Das politische Tauziehen Salazars während der Iberischen Blockade im Zweiten Weltkrieg verursachte durch seine tendenzielle Kollaboration mit allen Kriegsmächten eine Menge Opfer entlang der Küste zwischen Sagres und dem Cabo de Sardão – und zum Schluss setzte er alles auf eine Karte
Das Kriegsprotokoll aus dem Zweiten Weltkrieg über die Opfer der mehr als fünfzig Luft- und Seeschlachten entlang der südportugiesischen Küste an der Algarve und dem südwestlichen Alentejo ist beklemmend. Zugedeckt vom Mantel des Meeres liegen Schiffswracks und abgestürzte Flugzeuge vor der Sonnenküste Portugals begraben, mit ihnen Marinesoldaten und Luftwaffenangehörige aus sechs Ländern. Einige der Opfer konnten geborgen und bestattet werden, zum Beispiel zwei britische Offiziere der zehnköpfigen Besatzung eines Royal-Airforce-Wasserflugzeuges in Sagres, oder sieben Luftwaffenangehörige einer deutschen Luftwaffen-Staffel auf dem Friedhof in Aljezur, die am 9. Juli 1943 den Tod an der Küste von Arrifana fanden.
Das politische Tauziehen um das geografisch strategische Stück Küste zwischen der Mündung am Guadiana-Fluss in Ayamonte, Spanien, und Vila Real de Santo António, im Osten der Algarve, dem Kap in Sagres im Westen und dem Cabo de Sardão bei Vila Nova de Milfontes im Alentejo, nahm seinen fatalen Verlauf nach der Unterzeichnung des Iberischen Paktes 1939 zwischen dem portugiesischen autoritären Staatsführer António Salazar und dem spanischen Diktator Francisco Franco. In diesem politischen Traktat sicherten sich Salazar und Franco durch den Paragraphen „jede Allianz mit einer dritten Partei darf nur mit gegenseitiger Zustimmung geschehen“, ihre territoriale Neutralität. Jede Übertretung käme einer Kriegserklärung gleich.
Ein Freischein für den portugiesischen Staatsführer Salazar. Die Auslegung des Paktes erlaubte ihm ein Polit-Poker mit ungeahnten Möglichkeiten. Dank der Position Portugals am Atlantik, konnte Portugal sich den Streitmächten England und USA nähern ohne sich offiziell mit ihnen zu verbünden, aber deren Streitmächte mit entsprechendem Hoheitsgebiet wahrenden Abstand zur portugiesischen Küste, vorbeiziehen lassen. Trotzdem konnte Salazar seine politische Bande zu Mussolini pflegen und die geschäftlichen Beziehungen zum deutschen Reich durch den Verkauf des für die deutsche Munitionsindustrie verwendete Erzmetall Wolfram, aufrecht halten. Hauptsache, keiner der Kriegsmächte drang in portugiesisches Hoheitsgebiet vor.
Der Paktpartner Spanien beäugte das Treiben Salazars mit kritischem Blick, doch offiziell verstieß dieser mit seinem doppelten Spiel nicht gegen den Paktvertrag. Parallel dazu marschierten, nach dem Fall von Paris, Truppen des deutschen Reiches über die Pyrenäen nach Spanien ein, besetzten wenige Tage später von Landseite aus die Halbinsel Gibraltar und den militärischen Außenposten der Briten, und gelangten von dort aus nach Marokko. Um eine weitere Ausbreitung der Truppen des deutschen Reiches Richtung Atlantik und somit Richtung USA zu verhindern, stationierten US-Streitkräfte ihre Kriegsmarine auf den Azoren, ohne Portugal von dieser Invasion zuvor zu unterrichten. Doch noch bevor Salazar offiziell bei US-Präsident Roosevelt protestieren konnte, brach dieser die sogenannte Operation Gray ab, weil die USA zu diesem Zeitpunkt ungenügend militärische Präsenz vor Ort hatte, um an zwei Fronten, im Atlantik und im Mittelmeer am Balkan, zu kämpfen.
Während eines zweitägigen Geheimtreffens in Sevilla 1942 wandelten die Diktatoren Salazar und Franco den Iberischen Pakt um, in die Iberische Blockade, bestätigten sich gegenseitig die geografischen Hoheitsrechte mit einer Anfügung, um wirtschaftlich individuelle Ansprüche und Bedürfnisse aufrecht zu erhalten. Mit diesem Passus konnte Salazar sein außenpolitisch brisantes Manöver mit den Kriegsmächten fortführen, ohne mit Spanien in Konflikt zu geraten und trotzdem allen Herren gleichzeitig dienen. Seine sogenannte, scheinbar neutrale Equidistância, zu Deutsch, zu allen Mächten gleich distanzierte Haltung, provozierte enormes Konfliktpotenzial im eigenen Land und im innenpolitischen Umfeld. Als Gegner der kommunistischen Idee, militärisch verbündet mit Franco, vereint durch eine 6.000 Mann starke portugiesische Spezialeinheit namens Viriato, die in Spanien und Portugal als „Kommunistenjäger“ tätig war, schürte Salazar das vorhandene „rote“ Feuer in Portugal, und zog in den eigenen Reihen Sympathisanten der Sowjetunion heran. Die totale wirtschaftliche Abhängigkeit Portugals vom Import von Brennstoffen und Lebensmittel seitens der Supermächte sorgte jedoch für rasch wachsenden Unmut in der Bevölkerung. Das Volk fühlte sich an die Alliierten verschachert und meuterte. Eine Streikwelle überrollte das Land von Porto bis Faro. Salazar musste den Kurs ändern, aber es war zu spät. Lissabon galt bereits als Hochburg für Spionage, als Hafen der Hoffnung für jüdische Holocaust-Flüchtlinge, als blühender Schwarzmarktplatz für Hehlerware und Waffen.
Der Anfang vom Ende des Zweiten Weltkrieges nahm seinen historisch bekannten Verlauf nach dem Sieg Montgomerys über Rommel in Nordafrika. Von da an suchten Truppen des deutschen Reiches, vornehmlich die U-Boot-Flotte, Kriegsmarine und Luftwaffe, nach Standorten in Südeuropa, auf Sizilien, Malta und entlang der Algarve, um militärische Außenposten zu stationieren und um den Gegner auszuspionieren. Ab Mai 1942 drangen ständig deutsche U-Boote, Kriegsschiffe und Aufklärer sowie Jagdbomber in portugiesisches Hoheitsgebiet vor, es kam zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen den alliierten und den deutschen Streitkräften, zu Wasser und in der Luft, vor der gesamten Algarve sowie am Kap in Sagres.
Gleichzeitig führte die mittlerweile permanente Anwesenheit der britischen Luftwaffe auf den Azoren am 5. Juli 1943 zur offenen Auseinandersetzung mit Spanien. Franco drohte Portugal mit einer militärischen Inva-sion mit Rückendeckung des deutschen Reiches. Salazar saß in der Zwickmühle, provozierte er durch sein Polit-Poker im schlimmsten Fall eine Invasion von Osten und von Westen, und damit einen Krieg im eigenen Land. Er wog die politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen ab, gelangte aber zu keiner endgültigen Entscheidung. Bis Winston Churchill der Geduldsfaden riss und er dem portugiesischen Staatsführer ein Ultimatum stellte, das Salazar am 18. August 1943 unterzeichnete und damit die dauerhafte Militärpräsenz der alliierten Streitmächte in den Häfen von Ponta Delgada, Angra do Heroísmo und Horta besiegelte. Damit war die unmittelbare Kriegsgefahr zwar gebannt und die Anzahl der militärischen Auseinandersetzung entlang der Südküste Portugals nahm ab, aber beendet wurden die Kämpfe erst ab dem 27. März 1945. Den Gefallenen half jedoch weder die diplomatische Neutralität während der Iberischen Blockade, noch das Churchill-Ultimatum. Zwischen dem 12. Oktober 1940 und dem 27. März 1945 zahlten mehrere hundert Soldaten den Tribut für das politische Tauziehen Salazars mit ihrem Leben.
In Erinnerung an diese und an alle anderen Opfer beider Weltkriege sowie an die Opfer aller Gewalt auf der Welt findet am 18. November, am nationalen Volkstrauertag, ab 11 Uhr eine Gedenkfeier auf dem Friedhof in Aljezur an den Gräbern von Gefallenen einer deutschen Luftwaffen-Staffel statt.
Der Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Alexander Rathenau, eröffnet die Zeremonie an diesem „stillen“ Feiertag mit einer Rede, begleitet vom internationalen Chor Coro Internacional de Aljezur. Ebenfalls anwesend werden eine Abordnung der British Royal Legion, Vertreter des Rathauses und der Gemeinde von Alejzur sowie des Vereins zum Schutz des Erbes von Aljezur ADPHA sein. Dem Honorarkonsul ist es zu diesem Anlass besonders wichtig, den Blickwinkel auf die Geschehnisse von damals, Richtung Zukunft zu lenken: „Ein Tag der Trauer“, sagt er. „Ein Tag, der zu Besinnung stimuliert, um den Opfern des Zweiten, und allen anderen Opfern von Willkür, Gewalt, Unmenschlichkeit und rücksichtslosem Machtstreben in beiden Weltkriegen zu gedenken. Um sich zu vergegenwärtigen, durch welche Ideologien und deren Verbreitung es überhaupt zum Nationalsozialismus mit Holocaust und Zweiten Weltkrieg kommen konnte. Ein Tag, bei dem es aber um viel mehr geht, als um die Vergangenheit, nämlich um unsere Zukunft. Im gegenwärtigen Europa breiten sich derzeit vielerorts Ideologien aus, die dem Wortlaut und Inhalt im Dritten Reiches ähneln. Bisher wurde diese neuerlich drohende Gefahr von Rechts tabuisiert und verharmlost, aber spätestens seit Rechte Gewalt Opfer in der Zivilbevölkerung fordert, wird das Thema öffentlich kontrovers diskutiert. Wenn die Zusammenkunft am Volkstrauertag auf dem Friedhof in Aljezur die hiesig ansässige deutschsprachige Gemeinschaft anregt, dieser neu auftretenden Rechten Gefahr entschlossen entgegen zu treten und damit ein klares Zeichen gegen Rechts zu signalisieren, würde mich das persönlich sehr freuen und meiner Aufgabe als Vertreter des deutschen Volkes in Portugal einen tieferen Sinn geben.“
Friedhof von Aljezur
Rua do Cemitério, 8670-076 Aljezur
Buchtipp:
„A Batalha de Aljezur”
von José Augusto Rodrigues
Herausgeber:
Junta de Freguesia de Aljezur
Text: Catrin George Ponciano in ESA 11/2018