Trotz Gefahr lieben sie das Meer
Bunte, traditionelle Fischerboote, die in traumhaften Buchten oder in kristallklarem Wasser liegen, sind ein beliebtes Postkartenmotiv der Algarve. Auch die Tourismusbehörde wirbt oft mit solchen Bildern für die Region. Dabei sind diese Holzboote mittlerweile Raritäten und das Leben der Fischer bei weitem nicht so romantisch, wie diese Bilder vermitteln wollen
Ferragudo ist eines der letzten echten Fischerdörfer der Region. Der Tourismus hat sich im Laufe der Jahre zwar langsam in das Leben der Bewohner eingeschlichen, doch der Ort bleibt seiner Geschichte und seiner Tradition treu, denn viele leben weiterhin vom Fischfang – auch wenn dies nicht einfach ist. Ein Besuch entlang des Kanals Richtung Arade-Fluss bestätigt dies. Dort liegen ordentlich aufgereiht die covos und die Netze der Fischer. Davor schaukeln die Boote im Wasser leicht hin und her – die meisten natürlich aus Fiberglas. Oft kann man an der Promenade auch die Fischer bei ihrer Arbeit an Land beobachten. Der Fang muss eingebracht, die covos gereinigt, die Netze eingerollt und, falls nötig, geflickt werden. Bei dieser Arbeit treffe ich Luís Almeida und Joaquim Albino. Luís Almeida, braungebrannt, 49 Jahre, in Ferragudo geboren und aufgewachsen, trat wie seine Brüder in die Fußstapfen von Vater und Onkel. Erstmals hinaus auf das Meer ging er mit 14 Jahren. Nicht mit dem Vater, sondern mit zwei Cousins. Vorher hatte er seit seinem achten Lebensjahr bei Ebbe im Fluss Muscheln und Krabben gesammelt, um zum Familienunterhalt beizutragen. Seit seinem 18. Lebensjahr ist er offiziell als Fischer angemeldet. Zuerst war er nur angestellt, später kaufte er sein eigenes Boot und widmete sich, wie damals die meisten in der Gegend, dem Krakenfang mit alcatruzes. Doch die Tonfässer wurden durch Käfige aus Eisen, Plastik und breitmaschigem Netz, die sogenannten covos ersetzt, die es ermöglichen, mehr als eine Krake und auch noch Fische zu fangen. Die alcatruzes, die heute mit Ausnahme von Santa Luzia bei Tavira praktisch nicht mehr benutzt werden, dienten der Krake als Schutz. Sie übernachteten in den Fässern oder versteckten sich dort bei Gefahr, ohne zu ahnen, dass die Gefahr genau dort lag, denn am Morgen zogen die Fischer die Tonfässer ins Boot, und mit ihnen die Kraken. Bei den covos wird mit Ködern gearbeitet. Zerstückelte Sardinen oder Makrelen werden benutzt, um Kraken und andere Fische wie Goldbrassen, Wolfsbarsche, Muränen oder Meeraale anzulocken. An der Öffnung des Käfigs sind Plastikteilchen angebracht, die den Zugang zulassen, aber das Tier verletzen, wenn es versucht, hinaus zu kommen. Da diese Methode einen größeren und vielfältigeren Fang ermöglichte, mussten die Fischer nicht dazu überredet werden, die alcatruzes durch covos zu ersetzen. Die wenigen Gegner sahen sich kurz darauf auch dazu gezwungen.„Egal wie viel Schutz die alcatruzes den Kraken bieten, sobald sie den Köder der covos wahrnehmen, wechseln die Kraken in diese“, erklärt Luís. „Es war einfach kein fairer Wettbewerb“. Im Laufe der Jahre wechselten dann auch viele Fischer von Netzen auf diese Methode. Seit ungefähr drei Jahren werden jedoch keine neuen Lizenzen ausgestellt. Die covos brachten noch andere Änderungen mit sich. Früher hatte jeder Fischer ein bestimmtes Fanggebiet. Mit den covos wurden diese aufgelöst. Jeder durfte sie in ein beliebiges Gebiet legen, selbst auf andere, die schon im Wasser lagen. Welche zu welchem Fischer gehören, ist anhand von Fahnen zu sehen, die an den Seilen, die die Fallen zusammen halten, angebracht sind. Unvermeidlich kommt es zu einer Überfischung. Zu Beginn durfte ein zwischen 6 und 9 Meter langes Boot nur 200 bis 300 covos mitführen. Damit wurden am Tag 500 bis 600 Kilogramm Kraken gefangen! Derzeit dürfen solche Boote 650 covos mitführen, 9 bis 12 Meter lange Boote 850 und Boote ab 12 Meter 1.050. Für Luís definitiv zu viele und er weiß, dass viele Fischer mehr Fallen legen als gesetzlich erlaubt ist. „Die Kontrolle funktioniert einfach von vorne bis hinten nicht“, klagt er. Zudem sind im Gesetz keine Fangquoten und Schonzeiten vorgesehen. Es ist daher kein Wunder, dass der Ertrag heute geringer ausfällt als damals. Dazu kommt, dass die Fischer ihren Fang heute zum gleichen oder sogar zu einem niedrigeren Preis verkaufen als vor 20 Jahren. Und das obwohl das Benzin und das nötige Material viel teurer geworden sind. Eine Fahrt aufs Meer kostet zirka 50 Euro Benzin. „Von Gewinn kann man nicht reden. Eher von Überleben“, sagt Luís.„Die Fischer haben die Arbeit, riskieren sogar ihr Leben. Aber den Gewinn machen die Fischhändler. Wir Fischer können nichts dagegen unternehmen“. Der Fang wird in der Doca Pesca versteigert. „Wir können keinen Grundpreis angeben. Die Fischhändler entscheiden, was sie bieten wollen und oft sprechen sie sich ab, so dass keiner mehr als X anbietet“, weiß Luís zu berichten.„Sie kaufen Fisch für 50 Cent pro Kilo und verkaufen es dann für 3 oder 4 Euro“. Doch nicht alles ist heute schlechter als früher. Was die Sicherheit betrifft, hat sich die Lage der Fischer erheblich verbessert. Luís erinnert sich noch gut an die Zeiten, als die Boote weder mit Funkgerät noch GPS ausgestattet waren. Handys gab es damals auch nicht. „Wenn einem Fischer draußen auf dem Meer etwas zustoß, gab es keine Möglichkeit, Hilfe zu rufen“. Er selbst hat sich einmal drei Stunden an einer Boje festgehalten, bis die Kollegen zurückkamen und ihm halfen. Ein anderes Mal verhängte sich das Netz im Propeller und Luís musste die drei Meilen zum Land zurückrudern. Doch trotz moderner Technologie weiß Luís, dass das Meer weiterhin gefährlich ist.„Das Meer kann spiegelglatt sein und plötzlich kann ein Sturm aufkommen. Wenn es richtig schlimm ist, helfen auch Funkgerät und GPS wenig“. Wieso er weiterhin einer Tätigkeit nachgeht, die nicht rentabel und dabei noch lebensgefährlich ist? „Weil ich ohne das Meer nicht leben kann. Es ist wie ein Magnet, der mich anzieht“, so Luís. Joaquim Albino empfindet das gleiche. „Einmal machten wir einen Ausflug nach Fátima und bei Dämmerung ging ich aus dem Hotel, weil ich unbedingt das Meer sehen wollte“, erinnert er sich. „Es fehlte mir so sehr, dass ich fast wahnsinnig wurde“. Joaquim ist 55 Jahre alt und in bester körperlicher Verfassung. Sein Gesicht wirkt aber wie das eines viel älteren Mannes. Die Sonne und die Salzluft hinterließen tiefe Falten in der braungebrannten Haut. Auch er lebt seit jungen Jahren vom Meer. Mit sechs Jahren sammelte er Muscheln in der Ria Formosa, denn Joaquim ist auf der Insel Culatra in einer Fischerfamilie aufgewachsen. Das Meer fließt in seinen Adern. Später zog er auf die Insel von Faro. „Meine Frau hatte immer große Angst. Bei Sturm schlugen die Wellen direkt auf unsere Häuser, es gab auch keinen schützenden Hafen und sobald wir rausfuhren, waren wir auf dem weiten, unberechenbaren Meer. Ich gehörte zu denen, die wenig Angst hatten. Ich ging auch bei schlechtem Wetter aufs Meer“, erzählt er. Seit 12 Jahren wohnt er nun in Ferragudo. „Hier ist das Meer ruhiger, die Arbeitsbedingungen besser. Meine Frau beruhigt“, fügt er gut gelaunt hinzu. Wieso er bei schlechtem Wetter hinausging? „Wir sind Seebären und davon überzeugt, das Meer wie unsere Westentasche zu kennen. Dies führt dazu, dass wir oft unverantwortlich handeln, und dann passieren Unfälle. Aber oft ist es auch einfach die Not, die uns hinauszwingt. Wir müssen schließlich für die Familie sorgen, und wenn wir nicht rausfahren, haben wir nicht einmal einen Fisch auf dem Tisch“. Joaquim gehört zu den wenigen, die noch mit Netz arbeiten. Er geht alleine aufs Meer. „Funkgerät oder Handy nützen mir nichts, wenn ich meinen Kopf aufschlage und das Bewusstsein verliere“, weiß er. Sorgen macht er sich jedoch nicht um sich selbst, sondern um seine Söhne. „Beide sind gegen meinen Willen Fischer. Jeden Tag habe ich Angst um sie“. Trotz Gefahr und magerer Einnahmen sagt Joaquim, dass, solange er die Kraft dazu hat, er weiter hinaus aufs Meer fahren wird. Nicht nur das Meer macht den Fischern das Leben schwer, sondern auch die Politik. Die im Rahmen der europäischen Fischereireform angeordnete Zerstörung von Booten erschwerte zwar nicht das Leben der Fischer, führte aber praktisch zum Ende der traditionellen Holzfischerboote. Luís erinnert sich mit Saudade an die Zeit, in der vor Ferragudo die bunt bemalten, kleinen Holzboote im Wasser glänzten.„Doch damals hat wohl niemand daran gedacht, dass es heute fast keine mehr geben würde“, sagt er.„Natürlich haben alle ihre Boote gewechselt. Die aus Fiberglas sind leichter und dadurch auch schneller. Sie erleichtern unsere Arbeit und brauchen nicht so viel Wartung wie ein Holzboot, das drei bis vier Mal im Jahr an Land gebracht werden musste, um repariert und neu angestrichen zu werden. Bei den Fiberglasbooten muss man nur kurz den Wasserschlauch zur Hand nehmen und das war es“. Die Holzboote hätten aber nicht zerstört werden müssen, wenn es nicht aus falschem Eigennutz der Fischer gewesen wäre, gibt Luís zu. Zu Beginn zahlte die Regierung die Entschädigung, ohne dass das Boot zerstört werden musste.„Viele nutzen dies aus, um zweimal Geld für das Boot zu bekommen“, erklärt Luís. „Einmal von der Regierung und dann modifizierten sie das Boot und verkauften es nach Marokko. Als die Behörden von diesen Geschäften erfuhren, änderten sie das Gesetz und die Boote mussten unter Aufsicht der Wasserschutzpolizei zerstört werden. Dies erklärt auch, wieso in Luís Garten nur ein Bug und ein Heck von einem dieser traditionellen Boote stehen.„Ein Freund wollte mir sein altes Boot schenken und wir gingen zu den Behörden, um die Erlaubnis dafür einzuholen“, erzählt er. „Die Policia Marítima meinte ‘Gesetz ist Gesetz‘, also musste das Boot in drei Teile zerschnitten werden und ich durfte nur zwei Teile behalten, damit auch nicht die Möglichkeit bestand, es wieder zusammenbauen“. Nun gelang es ihm aber, ein Holzboot zu kaufen. Damit will er nicht fischen, sondern ab diesem Monat Grottentouren und Ausflüge im Arade-Fluss anbieten. „Ich muss mein Einkommen verbessern“, sagt er lächelnd. „Essen fehlt nie auf dem Teller. Zumindest Fisch nicht. Aber wir haben auch andere Ausgaben, und dafür reicht es einfach nicht“. Die vor zirka drei Jahren in Kraft getretene Fischerei-Regelung bezüglich der Auslegung der covos in Küstennähe während der Badesaison erschwert hingegen den Fischern das Leben erheblich.„Wir legen unsere Fallen vorzugsweise entlang der Küste. Einerseits verbrauchen wir so weniger Benzin, andererseits haben wir weiter draußen eh keine Chance gegen die größeren Boote, und für die Badegäste stellen sie keine Gefahr dar“, erklärt Luís. Doch von Mai bis September, genau die Zeit, in der die Fische sich der Küste nähern, dürfen die Fallen nunmehr erst ab einer Viertelmeile Entfernung von der Küste gelegt werden – nicht einmal an Stellen, an denen es keine zugänglichen Strände gibt, wie etwa zwischen Praia dos Caneiros und Praia do Carvoeiro. Dafür dürfen die größeren Schiffe sich in diesem Zeitraum der Küste nähern.„Ein Beweis dafür, dass die Herrschaften, die in Lissabon in den Ministerien sitzen und die Gesetze ausarbeiten, keinen blassen Schimmer von der Realität haben“, so Luís. Um dieses Problem und andere zu lösen oder es wenigstens zu versuchen, haben die Fischer von Ferragudo vor vier Jahren einen Verein gegründet. Ein weiteres Ziel der Associação de Pescadores de Ferragudo ist es, die Tradition des kleinen Fischerdorfes am Leben zu halten. „Ferragudo ist eines der letzten Fischerdörfer der Region und wir wollen, dass es weiterhin so bleibt“, so Luís, der Vorsitzender des Vereins ist. 15 Fischer bilden den Verein, alle mit kleinen Booten. Elf arbeiten mit covos, vier mit Netzen. Mit ihnen und für sie arbeiten viele andere Bewohner von Ferragudo. Derzeit kämpft Luís dafür, dass die Gemeinde den Fischern die alten Fischerhütten an der Praia da Angrinha übergibt und dort Wasser- und Stromleitungen legt. Von den zirka 20 Hütten gehören nur sechs lokalen Fischern, die auch Gebühren dafür zahlen. Die an- deren werden von den Erben verstorbener Fischer benutzt oder sind dem Verfall überlassen. Die erste Reihe sieht nicht so schlecht aus, aber dahinter hat man eher den Eindruck, auf einer Müllhalde zu sein. Die Fischer fordern, dass ihnen die Hütten überlassen werden, damit sie dort ihr Material aufbewahren können. Sie wollen den Müll entsorgen, die Hütten neu aufbauen, so wie man es in Alvor oder am Strand von Senhora da Rocha sieht, und vor allem, dass Strom und fließend Wasser vorhanden sind. Eine weitere Forderung der Fischer ist der Bau einer Rampe neben der kleinen Mole, die direkt vor den Hütten liegt. „Bei schlechtem Wetter könnten wir unsere Boote an Land ziehen und es würde uns ebenfalls das Abladen des Fangs vereinfachen“, so Luís. Vor allem aber, hebt Luís hervor, würden die Netze und die Fallen nicht mehr an der Promenade liegen. „Es ist für Fußgänger gefährlich, denn die Netze sind sehr fein und daher schlecht zu sehen. Viele stolpern drüber und verletzen sich“, erzählt er. Zudem finden die Fischer ihr Arbeitsmaterial oft zerstört vor, sei es von Hunden, Katzen oder Vandalen. „Und die Bewohner würden es sicher auch begrüßen, nicht mehr vor der Haustür unsere Sachen liegen zu haben. Alle würden davon profitieren, aber wie immer hat die Gemeinde kein Geld“, klagt Luís. Eine kleine Unterstützung erhofft er sich durch das kleine Café an der Markthalle, das der Verein vor kurzem übernahm.
Anabela Gaspar
ESA 06/14