Bist Du nicht still, gebrauche ich Gewalt
Über Widerstandskämpferinnen während der Salazar-Diktatur gibt es wenig zu lesen. Meistens sind es Bruchstücke von Geschichten einzelner Heldinnen, die im Kampf gegen die Unterdrückung Prügelstrafe bezogen, Folter erfuhren, gar den Tod fanden
In ihrem Gedicht an Catarina Eufémia fragt die Nationaldichterin Sophia de Mello Breyner Andresen: „Warum warst Du nicht still, bist Du nicht zurückgewichen, hast Du nicht den Kopf gesenkt“. Sie richtet sich damit an die Tochter eines Bauern, deren Tod Polit-Geschichte schrieb. Mit diesen Zeilen machte Sophia de Mello alle antifaschistischen Widerstandskämpferinnen im Aufbegehren gegen die Diktatur in Portugal unsterblich.
Catarina Eufémias Biografie stimmt traurig. Sie erzählt die Leidensgeschichte einer Landarbeiterin im Alentejo in einem winzigen Dorf namens Baleizão zwischen Beja und Serpa. Gehört haben viele schon einmal ihren Namen, wenige wissen was wirklich passiert ist, viele wissen überhaupt nichts von ihr. Nichts von Catarina Eufémia, nichts von Virgínia Moura, nichts von Maria Isabel Aboim Inglês, oder von all den anderen Frauen, die sich während des faschistischen Estado Novo unter dem Regimeführer Salazar, für Frauenrechte eingesetzt, für bessere Arbeitsbedingungen gekämpft haben, die sich trotz Verhaftung und Misshandlung, weiter gegen den Faschismus aufgelehnt haben. Ihre Namen und Biografien stehen in einer Liste mit der Überschrift „Antifaschisten“, auf der Homepage der antifaschistischen Vereinigung União Resistentes Antifacistas Portugueses, kurz URAP.
Catarina Eufémia schuftete als ceifeira auf dem Landgut Monte do Olival. Sie war Anhängerin der kommunistischen Partei Portugals, kurz PCP, und Wortführerin auf dem Gut. Am 19. Mai 1954 verlangte sie im Namen von allen Landarbeitern mehr Lohn. Ihr bisheriger Lohn bestand aus ein wenig Mehl und eine Handvoll Münzen. Das Mehl reichte nicht, um Brot zu backen und der Kinder Hunger zu stillen. Die Münzen reichten nicht, um mehr Mehl für mehr Brot zu kaufen. Der Gutsverwalter war der Situation und ihrem Anliegen nicht gewachsen, bezichtigte die junge Frau als Aufwieglerin und rief den Kommandanten von der GNR-Polizeistation Beja zu Hilfe. Catarina Eufémia bezog für ihr sogenanntes Aufbegehren gegen den patrão laut Gesetz vorgeschriebene Prügel. Um ein Exempel zu statuieren, öffentlich. „Wir haben Hunger“, schrie sie. Die gesamte Nachbarschaft kam herbeigelaufen, musste tatenlos zusehen, wie brutal Catarina Eufémia zusammengeschlagen wurde. Ihr Kind saß im Staub daneben und weinte. Ein Schuss, laut der Aussage des Leutnants aus Versehen ausgelöst, oder tatsächlich absichtlich abgefeuert, ließ Catarina Eufémia für immer schweigen. Ihr brutaler Tod brachte in der Bauernschaft und der Arbeiterbewegung im Alentejo eine Walze des Aufbegehrens ins Rollen, die erst am 25. April 1974 stoppte. Der Platz, an dem sie ermordet wurde, ist heute Gedenkstätte.
Virgínia de Faria Moura nutzte die Sprache als Waffe gegen die Diktatur. Bekannt unter ihrem Pseudonym Maria Salema veröffentlichte sie die anti-faschistische Trilogie „Der Teufel von Lissabon“, „Der Denker von Porto“, „Die Arbeit von Viseu“. Die 1915 in Porto Gebürtige und erste Bauingenieurin von Portugal überhaupt, trat mit 18 in die PCP ein. Dort traf sie ihren Mann, mit dem sie 42 Jahre lang verheiratet blieb. Bekannt als „Das Ehepaar“ (O Casal), kämpften sie gemeinsam gegen Zensur und Diktatur, wurden von der PIDE mehrfach verhaftet und standen auf der sogenannten Blauer-Stift-Liste der Zensurbehörde. In Porto gedenkt man Virgínia Moura vor allem wegen ihrer politischen Aktivitäten. Ihre offene Ansprache für Demokratie und gegen Faschismus, anlässlich einer Kundgebung in Porto im Wahlkampf um die Präsidentschaft im Jahre 1949, blieb den Menschen im Gedächtnis. Darin klagte sie vor etwa 150.000 Zuhörern die Inkompetenz der Faschisten an, die sozialen Probleme ihres Landes zu lösen, und beschuldigte das Regime, die unwürdigen Arbeitsbedingungen für Frauen zu vertuschen, die Todesopfer der PIDE zu verschweigen und die Kinder, die im Müll nach Nahrung suchten, zu vergessen. In dem an die Kundgebung anschließenden Tumult zwischen der Menschenmenge und der Polizei, wurden Virgínia Moura und ihr Mann von der PIDE verhaftet und über Tage hinweg misshandelt. Nach ihrer Freilassung tauchte das Paar in den Untergrund ab und wirkte am Überleben des demokratischen Gedankens weiterhin mit.
Maria Isabel Aboim Inglês, genannt die Unzähmbare, A Indomável, war eine viel bewunderte Frauenfigur der pazifistischen antifaschistischen Bewegung. Sie stand an allen Fronten gegen ihren Erzfeind Salazar und wurde bestraft. Für das Austeilen antifaschistischer Parolen, für ihre Teilnahme an pazifistischen Demonstrationen für das Grundrecht für Frauen auf mehr Bildung, für jeglichen, nach Meinung der Zensur verbalen Fehltritt, wurde Maria Isabel verhaftet und misshandelt. Tagelang, wochenlang, monatelang. Anstatt den Kopf zu senken, hob sie ihr Kinn, sobald die Tür der PIDE-Polizei hinter ihr zugefallen war, und kämpfte weiter. Nach dem Tod ihres Mannes musste die junge Mutter alleine fünf Kinder großziehen. Der Staat entzog ihr die Doktorwürde für Philosophie und Geschichte, sorgte für die Kündigung ihres Lehrstuhls an der Universität und beraubte sie damit ihrer Existenzgrundlage. Maria Isabel ließ sich nicht unterbuttern, eröffnete eine Schneiderei, gab Nachhilfestunden und bot auf Honorarbasis Übersetzungsarbeiten an. Schaffte es die PIDE nicht, sie zu bändigen, überwachten sie als nächstes ihre Kinder. Die Töchter wurden von der Universität suspendiert. Ihr Sohn wurde wegen seiner Mitgliedschaft in der PCP mehrmals verhaftet. Seine Mutter unterstützte ihn und seine Arbeit in der kommunistischen Partei trotzdem, obwohl sie selbst keiner Partei angehörte, und kämpfte mit an der Front in der Feministischen Vereinigung für Frieden Associação Femininia Portuguesea para a Paz. Die Unzähmbare starb 1963 am Straßenrand in ihrem Auto.
Diese drei Frauennamen sind drei der insgesamt über zwanzigtausend Namen von weiblichen und männlichen Opfern, die von der PIDE zwischen 1945 und 1974 verhaftet und verhört wurden. Die Internationale Polizeieinheit für die Verteidigung des Staates Policia Internacional e de Defesa do Estado wurde ins Leben gerufen, um die Interessen des Staates zu schützen, konspirative Individuen zu beobachten, ihren Aktivitäten nachzuspüren und sie bei antifaschistischem Aufbegehren zu verhaften. Die PIDE unterhielt Büros in Lissabon mit Gefängniseinheiten in den Festungen in Peniche und Caxias, in Porto, und in der Algarve in Portimão. Das PIDE-Hauptquartier residierte in der Rua António Maria Cardoso 18-26 in Lissabon, im Stadtviertel Chiado. Nach 1969 wurde die PIDE umbenannt in Zentrale für Sicherheit Direção-Geral de Segurança, kurz DGS. Die Einheit übernahm sämtliche ehemalige Funktionen der PIDE und bestand bis zum 25. April 1974 fort. Aktivisten, Widerstandskämpfer und angebliche Landesverräter wurden auf die Insel Santiago im Inselarchipel Kapverden nach Tarrafal abgeschoben. Wer dorthin verschleppt wurde, kam nicht zurück, wusste man. Im sogenannten Campo do medo (Lager der Angst) herrschten katastrophale hygienische Zustände. Die Häftlinge kamen in Einzelhaft und wurden gefoltert bis sie die Namen ihrer Kameraden im Untergrund preisgaben oder an den Folgen der Misshandlungen starben.
Am 25. April 1974 war dieser grausame Spuk vorbei. Seither gedenkt der Staat jedes Jahr wieder an diesem Tag der Wiederauferstehung der Demokratie in Portugal. Nach und nach werden auch endlich die Namen von Widerstandskämpferinnen öffentlich gemacht, die in ihrem einsamem Kampf für Menschenrechte, Freiheit und Brüderlichkeit, brutale Repressalien erlitten oder sogar ihr Leben ließen. So wie Catarina Eufémia, damit die Flamme für Frieden und Freiheit brennen bleibt und niemals erlischt.
Text: Catrin George Ponciano in ESA 04/2019
Fotos: Catrin George ponciano; Um sonho de Portugal