Die Leuchttürme der Algarve-Küste
Stille Wächter mit Warnlicht – Farol do Cabo de São Vicente
Im Leuchtturm des Heiligen Vinzenz am Kap in Sagres fühlt man sich dem Himmel ein Stück näher. Seine einzigartige Lage übt eine magische Anziehungskraft aus und zieht deswegen jährlich Tausende Besucher an
Auf ihrem Kurs gen Norden und Süden oder Richtung Osten gen Mittelmeer diente das Kap des Heiligen Vinzenz in Sagres den Seefahrern der Spätantike und den Entdeckerkapitänen während der portugiesischen Expansionsgeschichte als kardinaler Orientierungspunkt. Jedes Schiff musste die tückischen Untiefen am berüchtigten Kap passieren. Deswegen sind Kapitäne dankbar für die Leuchtfeuersignale, die ihnen helfen, ihr Schiff auf dem angestrebten Kurs in sicherer Entfernung am Kap und seiner Steilküste vorbei zu manövrieren.
Die Strecke zur Leuchtturmfestung führt ab Lagos auf der Nationalstraße N 125 und ab Vila do Bispo auf der N 268 Richtung Sagres, von Norden auf der Natio-nalstraße N 268 von Aljezur nach Vila do Bispo weiter nach Sagres und zweigt am ersten Kreisverkehr von Sagres nach rechts zum Leuchtturm ab. Die Straße führt vorbei an der Festung Fortaleza de Beliche, die Ende des 15. Jahrhunderts oder Anfang des 16. Jahrhunderts erbaut wurde, um die einstigen Thunfischfallen sowie eine in den Felsen gemeißelte Treppe zu einer in der Bucht sechzig Meter tief gelegenen Anlegestelle für kleine Boote zu beschützen. Nach einer letzten Linkskurve führt die Straße schnurstracks auf die Leuchtturmanlage zu. Die Klippen der Westküste von Portugal und die der Südküste der Algarve rücken am Ende der sich ins Meer streckende Felsenhalbinsel immer näher zusammen, bis sie sich an der vordersten Spitze am Fuße des Leuchtturmes am Kap des Heiligen Vinzenz treffen. Rechts, links, geradeaus, der Blick schweift über die Klippenkante und den Ozean ins scheinbar Unend-liche. Angekommen, am südwestlichsten Punkt des europäischen Kontinents.
Der erste Leuchtturm an diesem entlegenen Ort wurde 1520 neben dem bereits bestehenden Kloster Convento de São Vicente erbaut. Zwar entzündeten die im Kloster lebenden Mönche sporadisch Leuchtfeuer auf der Turmspitze, der Turm als solcher diente den Klosterbrüdern jedoch eher als Schutz gegen Plünderer. Ein nachträglich durchgehender Festungswall, von der westlichen Seite der Klippe bis zur östlichen Seite errichtet, schützte zwar die Mönche vor Landstreichern, aber den Turm nicht vor Kanonenkugeln der Flotte unter dem Kommando des Korsaren Francis Drake, der 1587 sämtliche Festungsanlagen an der Südküste der Algarve unter Beschuss nahm und größtenteils zerstörte. Turm und Festung wurden erst im Jahr 1606 wieder aufgebaut, bis das verheerende Erdbeben 1755 die Anlage erneut zerstörte. Achtzig Jahre blieben die Ruinen unbeachtet, bis 1835 Königin D. Maria II den Bauauftrag für einen neuen und größeren Leuchtturm erteilte und der Direktion der Leuchttürme von Portugal die Aufsicht übertrug.
Der neue Leuchtturm mit Glaskuppel wurde am 25. Oktober 1846 eingeweiht und sandte zum ersten Mal sein damals bloß etwa sechs Seemeilen weit sichtbares Leuchtsignal mittels sechzehn mit Olivenöl gespeisten Lampen, ausgestattet mit Silber beschichteten Reflektoren auf einem nach dem Uhrwerkprinzip funktionierenden Rotationsmechanismus montiert. Viermal pro Nacht musste der diensthabende Leuchtturmwärter die Lampen befüllen, mehrmals den Rotationsmechanismus mittels Kettenantrieb von Hand aufziehen und täglich die verrußten Scheiben putzen. „Besonders das Putzen der Scheiben von außen, wozu man sich auf einem schmalen, lediglich von einem dünnen Seil begrenzten Laufsteg um die Glaskuppel herumhangeln musste, glich täglich einem Himmelfahrtskommando“, erzählt Faroleiro Vítor Cintra, einer der vier gegenwärtig diensthabenden Leuchtturmwärter im Farol do Cabo de São Vicente über die gefährlichen Arbeitsbedingungen seiner Vorgänger. Heutzutage gehört das regelmäßige Fensterputzen zwar immer noch zu den Aufgaben der Leuchtturmwärter, aber die Bedingungen haben sich unter Berücksichtigung höchster Sicherheitsvorkehrungen deutlich verbessert. „Schwindelfrei sollte man auf jeden Fall trotzdem sein“, zwinkert Vítor, befindet sich doch die Glaskuppel im Turm 86 Meter über dem Meeresspiegel.
Wegen ungenügender Leuchtkraft und unzumutbaren Arbeitsbedingungen wurde der Turm zwischen 1904 bis 1908 vom Sockel aufwärts saniert und um 5,70 Meter auf insgesamt 28 Meter erhöht. Die Kuppel samt ihrem rudimentären Leuchtfeuersystem wurde abgebaut und durch eine neue Glaskuppel ersetzt. Das darin bis heute immer noch in Betrieb befindliche, eigens für diesen Leuchtturm entwickelte Prisma der ersten Fresnel-Kategorie (s. ESA 7/16) wiegt vier Tonnen und sendet seit dem 25. März 1908 Nacht für Nacht im Fünfsekundentakt drei weiße Lichtimpulse je 15 Sekunden und Umdrehung, die 33 Seemeilen (56 Kilometer) weit sichtbar sind. Das Prisma zählt zu den zehn größten der Welt und ist aus drei optischen Linsen zusammengesetzt. Jede einzelne Linse besteht aus konvexen und konkaven Kristallglasstreben, eingefasst in ein Messinggerüst zu je acht Quadratmeter Größe und 3,58 Meter Höhe. Die zuerst noch mit Petroleum gespeisten Lampen im Zentrum der Linsen wurden 1926 gegen elektrische Birnen ausgetauscht, die gesamte Anlage auf Generatorstrom umgerüstet und 1948 an das öffentliche Stromnetz angeschlossen. Der gläserne -Gigant wiegt knapp vier Tonnen und rotiert seit 1926 elektrisch, seit 1982 voll automatisiert, gleichmäßig in 313 Kilogramm Quecksilbermasse, ein Stockwerk unter der Glaskuppel in einem stählernen Zylinderbehälter verschlossen. Für das Leuchtsignal sorgt eine einzelne 1000-Watt-Halogenlampe im Zentrum des Prismas.
Auf der Aussichtsplattform über 80 Meter über dem Meeresspiegel stehend genießt man den Ausblick auf Himmel und Meer im 270-Grad-Panorama. Gen Norden trennt die schroff zerklüftete Steilküste der Costa Vicentina Land und Meer, gen Osten blickt man auf die Halbinsel Promontório de Sagres, auf der die Seefahrerburg Fortaleza de Sagres thront, Richtung Landesinneres erstreckt sich eine steppenähnliche Landschaft und in der Ferne erkennt man die Serra de Monchique.
Am Fuße des Leuchtturmes befinden sich mehrere Nebengebäude: Das ehemalige Kloster mit Kreuzgang im Untergeschoss wurde modernisiert und zu Wohnungen für die Leuchtturmwärter und ihre Familien umgebaut. Im Anbau ist die Druckluft- und Pumpenanlage für den einstigen Betrieb der zwei Nebelhorntrichter, die seit 1914 auf dem Dach des Westflügels montiert sind, aber 1986 gegen Sirenen ausgetauscht wurden.
Eine Tür unten im Leuchtturm führt ins Herz des Turmes. Dort baumeln die Ketten, die die Leuchtturmwärter einst von Hand regelmäßig neu aufziehen mussten. Der mechanische Antrieb für die Rotation der Linse in der Glaskuppel funktioniert nach wie vor und könnte im Falle einer technischen Störung sofort wieder in Betrieb genommen werden. Eine zweite Tür führt ins Freie auf die Klippenspitze unterhalb des Leuchtturm-sockels. Am unteren Teil des Turmes ist ein Kirchenkreuz in die Wand eingelassen. Ein Symbol in Gedenken an die ein Stück tiefer auf einem Felsenvorsprung erbaute und längst verfallene Rabenkapelle Igreja do Corvo, in der laut verschiedenen mündlichen Überlieferungen die sterblichen Überreste des Märtyrers Vinzenz von Valencia versteckt gewesen sein sollen, bis sie nach der christlichen Rückeroberung und dem Sieg der Portugiesen über die Mauren von Sagres nach Lissabon überführt wurden. Es bleibt ein Rätsel, wie die sterblichen Überreste des Diakons nach Sagres gelangt sind, der während der unter dem römischen Kaiser Diokletian ausgerufenen Christenverfolgung im Jahre 304 n. Chr. in Valencia zu Tode gefoltert wurde. Aber die Legende lebt seit über 1700 Jahren fort. Das Kap verdankt der Geschichte des Märtyrers seinen Namen und seine unnachahmliche Magie.
Der Farol do Cabo de São Vicente gehört zu den meistbesuchten Sehenswürdigkeiten an der Algarve-Küste und die portugiesische Marine macht das
historisch bedeutende Gebäude mit angrenzendem Museum über die Geschichte des Leuchtturmes und seine Legende der Öffentlichkeit zugänglich. Besonders mittwochs, am Besuchstag für -Führungen bis in den Turm, stehen Besucher Schlange, um sich für einen Moment lang oben in der Kuppel oder auf der Aussichtsplattform dem Himmel ein Stück näher zu fühlen.
Apropos: Die einstige Rabenkapelle auf der vordersten Felsenspitze am Kap wurde so benannt, weil zwei Raben die sterblichen Überreste des Märtyrers von Valencia bis nach Sagres begleitet und dort sein Grab bewacht haben sollen − was Teil aller Versionen der großen Legende ist. Ihre letzte Ruhestätte fanden die Gebeine des São Vicente in einem mit Perlmutt verzierten Schrein, der in einer Glasvitrine aufgebahrt in der Schatzkammer der Kathedrale in Lissabon besichtigt werden kann. Raben nisten auch im Gemäuer der Kathedrale, aber erst seit der Ankunft der Gebeine des Märtyrers, vorher nicht, erzählt man sich in Lissabon.
Text: Catrin George
ESA 01/2017
Leuchtturmanlage Farol do Cabo de São Vicente
GPS: 37º 01,45’ N – 37º 01,37’ N – 08º 59,71’ W – 08º 59,79’ W
Besichtigungen:
Leuchtturm: mittwochs 14 – 16 Uhr, Leuchtturmanlage: tgl. 10 – 18 Uhr, im Winter bis 17 Uhr, montags und an Feiertagen geschlossen.
Tipp:
Der heilige Vinzenz von Valencia ist aufgrund der religiös begründeten Überlieferung und Legende der Schutzpatron der Gemeinde Vila do Bispo mit Sagres. Am 22. Januar sowie in den Tagen zuvor und danach gedenkt die Kirchengemeinde von Vila do Bispo seinem Märtyrertod mit Gottesdienst und Prozession.
www.cm-viladobispo.pt oder turismo.diocese-algarve.pt