Heiligabend in der Algarve vereint die Familie sowie Tradition und Moderne mit Erinnerungskultur und Lokalidentität
Das traditionelle Weihnachtsfest in der Algarve erfuhr in den vergangenen fünfzig Jahren einschneidende Veränderungen. Acht Frauen aus der Algarve verraten, wie sie mit ihren Familien Heiligabend feiern, warum sie an familiären Traditionen weiter festhalten und heutige Rituale eher kritisch betrachten. Acht intime Geständnisse an das schönste Fest des Jahres.
„Für mich ist ein Geschenk etwas Intimes. Ich beschenke ausschließlich Menschen, mit denen ich Werte teile. Loyalität, Aufrichtigkeit, Geradlinigkeit, Vertrauen“, verrät Maria da Piedade aus São Marcos da Serra. Sie liebt den Enthusiasmus, der sie bei der Vorstellung erfüllt, wie sich ihre Lieben freuen werden. Maria da Piedade bleibt sich und ihrem verzaubert sein an Weihnachten treu. Als ihre Eltern noch für das Weihnachtsfest zuständig waren, erinnert sie sich an das Auswechseln der schwangeren Maria auf dem Esel gegen das Jesuskind in der Wiege auf der jährlich aufgestellten Krippe an Heiligabend. Der Wechsel der Figuren ist der Inbegriff von Weihnachten für Maria da Piedade und sie hält an diesem Ritual fest. „Danach stellten wir Kinder früher unsere Schuhe an den Kamin und am nächsten Morgen waren sie gefüllt mit Spielfiguren und Schokolade. Heute stellen wir unsere Schuhe symbolisch in der Küche an den Ofen, aber die Geschenke legen wir unter den Baum und packen sie gemeinsam am Morgen des 25. aus.“
Virgínia Maio aus Monchique sammelt alles was sie für die Krippe, den Baum und den Adventskranz braucht eigenhändig in den Bergen rund um das elterliche Anwesen. „Ein Spaziergang in die Vergangenheit“, erzählt sie, „als ich als junges Mädchen meinem Vater in den Wald folgte. Zu Fuß, mit unserem Esel. Unser Atem schlug Wölkchen, wir bekamen rote Wangen.“ Wenn Virgínia heute allein auf der Pirsch nach ihrer Krippendekoration unterwegs ist, hegt sie damit das Andenken an ihren Papa. „Den Truthahn für den Weihnachtsschmaus hat er zwei Tage vor Heiligabend abgemurkst und ihm vorher viel Medronho-Schnaps gegeben“, erinnert sie sich. Virgínia hat eine Schatztruhe, in der sie das Weihnachten aus ihrer Kindheit aufbewahrt. Leinentischtuch, Stoffservietten, Krippenfiguren, Baumschmuck und das Vista Alegre Geschirr von ihrer Oma. „Weihnachten rückt in meinem Herzen alles wieder an den richtigen Platz.“
Florinda aus Portimão betreibt eine Modeboutique und möchte Weihnachten am liebsten abschaffen. „So viel Sehnsucht, soviel Traurigkeit. In mir. Um mich herum. Krieg. Hunger. Elend. Wie soll ich da auf Knopfdruck glücklich sein?“, fragt sie und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Florinda muss täglich ihre Frau stehen, ihr Geschäft führen, ihren Sohn durch sein Leben begleiten. An Heiligabend kommt Florinda stets als letzte und immer gestresst zur Familienzusammenkunft, mit dabei zwei Desserts. Vorbereitet zack-zack im Morgengrauen. Süßer Reis und Eierpudding. Wie sehr sehnt sich Florinda danach, gemeinsam mit den anderen in der Familie für das Fest zu kochen, aber dafür fehlt ihr die Zeit. Einmal durchschnaufen. Einen Moment lang das Jahr rekapitulieren. „Einen Wimpernschlag lang über eigene Wünsche nachdenken“, gesteht sie. „Vielleicht dieses Jahr, an Weihnachten.“
„Weihnachten ist Liebe“, sagt Beatriz und ihre Augen glänzen in Vorfreude auf das herannahende Ereignis. „Die Familie rückt zusammen. Alle unter einem Dach. Der sicherste Platz auf der ganzen Welt. Der schönste Moment des Jahres.“ Ihre Großfamilie bildet in jeder Lebenslage eine Einheit und nutzt jeden Feiertag und Geburtstag, um gemeinsam zu kochen, Gedanken auszutauschen, Rat zu suchen. „Solche Momente sind so kostbar“, erklärt Beatriz. „Einfach unwiederholbar. Die Freude der Kinder unter dem Baum, das Gelächter der Frauen, das Murmeln der Männer, der Duft nach Braten. Das ist Familie. Das ist Weihnachten.“
Beatrizs Mutter Paula stimmt ihrer Tochter voll und ganz zu, räumt aber gleichzeitig ein, dass es ihrer Meinung nach heutzutage den meisten Menschen nur um das Geschenketheater geht und längst nicht mehr um Weihnachten im ursprünglichen Sinn, nicht um Nächstenliebe, nicht um Besinnung und schon gar nicht um Familienzusammenkunft. „Der Stern auf dem Weihnachtsbaum leuchtet als Euro-Zeichen“, sagt sie, und nicht mehr symbolisch für Hoffnung und Geborgenheit. „Das gesamte Jahr lang schauen die Menschen weg, wenn sie Bedürftigen begegnen, an Weihnachten spenden sie Geld oder Lebensmittel und fühlen sich deswegen hilfsbereit. Was hilft es denen in Not, wenn wir mit dem Helfen bis Weihnachten warten?“ Religion hat mit meiner Nächstenliebe nichts zu tun, beteuert Paula. „Ich folge der Stimme meines Herzens. An Weihnachten und sonst auch.“
Graça ist Paulas Hilfe in der Snack-Bar. Sie hat mit dem Weihnachtsfest wenig im Sinn. Das gesamte Jahr lang geht man sich in ihrer Familie aus dem Weg und an Heiligabend gibt es Küsschen-Zeremonie mit Geschenkewettbewerb. „Nein danke, für mich ist jeder Tag, den ich gesund aufwache Weihnachten. Wenn ich meinen Lieben etwas schenken möchte, dann tue ich das. Einfach so.“ Weihnachtsschmuck, die große Völlerei, den Überfluss an Geschenken, findet Graça überflüssig und beschränkt sich auf ein bescheidenes Fest für die Enkelkinder.
Die Friseurmeisterin Maria Antonieta fängt mit Weihnachten am 8. Dezember an. „Früher hat Mama Weizensamen gesät, ich führe dieses Ritual fort.“ Auf flachen Tellern wachsen die Keimlinge, symbolisieren das „unser täglich Brot gib uns heute“ aus dem Vaterunser und schmücken die Krippe. Den Baum hat früher der Vater frisch geschlagen, heute klappt Maria Antonieta einen künstlichen auf. „Um den Wald zu schonen, wegen der Waldbrände und wegen des Klimas“, erklärt sie und bedauert, dass es nicht mehr die große Auswahl Schokoladenfiguren gibt, die früher bis zum Dreikönigstag den Weihnachtsbaum schmückten. „Wenn ich die Augen schließe, schmecke ich die Schokolade von damals“, zwinkert die Friseurmeisterin, die für den Heiligabend alles selbst kocht und backt und sich dabei von niemandem reinkochen lässt. „In der Heiligabend-Küche schließe ich das Jahr ab“, verrät sie. „Für die Familie kochen ist Liebe. Das größte Geschenk für mich.“
Ihre Schwester Brites Maria hilft mit, und ist glücklich, dass sich alle Geschwister mit ihren Familien an Heiligabend treffen, Schokoladenfiguren vom Baum pflücken und naschen, und sich dabei Geschichten aus der Kindheit erzählen. „Wie früher. Das ist mein Weihnachten.“
In die Heiligabendmesse Missa do Galo gehen sie alle nicht mehr. Warum nicht, begründen sie mit der Veränderung der Lebensumstände. Früher ging man immer in die Kirche, heute hat man einen Fernseher und das Smartphone. Früher verschickte man Weihnachtskarten und Päckchen, heute Kurznachrichten mit dem Mobiltelefon und Geschenkevouchers. Früher packte man die Geschenke selbst ein, heute lässt man einpacken.
Gekocht wird nach wie vor bis die Ofenplatten glühen. So gibt es marinierten bacalhau vom Grill bei Maria da Piedade, bacalhau mit Sahnekruste gratiniert bei Paula und Beatriz, bacalhau mit Kohlherzen bei Graça und bei Florinda, am 25. mittags cabidela (Landhenne im eigenen Blut) bei Maria Antonieta und Brites Maria, Truthahn bei Virgínia Maio und Wild bei Beatriz und Paula.
In jeder Region stehen andere Leckereien auf der Heiligabendtafel. In Alvor isst man traditionell Eintopf mit Süßmais und Hausmacherwürsten und in Olhão anstatt bacalhau, getrockneten litão (Fleckhai) mit Tomatensoße und malagueta geschmort, dazu Süßkartoffeln. In der Heiligen Nacht naschen sie alle pastéis de batata doce (Süßkartoffel-Teigtäschchen), filhóses (Schmalzkringel) oder rabandas, in Milch getränkte Brotscheiben in Öl ausgebacken. Dann denken sie mit einem weinenden Auge an all diejenigen, die nicht mehr dabei sind und schauen mit einem lachenden Auge auf die anwesende Familie. Ein bisschen Liebe, ein bisschen Sehnsucht. Saudade, amor e tristeza – das ist Weihnachten auf algarvisch.
Rezepte
Litão
2-3 Litão, Zwiebel, Knoblauch, Paprika, Tomate, Süßkartoffel, Koriander, Salz, Paprikapulver, 1 Lorbeerblatt, Piri-Piri nach Gusto, Olivenöl, 2 Eßl. Weißwein.
Zubereitung:
Litão – Fleckhai getrocknet – in grobe Stücke schneiden. Die Stücke am Vormittag in Wasser einweichen. Am Nachmittag das Wasser abgießen, die Stücke nochmals unter klarem Wasser abspülen, auf Küchenkrepp abtropfen lassen.
Süßkartoffeln mit Schale in Salzwasser gar kochen. Zwiebel in feine Streifen schneiden, Knoblauch fein würfeln, Paprika in feine Streifen schneiden. Tomate pürieren.
Zwiebel mit Knoblauch und Paprika in Olivenöl glasig dünsten, zwischendurch mit Salz und Paprikapulver würzen. Das Lorbeerblatt dazugeben. Mit Weißwein ablöschen. In den entstehenden Schmorfond die pürierten Tomaten einrühren, Temperatur drosseln, umrühren, aufkochen lassen. Dann die Fischstücke in den Schmorfond einsetzen, Deckel auf den Topf, und den Fisch garziehen lassen.
Die Süßkartoffeln abgießen, abschrecken, pellen, in Scheiben schneiden und in den Fisch-Schmortopf einsetzen.
Koriander waschen, abklopfen auf Küchenkrepp und fein schneiden. Kurz vor dem Servieren damit bestreuen und im Topf servieren. Piri-Piri zum Nachwürzen auf den Tisch dazustellen.
Rabanadas
Brot, Milch, Zimtstange, Zitronenschale, Zucker, Zimt, Eier, Sonnenblumenöl zum Ausbacken
Zubereitung:
Brot vom Vortag in Scheiben schneiden. Pro Brotscheibe ½ Tasse Milch plus Zitronenschale und Zimtstange erwärmen, pro Person 1 Ei aufschlagen.
In die warme Milch die Brotscheiben tauchen, sodass sie sich vollsaugen. Die mit Milch getränkten Brotscheiben in Ei wenden und in Öl ausbacken, bis sie von beiden Seiten knusprig braun sind.
Auf Küchenkrepp abtropfen lassen, in Zucker-Zimt-Mischung wenden, fertig. Dazu schmeckt am besten heiße ungesüßte Schokolade mit Zimt und einer Spur Piri-Piri gewürzt.
Text und Fotos: Catrin George Ponciano in ESA 12/2019