Nicht jeder kann Kork schälen. Diejenigen, die es können, sind mächtig stolz darauf und werden schon Monate im Voraus für die Korkernte angeheuert
Korkeichen haben in Portugal viele Aufgaben. Der knorrige, krumm gewachsene Baum mit dem haubenfömigen, immer-grünen Blätterdach, schenkt der Landschaft ihr unverwechselbares Antlitz, den Menschen Arbeit und der Natur einen in sich harmonisierenden Lebensraum. Der Ertrag der Bäume belegt einen nicht unerheblichen Anteil der portugiesischen Wirtschaft; präzise ausgedrückt deckt Portugal als Korkproduzent 60 Prozent des Welthandels ab. Das Endprodukt der Korkrinde steckt heute nicht mehr nur als schmaler zylinderförmiger Stöpsel in Weinflaschen. Bau- und Dämmstoffe sowie modische Acessoires, vom Brillenetui bis zur Golftasche, gehören längst zu den Favoriten der internationalen Weiterverarbeitungsindustrie der Korkrinden. In der bergigen Region der Serra de Monchique wachsen die Sobreiros viel dichter als in den weitläufigen Hügeln des Alentejo und bieten mit ihren ausladenden Laubschirmen der Erde im Winter Schutz vor dem rauen Klima in der Westalgarve und im Sommer schützen ihre Schatten vor Verkarstung des Bodens. In Monchique spricht man von Silvicultura, Mischwaldkultur, die die nicht einheitliche Wald- und Forstwirtschaft definiert. Vor allem der Medronho-Busch fühlt sich wohl im Halbschatten der Korkeiche und liefert die pelzigen Früchte für den charakteristischen Medronho-Schnaps. Sobreiro und Medronheira sind zwei Merkmale im Alltag der Serranos und genauso unverwechselbar wie die Salzgärten und der Fischfang im Leben der Küstenbewohner. Coisas da Serra e do mar, Gaben der Berge und des Meeres, verbinden Tradition und Moderne. Das Wissen um den Reichtum von Mutter Natur ruht in der algarvischen Kulturidentität und birgt jede Menge Poesie und Aberglaube, aber vor allem Liebe. „Nicht jeder kann Kork schälen“, beginnt José-Paulo Nunes unser Gespräch. „Auf den Hundertstel Millimeter genau muss die Axt sitzen, um die Korkrinde zu spalten. Wird der Mutterstamm verletzt, ist der Baum verwundet.“ Die Wunde im Holz bleibt in der nachwachsenden Korkrinde ein Leben lang sichtbar. Die Korkrinde dient als Schutz vor Wärme und Kälte und hilft dem Baum, jede Menge Wasser in ihrem, mit kapillarfeinen Adern durchzogenem hölzernen Inneren, zu speichern. „Wenn wir ein Stück der Korkrinde mit nach Hause nehmen, wohnt ein Stück Baumseele bei uns.“ José-Paulo Nunes, gelernter Bankkaufmann, Waldbesitzer und Destilleriebetreiber, sitzt mit mir in einem Restaurant in Monchique und schaut mich durchdringend an. „Eukalyptusbäume pflanzen wir für uns. Kiefern für unsere Kinder und Korkeichen für unsere Enkelkinder. Das ist ein Gesetz, ein Tribut an Mutter Natur, das nirgendwo geschrieben steht, aber wir tragen es im Herzen. So wie die Männer, die den Kork vom Stamm frei machen. Die Burschen sind kräftig, zeigen pralle Bizeps, stahlharte Unterarme und Hände, die zupacken. Und doch lieben und verehren sie den Baum und den Wald, in dem er steht. Ich ehre meine Bäume auch, aber mir fehlt das gewisse Etwas, ihn vom Kork zu befreien. Ich kenne keinen Korkwaldbesitzer, der seine Bäume eigenhändig zu befreien weiß.“ Die beiden Waldarbeiter, die ich am nächsten Morgen bei ihrer Arbeit beobachte, heißen José-Carlão und Mário. Sie arbeiten bereits seit sieben Jahren als Team in der Korkernte. Beide haben das Ablösen der Korkrinde bei ihren Vätern abgeschaut. „Das Gefühl, dafür wie der Stamm unverletzt bleibt, kann einem allerdings keiner beibringen. Ich bin im Wald und mit dem Wald aufgewachsen“, erklärt José-Carlão. „Nirgends sonst möchte ich leben und nirgends sonst möchte ich arbeiten. Der Wald von Monchique ist meine Heimat, mein bester Freund, mein Zuhause. Im Sommer schäle ich Kork, im Winter säge und hacke ich Holz, dazwischen kümmere ich mich um alte und junge Bäume, Neuanpflanzungen und Baumschulen.“ Sein Partner, Mário, steht breitbeinig vor dem nächsten Baum. Die Axt mit der speziellen, von Hand geschmiedeten Klinge, die in ihrer Form einer antiken Hellebarde ähnelt, steckt wie ein Säbel in seinem Gürtel. Anstatt die Axt zu ziehen, bettet er erst einmal beide Hände flach auf den Stamm und spreizt alle zehn Finger ab. Er senkt den Kopf, schließt die Augen und schweigt. Irgendwo klopft ein Specht, der Wind spielt schüchtern mit den Wipfeln des Waldes, ein Frosch protestiert quakend. Mários Fingerkuppen tasten über die raue Oberfläche des Stammes. Spürt er den eigenen Puls gegen die von Flechten umsponnene Korkrinde klopfen, oder den des Baumes unter seinen Kuppen vibrieren? Ist das das Geheimnis, zu wissen, wie tief er die Klinge setzen kann, ohne den Mutterstamm zu verletzen? „Machst du das immer so“, frage ich leise. Er nickt. Dann holt er aus. Es gibt ein Geräusch wie von einer platzenden Papiertüte. Mário hält die Axt direkt unterhalb der Klinge am Stiel fest und spaltet den Kork in mehreren Schlägen in knapp ausgeführter Distanz als Kreis rund um den Stamm. Dann spaltet er den Kork von oben nach unten auf. Anschließend dreht er die Axt um und schiebt das Ende des Holzstiels in den Schlitz und unter den Kork, hebelt ein Stück hoch und befreit den Stamm von länglich halbrunden Stücken, von Pranchas, in dem er die Rinde ruckartig vom Stamm löst. José-Antonio, der dritte im Team, trägt die Pranchas nach und nach in Bündeln gestapelt, auf der Schulter balancierend, über enge steile Pfade hinaus aus dem Wald und zu dem für den Abtransport bereitstehende Fahrzeug. Mário ist der Klettermax, José-Carlão arbeitet am unteren Stamm. Die beiden Männer arbeiten ohne Hast, bewegen sich von Baum zu Baum. Pausen gönnen sie sich kaum. Was beim bloßen Zuschauen beinahe leicht aussieht, ist Knochenarbeit. Korkschälen ist ein schweißtreibendes Handwerk und gleichzeitig auf gewisse Weise auch ein Kunsthandwerk, für das der Waldarbeiter ein besonderes Händchen benötigt. José-Carlão und Mário verfügen beide über dieses Talent – und beide sind in ihrer ganz eigenen burschikosen, empfindsamen Art mächtig stolz darauf. Sie kennen den Wald und seine Bäume und können sich während der Korkernte kaum retten vor Aufträgen. Denn wie schon gesagt, nicht jeder versteht es, mit diesen Bäumen umzugehen.
Text: Catrin George