Frauen-Presse aus Paderne
Vier poetisch talentierte junge Frauen, bekannt als die Vier Marias aus Paderne, gründeten 1921 das Blatt A Avezinha, die erste Frauenzeitung des Landes und legten damit unbewusst den Grundstein für Frauen in der Presse Portugals
Feminismus ist 2018 aktueller denn je und die von der Sozialaktivistin Tarana Burke im Oktober 2017 gegen sexuelle Belästigung und Übergriffe ins Leben gerufene #MeToo-Debatte sorgt seither weltweit für Aufruhr. Frauen kämpfen vereint für Gleichstellung, heute mit anderen medialen Werkzeugen als früher, die Möglichkeiten der Kommunikation sind global und dauern nur einen Click und eine zehntel Sekunde lang für Verbreitung einmal um den Erdball. Frauen, die sich im vergangenen Jahrhundert für Frauenrechte einsetzten, verfügten längst nicht über diesen Hochgeschwindigkeits-Kanal der modernen Technik, aber auch sie verbreiteten ihre Anliegen, trotz drohender Repressalien, als geschriebene Botschaft. Der Antrieb, sich für Frauenrechte stark zu machen oder sich für sozial benachteiligte Frauen einzusetzen, war in Portugal zu Beginn des 20. Jahrhunderts überwiegend intellektueller und politisch motivierter Natur, in ländlichen Gegenden hingegen noch sehr stark vom religiösen Bewusstsein der Nächstenliebe geprägt. Ein Beispiel hierfür ist das Journal A Avezinha aus Paderne bei Albufeira.
Die Idee der in Albufeira als „Vier Marias de Paderne“ bekannten Dichterinnen, eine eigene Zeitung zu gründen, war in der 1920er Jahren in Portugal regelrecht revolutionär und A Avezinha die erste Zeitung in Portugal überhaupt, die von Frauen aus der Taufe gehoben wurde. Die vier jungen Frauen mit Maria da Conceição Elói an der Spitze, wollten ein Medium zur Veröffentlichung ihrer Lyrik erschaffen und nannten ihre Zeitung deswegen A Avezinha. Das bedeutet Vögelchen, das im übertragenen Sinn blumig formulierte Gedanken und Nachrichten zu den Lesern zwitscherte. Tatsächlich gewann das Blatt über die Grenzen Albufeiras hinaus eine treue Leserschar bis nach Brasilien und in den mittlerweile ehemaligen, portugiesischen Kolonien in Afrika. Dabei war A Avezinha primär aus christlicher Nächstenliebe entstanden, um mit den Einnahmen einer Freundin zu helfen, die ohne eine teure Augenoperation ihr Augenlicht verloren hätte.
Unterstützt wurden die Vier Marias und ihr Pionier-Projekt vom damaligen Gemeindepfarrer João dos Santos Silva, der als Direktor und Herausgeber der Zeitung fungierte. Die anfänglich blutjungen, vor herzlicher Poesie sprühenden Redakteurinnen unterzeichneten ihre Beiträge von der ersten Aus-gabe an jede mit einem Blumennamen als Pseudonym. Die Hauptgründerin Maria da Conçeição Elói nannte sich Madressilva, eine botanische Metapher für „ein Geißblatt kommt selten allein“ und befand sich in gleichgesinnter Gesellschaft mit Maria Feliciana Marim Marques, alias Violeta für Veilchen, Maria do Espírito Santo Correia, alias Horténsia für Hortensie und Maria da Conceição Mendes Costa alias Rosa für Rose. Das in Portugal damals als feministisch innovatives Bouquet bekannte Redakteurinnen-Quartett aus Paderne bekam im Laufe der Jahre mit Orquídea, Gardênia, Margarida und Camélia literarischen Zuwachs, genauso, wie von Maria Elói erhofft.
Die ersten beiden Ausgaben schrieben und vervielfältigten die Vier Marias noch von Hand und gestalteten das Deckblatt künstlerisch. Erst ab der dritten Ausgabe erschien A Avezinha gedruckt und von da an mit einheitlichem Titel-Logo. Im Laufe der Jahre nahm das Journal an Umfang und inhaltlich zu. Zwar blieb das redaktionelle Konzept überwiegend lyrisch orientiert, ergänzt durch die Ressorts Nachrichten, Sport und Kultur, doch die Poesie der Vier Marias wuchs angesichts der innenpolitischen Veränderungen ab 1926 zu aussagekräftigen, wenngleich lyrisch aufbereiteten Botschaften heran.
Die vier wohl behüteten, christlich erzogenen Gründerinnen aus dem Bergdorf in der Nähe von Albufeira verloren ihre journalistische Unschuld und begannen zunächst noch unbewusst, später sehr gezielt, ihre Poesie zum Ausdruck kollektiver Gedanken über die politische Situation zu benutzen. Ihre Wahrnehmung für die aufkeimende antifeministische Tendenz im sich etablierenden Salazar-Regime gewann rasch an Schärfe und die Blumen-Redakteurinnen setzten sich, jede auf ihre Art, melancholisch bis kritisch mit dieser Veränderung auseinander, von Madressilva und von Orquídea verbal adrett im Sonett verpackt.
Bald weckten diese durchaus konspirativ inter-pretierbaren Sonette das Interesse der Zensurbehörde in Faro und die Zensoren beäugten das Blatt näher. Als 1936 der Direktor, Mentor und Mäzen der Zeitung, Pfarrer Santos Silva bei einem Autounfall ums Leben kam, als außerdem darüber getuschelt wurde, dass er auf dem Weg zu seiner Geliebten in Estoi war, als sich der Unfall ereignete, und damit der männliche, gesetzlich verlangte patrão als Konzessionsnehmer fehlte und als Orquídea und Madressilva wieder einmal zu offensichtlich gegen die zunehmende Benachteiligung von Frauen poetisch verpackt wetterten, wurde die Redaktion von den Zensoren kurzerhand mit einem Bann belegt.
Doch Maria da Conceição Elói ließ sich nicht einschüchtern. 15 Jahre lang hat sie zusammen mit ihren Freundinnen das erste feminine Printmedium Portugals geführt und damit den Grundstein für weiblichen Journalismus und Frauen-Presse in Portugal gelegt. Sie fühlte sich zur Wort-Aktivistin berufen und benutzte ihre literarische Stimme, trotz Bann, weiter und veröffentlichte Sonette und Romane, wenngleich einige ihrer Werke erst nach 1974 einen Verlag fanden. Ihr Lebenswerk zählt zum lokalen Kulturerbe Albufeiras und die Stadtväter verliehen der 1979 Verstorbenen und ihrer Zeitung 1996 posthum den goldenen Verdienst-Orden.
Die Geschichte der Vier Marias aus Paderne ist eine von vielen noch nicht erzählten Geschichten von Frauen in Portugal, die sich trotz prekärer politischer Lage während des Salazar-Regimes, öffentlich aktiv, leise schreibend oder aus Nächstenliebe für Frauenrechte einsetzten. Nicht jedes Aufbegehren endete mit Sieg, doch rückblickend auf die vergangenen 100 Jahre Feminismus in Portugal haben Aktivistinnen eine Menge geschafft, hinsichtlich Familien-, Scheidungs-, Wahl-, Bildungs- und Arbeitsrecht und mehr. Die Basis für Gleichstellung ist geschaffen, nun kämpfen Aktivistinnen für berufliche Anerkennung, für gleiche Gehaltsstufen, für Gleichbehandlung am Arbeitsplatz und gegen sexuelle und verbale Übergriffe. Sie benutzen neue Werkzeuge, sie führen ihren Kampf lauter, können schneller agieren und reagieren als die Aktivistinnen von früher und treten selbstbewusst in der Öffentlichkeit auf. Dank des unermüdlichen Einsatzes ihrer Vorgängerinnen, die für ihren Kampf noch Gefängnisstrafen, Zensur oder körperliche Züchtigung ertragen haben, heutzutage ohne Angst vor Repressalien am Arbeitsplatz oder vor Diskriminierung seitens autoritärer Stellen. Grund genug, um sich auch künftig bewusst für Gleichbehandlung einzusetzen, für sich, für andere Frauen – und für unsere Töchter.
Maria Elóis unterbrochener Traum fand im Mai 1977 mit dem erfahrenen Journalisten Arménio Aleluia Martins als Chefredakteur und mit ihr, bis zu ihrem Tod, als Direktorin erneut einen Platz auf dem Lokalpresse-Parkett und bestand unter gleichem Namen in wöchentlicher Auflage fort bis 2014. Die ehemalige A Avezinha-Redaktion in Paderne beherbergt gegenwärtig eine hochwertig bestückte Privat-Bibliothek mit Schwerpunkt Historie und Literatur Algarve und Portugal und ein Museum. In den Räumlichkeiten in der von Arménio Aleluia Martins mithilfe Gleichgesinnter gegründeten Kulturassoziation befindet sich das Biblioteca Museu do Jornal A Avezinha im Keller. Martins führt Besucher mit viel Hingabe zum Genre durch das einstige Reich der Redakteurinnen und erläutert anhand der ausgestellten Schreibmaschinen, Drucker, Computer und in der früheren Dunkelkammer die technische Entwicklung der Zeitung von der ersten, von Hand mit Tinte verfassten und vervielfältigten Auflage, zur gedruckten Fassung bis zur digitalen Veröffentlichung.
Biblioteca Museu do Jornal A Avezinha
Rua Miguel Bombarda 69
8200-495 Paderne/Albufeira
Tel.: 289 367 288
Mo – Fr 9 – 18 Uhr
Geführter Rundgang nach Vereinbarung
Text: Catrin George in ESA 03/2018
Fotos: Catrin George, Arménio Aleluia Martins (Avezinha)