertritt meine Tochter die Auffassung, dass ich nur ein Viertel des Nachlasses und sie Dreiviertel des Nachlasses erben würde. Da mein verstorbener Ehemann und ich im ehelichen Güterstand der deutschen Zugewinngemeinschaft verheiratet waren, erhöht sich nach meiner Auffassung mein Erbteil jedoch um ein Viertel auf Einhalb des Nachlasses. Da bei der Abgabe der Erbschaftsteuererklärung bei der portugiesischen Finanzbehörde die Erbquoten angegeben werden müssen und wir uns insoweit nicht einigen konnten, konnte die Steuererklärung nicht abgegeben werden. Wie kann ich meinen Erbanspruch durchsetzen?
Antwort:
Gemäss § 1931 Absatz 1, Satz 1, des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ist der überlebende Ehegatte des Erblassers neben Verwandten der ersten Ordnung zu einem Viertel, neben Verwandten der zweiten Ordnung oder neben Großeltern zur Hälfte der Erbschaft als gesetzlicher Erbe berufen.
Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind die Abkömmlinge des Erblassers, sodass dem überlebenden Ehegatten danach neben einem Kind lediglich ein Viertel der Erbschaft zusteht.
Lebten die Ehegatten jedoch im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft, wird der längerlebende Ehegatte nach der im familienrechtlichen Teil des BGB stehenden Bestimmung des § 1371, Absatz 1, besonders wie folgt privilegiert: „Wird der Güterstand durch den Tod eines Ehegatten beendet, so wird der Ausgleich des Zugewinns dadurch verwirklicht, dass sich der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten um ein Viertel der Erbschaft erhöht; hierbei ist unerheblich, ob die Ehegatten im einzelnen Falle einen Zugewinn erzielt haben.“
Die gesetzliche Erbquote wird somit pauschal erhöht, was zu einer Verringerung der gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsquoten der weiteren gesetzlichen Erben, vorliegend also Ihrer Tochter, führt. In der deutschen Rechtsprechung und Literatur war schon immer umstritten, ob die Bestimmung des § 1371 Absatz 1 BGB güter-rechtlicher oder erbrechtlicher Natur ist.
Mit der überwiegenden Meinung hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Entscheidung vom 12.11.2013 in einem Fall eines deutsch/griechischen Ehepaares die Bestimmung des § 1371 Absatz 1 BGB als rein güterrecht-liche Norm qualifiziert und die nach griechischem Erb-recht gebildete Erbquote der deutschen Ehefrau nach dem Tode ihres Ehemannes pauschal um ein Viertel erhöht. Damit hat sich das Gericht in dem Streit um die Anwendbarkeit des § 1371 Absatz 1 BGB der Ansicht angeschlossen, die die güterrechtliche Erhöhung der Erbquote des überlebenden Ehegatten auch dann für geboten hält, wenn ausländisches Erbrecht anzuwenden ist. Diese Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 13.5.2015 bestätigt.
In Artikel 1, Absatz 1 der geltenden Europäischen Erbrechtsverordnung Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 ist bestimmt, dass diese Verordnung (nur) auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anzuwenden ist. Gemäss Artikel 1, Absatz 2 d) der Europäischen Erbrechtsverordnung gilt sie ausdrücklich nicht für Fragen des ehelichen Güterrechts.
Nun hat der Europäische Gerichtshof mit Urteil vom 1. März 2018 entschieden, dass Artikel 1, Absatz 1 der Europäischen Erbrechtsverordnung entgegen der herrschenden Auffassung der deutschen Gerichte dahin auszulegen sei, dass eine nationale Bestimmung wie § 1371 Absatz 1 BGB, wonach beim Tod eines Ehegatten ein pauschaler Zugewinnausgleich durch Erhöhung des Erbteils des überlebenden Ehegatten vorzunehmen sei, in den Anwendungsbereich der Europäischen Erbrechtsverordnung falle.
Der Europäische Gerichtshof begründet seine Entscheidung damit, dass im europäischen Rechtsraum die Rechte der Erben effektiv gewahrt werden müssten. Hierfür sehe die Europäische Erbrechtsverordnung das Europäische Nachlasszeugnis vor, das es jedem Erben ermöglichen müsse, in einem anderen Mitgliedstaat seine Rechtsstellung und seine Erbansprüche nachzuweisen. Nach § 1371, Absatz 1 BGB werde im Falle der Beendigung der Zugewinngemeinschaft durch Tod der gesetzliche Erbteil des überlebenden Ehegatten um ein Viertel der Erbschaft erhöht. Folglich beziehe sich diese Bestimmung auf Erbsachen im Sinne der Europäischen Erbrechtsverordnung.
Gemäss Artikel 69 Absatz 1 der Europäischen Erbrechtsverordnung entfaltet das Europäische Nachlasszeugnis Wirkungen in allen Mitgliedstaaten, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf. Nach Artikel 68 l) der Europäischen Erbrechtsverordnung enthält das Europäische Nachlasszeugnis auch den Erbteil eines jeden Erben.
Angesichts dieser aktuellen Rechtslage ist Ihnen anzuraten, in Deutschland einen Antrag auf Erteilung eines Europäischen Nachlasszeugnisses nach der Europäischen Erbrechtsverordnung mit einem Erbteil von je Einhalb für Sie und Ihre Tochter zu beantragen. Dieses Europäische Nachlasszeugnis ist in Portugal wirksam und kann beim dortigen Finanzamt zum Nachweis der jeweiligen Erbquote vorgelegt werden.
Text: RECHTSANWALT WALDEMAR HÜHN in ESA 06/2018