Zwischen Laptop und Surfbrett
Krise mit neuen Chancen. Digitale Nomaden zieht es verstärkt in die Algarve
Sommer, Sonne, Strand und Wellen – die Algarve ist bekannt als Paradies für Surfer, Sonnenanbeter und Erholungsuchende. Aber ein Ort zum Arbeiten? Und ob! Immer mehr digitale Nomaden klappen entlang der Felsenküste ihre Laptops auf. Vor allem Lagos wird zum Hub für diese neue Art von Besuchern. Dazu hat auch die Corona-Krise beigetragen
Veronika Wendt sitzt vor einem hippen Internet-Café in einer der verwinkelten Altstadtgassen von Lagos. Sie hat für zwei Wochen ihren Arbeitsplatz aus Kürten bei Köln in die Algarve verlagert – und ist erstaunt darüber, wie gut das klappt. „Das Städtchen hat eine gute Infrastruktur, die Internetverbindungen sind überall prima“, sagt Veronika, „und alles ist leicht zu erreichen.“ Und das Beste: Nach Feierabend kann sie ihrer Leidenschaft, dem Longboard Surfen, frönen – denn auch die Westküste mit ihren anspruchsvolleren Wellen ist nicht weit weg. Die 34-Jährige betreibt mit einer Kollegin die Online-Plattform „Gartenpaten“, die Kontakte vermittelt zwischen Gartenbesitzern und Menschen, die im Garten mithelfen wollen. Außerdem arbeitet sie in Teilzeit als Expertin für Aufforstungsprojekte in Lateinamerika. Der Arbeitsausflug ans südwestliche Ende Europas wurde nun möglich, da ihr Teilzeit-Arbeitgeber in der anhaltenden Covid-19 Krise weiter auf Homeoffice setzt.
Dass ein solches „Home“ in diesen Zeiten dann auch schon mal ein bisschen weiter weg vom eigentlichen Zuhause sein kann, haben inzwischen viele erkannt. Sie leben ihren Traum von einer neuen Work-Life-Balance – ob vorübergehend, wie Veronika, oder auch längerfristiger, wie Amanda Ainali aus Finnland. Sie kam zum ersten Mal im vergangenen Jahr zum Surfen in die Algarve und strandete im Lockdown. Trotz der schwierigen Umstände verliebte sie sich in die Region. Derzeit lebt die Recruiting-Expertin, die für eine schwedische Firma arbeitet, in Aljezur. Manchmal aber wird das „Home(office) away from Home“ ein wenig zu einsam – und dann kommt Amanda zum sogenannten Co-Working ins Hotel Giramar in Lagos. Hier teilt sie sich einen zum Büroraum umgestalteten hellen Saal mit anderen digitalen Nomaden. Mehrere Schreibtische, ein Drucker und eine Kaffeemaschine stehen zur Verfügung – ebenso wie der freundliche Service an der Rezeption. Und in ihren Arbeitspausen kann Amanda direkt vom Schreibtisch in den Hotel-Pool wechseln.
Co-Working ist kein ganz neues Phänomen. Es hatte sich schon vor Corona in vielen Metropolen zu einem interessanten Angebot vor allem für Freiberufler und digitale Einzelkämpfer entwickelt, die ab und zu etwas kollegiale Gesellschaft und eine professionelle Büro-Atmosphäre brauchen. Es ist auch nicht ganz neu, dass sich Spezialisten aus dem Hotelgewerbe in dieser Branche tummeln – doch mit der Corona-Krise erhielt diese Entwicklung weiter Aufwind. Denn vielen Hotels brach mit den ausbleibenden Touristen die klassische Kundschaft weg. Da mussten alternative Konzepte her. Das erkannte auch Mariline Silva, Geschäftsführerin des Giramar. Sie beschloss, den ehemaligen Frühstücksraum in Einklang mit geltenden Abstandsregeln umzugestalten, in Schreibtische, gute Lampen und eine schnelle Internetverbindung zu investieren und ebenfalls auf Co-Working zu setzen. Eine Entscheidung, die sie nicht bereut. „Es kommen immer mehr Leute – und sie sind in diesem Jahr auch über den Sommer hinaus geblieben“, sagt Mariline. Denn die Corona-Krise, so hart sie für viele ist, hat den Trend zum mobilen Arbeiten außerhalb starrer Bürostrukturen durch den Zwang zum Homeoffice salonfähig gemacht – und dieser wird sich auch in Zukunft verstärken. Das wird befördert durch die digitale Professionalisierung in vielen Branchen, die ebenfalls für mehr Unabhängigkeit bei der Wahl des Arbeitsortes sorgt. Mit dem Co-Working will Mariline Silva in jedem Fall weiter machen. Denn selbst als in diesem Sommer wieder mehr Touristen ins Hotel kamen – Interessenkonflikte mit den arbeitenden Nomaden gab es nicht. Rund um den Pool herrschte friedliche Koexistenz. So manch ein Urlauber wurde sogar auf die Idee gebracht, selbst mal eine Work-Life-Auszeit zu nehmen. „Bleisure“ – die Verbindung von Business und Leisure, also Freizeit und Vergnügen, wird dieser neue Trend in der Tourismusbranche genannt.
Natürlich leben das nicht alle in einer Hotelumgebung aus. Nico Verresen, 38, aus Belgien und Martijn Pannevis, 41, aus Amsterdam sind eher im Coffee-Studio in Lagos anzutreffen, wo es noch etwas lebhafter zugeht. Hier herrscht ein häufiges Kommen und Gehen, digitale Nomaden sitzen dicht gedrängt an kleinen Tischen und auf engen Fensterbänken. Der allgemeinen Kreativität und guten Stimmung tut das keinen Abbruch. Nico, ein ehemaliger Kampfsportler, der nun als Coach und Personal-Trainer tätig ist, hat viel Erfahrung als Arbeits-Nomade. Vier Jahre hat er zuvor auf Bali verbracht. Zwischendurch war er zurück in seiner belgischen Heimat. Seine Kunden sind überwiegend in Amerika. Dennoch ist für ihn nun erstmal Portugal der Ort der Wahl. Nico schätzt die „lässige“ und internationale Atmosphäre in der Algarve. Für Martijn ist das digitale Arbeiten in Lagos dagegen erstmal nur ein kurzer Ausflug. Die Stadt habe jedenfalls „den richtigen Vibe“ und sei „nicht zu groß und nicht zu klein“. Der Software-Experte, der vor allem Start-Ups betreut, hat jedenfalls Gefallen am Digital-Nomade-Dasein gefunden. „Ich habe das jetzt zum ersten Mal bewusst gemacht. Und es war sicher nicht das letzte Mal.“
Ein paar Straßen weiter sitzt Aly Burschmiede aus Fort Lauderdale in den USA im Café Black and White. „Lagos is a beautiful town“, sagt sie und schwärmt von den schönen Stränden. Die 24-Jährige, die als Foto-Editor arbeitet, kam mit ihrem Mann hierher, um ein neues Leben aufzubauen. Portimão und Alvor seien als Standorte auch in der engeren Wahl gewesen, sagt sie – „doch irgendwann wussten wir, Lagos, das ist es.“ Die Amerikanerin schätzt es, dass Portugal mit erleichterten Visa-Bedingungen lockt. Allerdings, wie viele, machte sie auch die Erfahrung, dass die Wohnungssituation in der Algarve schwierig ist. „Im Sommer ist es fast unmöglich, bezahlbare Apartments zu bekommen.“
Wenn man die wachsende Zielgruppe der digitalen Nomaden längerfristig halten will, müsste sich hier-an etwas ändern, weiß auch Joana Glória. Sie ist der kreative Kopf und die Seele hinter der Facebook-Gruppe „Lagos Digital Nomads“, die nicht nur im virtuellen Raum, sondern auch im realen Leben äußerst aktiv ist. Wöchentlich finden Meet-Ups statt, bei denen sich die rasant wachsende Gruppe der Arbeits-Nomaden in einem Altstadt-Café oder an der Marina trifft. Zudem werden Konzerte und Workshops veranstaltet. „Lagos als Kommune muss noch besser verstehen, welches wirtschaftliche Potenzial die digitalen Nomaden darstellen und welche neuen Chancen sich hier für die Stadt bieten“, sagt Joana. Auch für die Bars und Restaurants, die früher im Winter fast alle zu hatten, sei die Dauerpräsenz der Nomaden ein gutes Geschäft. „Ich hatte noch nie so ein aktives Sozialleben in Lagos, wie jetzt“, sagt Joana, die in der Stadt geboren ist. Ihre Großmutter hatte einst ein Guesthouse. „Schon als Kind habe ich diese vielen Begegnungen geliebt.“ Menschen aus aller Welt miteinander zu vernetzen, das ist heute die große Leidenschaft der Community Managerin. Daraus kann noch viel Positives für die Region entstehen – hofft Joana. Ihre Hoffnung ist berechtigt: Im deutschen Konsulat jedenfalls laufen in letzter Zeit vermehrt Anfragen auf, wie es sich denn so als digitaler Nomade in der Algarve lebt.
Text: MONIKA HOEGEN
Veröffentlicht in ESA 01/2022
Monika Hoegen ist Journalistin, Moderatorin und Kommunikationsberaterin mit kölschen Wurzeln. Sie hat rund um den Globus recherchiert und gearbeitet und in den vergangenen zehn Jahren in Brüssel gelebt. Seit April 2021 ist sie selbst als digitale Nomadin in der Algarve – und hat die wunderschöne Region lieben gelernt. Ab und an wird sie für ESA schreiben.