Leseranfrage:
Mein Vater ist Anfang diesen Jahres in Deutschland verstorben, was ich zufällig durch Bekannte erfahren habe. Ich wohne seit Jahren in Portugal und hatte in den letzten Jahren keinen Kontakt mehr zu meinem Vater. Nach dem Tode meiner Mutter vor fünf Jahren ist meine Schwester mit ihrer Familie in das Einfamilienhaus meines Vaters gezogen und hat dessen Haushalt mit versorgt. Sie hat auch das meinem Vater gehörende Mietshaus am selben Wohnort verwaltet und seine Bankgeschäfte erledigt. Auch zu meiner Schwester hatte ich in den vergangenen Jahren kein gutes Verhältnis und kaum Kontakt. Nachdem ich vom Tode meines Vaters erfahren habe, bat ich meine Schwester mehrmals um Auskunft über den Bestand der Erbschaft und ob mein Vater ein Testament hinterlassen hat. Als gesetzliche Erben kommen nur meine Schwester und ich in Betracht. Meine Schwester ließ alle meine Anfragen unbeantwortet. Habe ich gegenüber meiner Schwester einen Anspruch auf Auskunft?
Antwort:
Miterben oder Pflichtteilsberechtigte, die in den letzten Jahren vor dem Erbfall kaum oder keinen Kontakt zum Erblasser hatten, haben oft keine Kenntnis über den Bestand des Nachlasses. Sie müssen sich zunächst Informationen beschaffen, um ihre Rechte und Ansprüche als Pflichtteilsberechtigte oder als Miterben gegenüber der Erbengemeinschaft überhaupt wirksam durchsetzen zu können.
Zunächst sollten Sie sich Gewissheit darüber verschaffen, ob Sie Miterbe oder nur Pflichtteilsberechtigter sind, da die jeweiligen Auskunftsanspüche sehr verschieden ausgestaltet sind.
Pflichtteilsberechtigte sind nahe Angehörige des Erblassers, die durch Testament oder Erbvertrag enterbt worden sind. Ohne eine solche letztwillige Verfügung des Erblassers gibt es daher keine Enterbung. Zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gehören gemäß § 2303 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Abkömmlinge (Kinder, Enkel, Urenkel) und der Ehepartner des Erblassers sowie seine Eltern.
Das Nachlassverfahren dient der Ermittlung der Erben und obliegt dem zuständigen Nachlassgericht, einer speziellen Abteilung des Amtsgerichts, das für den letzten Wohnort des verstorbenen Erblassers zuständig ist. Zu diesem Zweck müssen Erbverträge und Testamente an das Nachlassgericht abgeliefert werden. Bei amtlich verwahrten Urkunden erfolgt dies mit Hilfe des Testamentsregisters, für privat verwahrte Testamente besteht eine gesetzliche Ablieferungspflicht.
Werden Testamente oder Erbverträge an das Nachlassgericht übermittelt, muss dieses sie von Amts wegen eröffnen. Das zuständige Nachlassgericht hat die Pflicht, sämtliche Beteiligte an einem Erbfall von dem Inhalt eines Testaments oder eines Erbvertrages schriftlich zu benachrichtigen. In diesen Fällen wird den Beteiligten mitgeteilt, ob sie Erben oder nur Pflichtteilsberechtigte sind.
Dies kann jedoch unterbleiben, wenn die Anschrift eines Beteiligten vom Nachlassgericht entweder gar nicht oder nur mit großem Aufwand ermittelt werden kann, beispielsweise wenn ein Beteiligter ins Ausland verzogen ist. Erteilen die Erben wie in vorliegendem Fall keine Auskunft, so ist es ratsam, sich zunächst selbst an das Nachlassgericht zu wenden, um Informationen zu erhalten.
Wenn das Nachlassgericht von keinen Erbverträgen oder Testamenten Kenntnis erlangt, tritt die gesetzliche Erbfolge ein. Das würde in Ihrem Fall bedeuten, dass Sie mit Ihrer Schwester eine Erbengemeinschaft bilden, an der beide jeweils zur Hälfte beteiligt sind.
Der Pflichtteilsberechtigte hat gemäss § 2314 BGB gegenüber dem Erben ein umfassendes Auskunftsrecht über den Bestand und den Wert des Nachlasses; der Erbe hat ihm detailliert aufzulisten, wie sich der Nachlass zusammensetzt und welchen Wert der Nachlass hat.
Hat der Pflichtteilsberechtigte Grund zu der Annahme, dass das vom Erben übermittelte Nachlassverzeichnis nicht mit der gebotenen Sorgfalt erstellt wurde, kann er vom Erben verlangen, dass dieser die Richtigkeit des Nachlassverzeichnisses an Eides statt versichert.
Der Pflichtteilsberechtigte ist entsprechend seiner gesetzlich bestimmten Pflichtteilsquote am Wert des Nachlasses lediglich mit einen Zahlungsanspruch gegen den oder die Erben auf eine bestimmte Geldsumme beteiligt.
Im Gegensatz zum Pflichtteilsberechtigten hat der Miterbe keinen allgemeinen gesetzlichen Auskunftsanspruch gegen andere Erben. Diese herrschende Rechtsmeinung beruht auf der Annahme, dass jeder Erbe die gleiche Rechtsstellung habe und sich daher selbst die erforderlichen Informationen beschaffen könne.
Dies gilt allerdings nur solange, wie jeder Miterbe auch in der Lage ist, diese Informationen erlangen zu können. Sobald der Miterbe darlegen kann, dass ihm ohne die Auskunftserteilung durch andere Miterben nachteilige Folgen drohen, die er selbst in entschuldbarer Weise nicht vermeiden kann, kommt ausnahmsweise ein allgemeiner Auskunftsanspruch, gestützt auf „Treu und Glauben“ nach § 242 BGB in Betracht.
Günstiger als das Vorgehen nach § 242 BGB ist die Geltendmachung speziell gesetzlich geregelter Auskunftsansprüche gegen die Miterben, wie z.B. die Auskunftspflicht des verwaltenden Miterben. Wurde der Miterbe noch vom Erblasser mit der Verwaltung seines Vermögens beauftragt, so ist er gegenüber der Erbengemeinschaft nach § 666 BGB zur Auskunft und Rechenschaft verpflichtet.
Nach § 2028 Absatz 1 BGB hat der Miterbe Auskunftsansprüche gegen Personen, die zur Zeit des Erbfalls mit dem Erblasser in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben. Diese sind verpflichtet, dem Erben auf Verlangen Auskunft darüber zu erteilen, welche erbschaftlichen Geschäfte sie geführt haben und was ihnen über den Verbleib der Erbschaftsgegenstände bekannt ist.
Nach § 2027 Abs. 1 BGB besteht ein Auskunftsanspruch gegen den „Erbschaftsbesitzer“ über den Bestand der Erbschaft und den Verbleib der Erbschaftsgegenstände. „Erbschaftsbesitzer“ ist derjenige, der aufgrund eines ihm in Wirklichkeit nicht zustehenden Erbrechts etwas aus der Erbschaft erlangt hat. Ein Miterbe wird dann „Erbschaftsbesitzer“ im Sinne von § 2027 BGB, wenn er die Rechte der anderen Miterben bestreitet und sich benimmt wie ein Alleinerbe.
Text: RECHTSANWALT WALDEMAR HÜHN in ESA 07/2020