Kulturwege
Überall in der Algarve sind die Spuren der maurischen Geschichte präsent. In Zusammenarbeit mit Ländern des Mittelmeerraums gestaltet die Region nun ein Projekt, das die gemeinsame Vergangenheit als Basis für eine wirtschaftliche und kulturelle Zukunft nutzt
Afrika liegt aus der Perspektive vieler Portugiesen direkt vor der Haustür, geografisch, klimatisch und auch in manch kultureller Hinsicht. Einige Verbindungen zu Afrika sind jung und fast immer ökonomischer Natur, andere sind alt, uralt und ob sie wirklich genauso entstanden sind, wie es die vielen Legenden und Histörchen überliefern, wer weiß das schon. Noch heute heißt es gelegentlich, die Algarve sei „ein Stück Afrika, das die Mauren zurückgelassen haben“ und die Algarvios folglich so etwas wie „die letzten Mauren.“ Was aber, wenn es diese Beziehungen nie gegeben hätte? „Dann wäre die Algarve heute ohne Mythos“, lacht Dácio Jacinto. Er studiert Wirtschaftsgeschichte befasst sich mit den historischen Handelsbeziehungen seines Landes.
Der Mythos lebt. Die Algarve ist ab diesem Herbst Teil eines neuen, internationalen Projekts namens Rota Omíada – die „Route der Umaiyaden“ (s. unten und umayyad.eu): Entlang überlieferter Wege gestalten sieben Mittelmeer-Anrainerländer gemeinsam „die Geschichte des Umaiyaden-Imperiums, die sie verbindet,“ beschreibt Dácio das Konzept. Die Route will humane, kulturelle, künstlerische und wissenschaftliche Verbindungen aufleben lassen, denn trotz kriegerischer Implikationen jener Zeit ermöglichte die enorme West-Ost-Ausdehnung des Machtbereichs der Umaiyaden einen bedeutenden Wissenstransfer unter den Völkern. Der Wissensschatz jener Zeit beruhte in erster Linie auf Erfahrungen, Fertigkeiten, Routine und Kenntnissen, die die Menschen im Alltag ihres jeweiligen Lebensraumes erwarben. Das Riesenreich ohne Grenzen ermöglichte den Austausch und „zeigt, dass Völker grundverschiedener Prägung funktionierende Beziehungen unterhalten können“, resümiert Dácio und sieht darin eine Aufforderung an die Gegenwart.
Angesichts der Tatsache, dass neben Portugal (vertreten durch die Algarve), Spanien und Italien auch Tunesien, Ägypten, Jordanien und der Libanon zur Umaiyadenroute gehören, ist das Konzept auch politisch spannend. Die Organisation für Erziehung, Kultur und Wissenschaft der Arabischen Liga gehört zu den Initiatoren, die italienisch-tunesische Industrie- und Handelskammer, Handelskammern aus Andalusien und Ägypten, die Fakultät für Stadtplanung der Lebanese American University, der Rat der libanesischen Stadt Byblos (der am längsten ständig besiedelte Ort der Erde) und verschiedene Kultur-Verbände, auch aus der Algarve.
Die Spuren der Mauren sind als touristisch probates Stilmittel nicht zu übersehen im Al-Gharb, dem Westen des alten maurischen Reiches. Silves war das Bagdad des Okzidents, die Maurenhauptstadt mit prächtigen Palästen und durchaus globalisierten Basaren. Nahezu tausend Jahre später ist nun das Projekt der Umaiyaden-Route mehr als nur eine weitere Kopfgeburt von Tourismus-Managern, denn es soll langfristig vor allem dazu führen, dass sich die Menschen auch mit der Gegenwart der Länder auseinandersetzen.
Für Dácio ist die Unternehmung Umaiyaden-Route eine kleine Revolution. Touristenregionen liefern sich normalerweise harte Konkurrenzkämpfe. Das Projekt sei hingegen auf Kooperation aufgebaut. Außerdem werde es das vermutlich größte Alternativ-Programm für Territorien, die sich bisher vor allem durch Sonne, Strand und Meer profilieren. Wenn das Netzwerk der Mauren-Nachfahren funktioniert, könnten die sieben Länder dadurch in der Nebensaison bis zu einem Fünftel mehr Besucher begrüßen, so die Erwartung. „Davon profitiert dann auch die lokale Wirtschaft, die neue Märkte innerhalb des Projektraumes erreichen können.“ Schließlich sollen Brücken zwischen den Völkern gebaut werden. Schüleraustausche, gemeinsame Auftritte von Künstlern, aktive Städtepartnerschaften – die Liste der Ideen ist lang, die das Mittelmeer als Verbindung zwischen Nord- und Süd-Gestade begreifen.
Der Weg durch die Gegenwart führt über die Relikte der gemeinsamen Vergangenheit. Im Rahmen des Projekts werden archäologische Stätten und Funde restauriert und aufgewertet, beispielsweise ein arabisches Brettspiel aus der Zeit der Umaiyaden, das in der Burg von Alcoutim ausgestellt ist. Das Castelo de Alcoutim selbst gehört auch dazu, ebenso eine Mauer der Burg in Silves, an der der Betrachter die wechselvolle Vergangenheit und die Bauphasen der verschiedenen Siedlungsepochen nachvollziehen kann. Auf der Liste stehen Stätten von Natur- und Kulturerbe an bisher 36 Orten der Algarve, rund um Silves, Paderne, Tavira, Loulé, Albufeira und Alcoutim, Cacela Velha, Estoi, Vila Real de Santo António und Olhão. Diese Stadt ist im Zusammenhang mit der maurischen Geschichte ein Kuriosum. Die flachen Häuser mit ihren flachen Dächer und bunt verzierten Schornsteinen, die phantasiebegabte Betrachter an Minarette erinnern, mögen eine Reverenz an maurische Traditionen sein, kulturelles Erbe sind sie nicht. Denn erst seit 1715 dürfen Steinhäuser gebaut werden und auch erst seit jener Zeit gibt es die Moscheetürmchen als Rauchabzug.
Im weiteren Verlauf des Projektes stellen das regionale Kulturamt und der Tourismusverband der Algarve Routen durch die Region vor, die im Zusammenspiel mit den Nachbarn rund um das Mittelmeer bereist werden können. Ganz profan werden dazu jetzt Hinweistafeln in der Region angebracht: Das Projekt der Umaiyadenroute ist eröffnet, die Algarve soll ihren Beitrag bis Jahresende abschließen.
Dácio freut sich auf eine ausgedehnte Reise auf der Umaiyadenroute. Die Organisatoren schlagen vor, die Expedition in Jordanien oder im Libanon zu beginnen, dann Ägypten und Tunesien zu besuchen und nach einer Zwischenstation auf Sizilien die Iberische Halbinsel anzusteuern. Dácio findet es gut, wenn die Fahrt hier endet. Wer sein Ziel erreicht, bleibt meist länger.
Der Herrschaftsbereich der Umaiyaden
„Sie durchquerten Wüsten, gründeten Städte und schufen eine Zivilisation, die Orient und Okzident verband“, heißt es in Aufzeichnungen aus dem Mittelalter – Die Umaiyaden waren einer der einflussreichsten Familienclans in Mekka, brachten 14 Kalifen hervor und regierten von 661 – 750 n.Chr. in Damaskus. Die Umaiyaden gehören zum arabischen Stamm der Quraisch, aus dem auch der Religionsgründer Mohammed kam.
Die Umaiyaden-Kalifen dehnten die Grenzen ihres Reiches von Damaskus in östlicher Richtung bis zum Indus aus und westlich bis zur Iberischen Halbinsel, wo sie 711 die Gebiete der Westgoten eroberten. Während die Umaiyaden bald aus weiten Teilen ihres nahöstlichen Machtbereich vertrieben wurden, festigten sie ihre Position in Iberien und gründeten das Emirat von Córdoba, das bis 1031 bestand.
Die Umaiyaden und ihre Eroberungszüge sind zwar Geschichte, doch die Diskussion um Rolle und historische Bedeutung des Clans ist in einigen arabischen Staaten bis heute lebendig und kontrovers. Im Laufe des letzten Jahrhunderts erschienen mehrere Bücher über die Umaiyaden. Einige Historiker stellten sie als arabisch-chauvinistisch dar, andere bewerteten ihre Realpolitik und ihre Staatsräson sehr positiv. Beide Interpretationen führten, abhängig von der jeweils herrschenden Mehrheit, wiederholt zu schweren politischen Krisen.
Text: Henrietta Bilawer
ESA 09/15