Diese Legende ist eine der bekanntesten der Region und in Olhão die beliebteste. Floripes ist ein Teil des Lebens der Bevölkerung der kubistischen Stadt, die sie sogar in ihre Alltagssprache aufgenommen hat
Egal ob 6, 16, 60 Jahre oder älter, ob reich oder arm: in Olhão kennt jeder die Legende von Floripes. Eine verzauberte Maurin, die an Vollmondnächten Fischer verführt und sie dazu überreden will, ihr ins Wasser zu folgen, damit sie aus ihrer Verzauberung befreit wird. Der junge Julião war zwar nicht der Erste, der Floripes sah, aber es ist seine Geschichte, die noch heute erzählt wird:
Im Licht des Vollmondes schimmert das Wasser und sieht magisch aus. Es ist spät und Julião spürt ein wenig Angst, ist aber fest entschlossen der Sache nachzugehen. Entweder ist sein Nachbar Zé ein Lügner oder die Sache lohnte sich definitiv aus der Nähe betrachtet zu werden. Der Weg zum Moinho do Sobrado ist schlecht, aber wenigstens kann er im Vollmondlicht besser sehen. Nicht viele wagten sich dort hinzugehen. Ana hatte ihn darum gebeten, die Wette zu vergessen und zu Hause zu bleiben. Aber Julião war stur – und neugierig. Zé hatte Julião geschworen, dass ihm am Moinho do Sobrado um Mitternacht stets eine Maurin erschien. Doch da Zé meistens betrunken war, glaubte Julião eher, dass Zé davon geträumt hatte. Zé hatte ihn dazu herausgefordert hinzugehen, um sich selbst davon zu überzeugen. Zudem hatte er Julião versprochen, ihm sein Landgut Herdade das Relvas als Hochzeitsgeschenk zu geben, sollte die Maurin nicht erscheinen. Dieses Versprechen war ausschlaggebend für sein nächtliches Abenteuer gewesen.Nun ist Julião unterwegs zur Wassermühle. Wohlmöglich beobachtete Zé ihn von einem Versteck aus. Ana war zu Hause geblieben und bat Gott darum, dass die Maurin Julião nicht erschien, denn laut Zé war sie die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte. Es ist stockfinster und weit und breit ist niemand zu sehen. Das Licht des Vollmondes fällt auf die weißen Mauern der Wassermühle, in der die Maurin leben soll. Es ist so still, dass es Julião bange wird. Er will rufen. Aber nach wem soll er rufen? Er beschließt sich zu setzen und zu warten.
Nach einer Weile steht er auf. Seit die Uhr im Dorf Mitternacht schlug, ist eine halbe Stunde vergangen. Er hat lange genug gewartet und will sich auf den Weg nach Hause machen. Ein letztes Mal blickt er auf die Wassermühle, fast als Abschied, und genau in diesem Moment sieht er sie. Im Fenster der Mühle ist das Gesicht einer Frau. Julião nähert sich, sie lächelt ihn an und verschwindet im selben Augenblick, um gleich darauf, nur zwei Schritte entfernt, vor ihm zu stehen. Sie ist bildhübsch und das lange Kleid betont ihre Figur. Julião fragt nach ihrem Namen und ob sie eine Maurin ist. „Ich bin Floripes und, ja, ich bin eine Maurin“, sagt sie mit trauriger Stimme. Floripes erzählt Julião, dass sie, seit die Mauren aus der Algarve vertrieben wurden, in der Wassermühle lebt, dass ihr Vater fliehen konnte, ohne sie jedoch auch retten zu können. Ihr Verlobter sei auch geflohen und später zurückgekehrt, um sie zu holen. Sein Boot sei aber vor der Küste, direkt vor Floripes´ Augen, gesunken. Als ihr Vater davon erfuhr, habe er sie verzaubert, in der Hoffnung, sie später holen und von der Verzauberung befreien zu können. Doch er ist nie wiedergekommen.
Tränen laufen ihr über das Gesicht. Sie tut Julião leid. „Kann ich dir helfen, diesen Zauber zu brechen?“ Floripes wischt ihre Tränen fort und fragt lächelnd: „Würdest du das für mich tun?“ Julião nickt und Floripes erklärt ihm, dass er sie an einem Fluss umarmen und dann ihren linken Arm verletzen muss. Für eine Sekunde ist Julião überrascht, dass es so einfach ist, sie zu befreien. Doch Floripes spricht weiter. „Der Mann, der mich umarmt und verletzt, muss auch für immer und ewig mit mir nach Afrika“. Es dauert etwas, bis Julião sich fasst. „Dann kann ich dir nicht helfen, denn ich kann Ana, meine Verlobte, nicht verlassen“, sagt er schließlich. „Sie wird einen anderen Verlobten finden“, wirft Floripes ein. „Aber ich liebe sie. Sie ist ein schönes, nettes Mädchen“, antwortet Julião. „Schöner als ich? Mit mir würdest du auch glücklich sein“. „Ana liebt mich und du kannst auch einen anderen Mann finden.“ „Aber ich liebe dich, Julião.“ „Was ist mit
Zé, der dich öfters besucht?“ „Er liebt mich, aber …“ Julião unterbricht sie und sagt, dass er gehen muss. In seinen Augen sieht Floripes, dass Julião nie wieder zur Wassermühle zurückkehren wird. Bis heute wartet Floripes an der Moinho do Sobrado auf ihren Erlöser.
Einige der älteren Olhanenses glaubten so sehr an Floripes, dass sie die Maurin selbst beim Einkaufen sahen. Es hieß, dass Floripes stets mit einer Goldmünze zahlte und nie auf das Wechselgeld wartete. Wenn heute jemand sein Wechselgeld nicht nimmt, wird immer noch gesagt „Bist du wie Floripes, die kein Wechselgeld will?“ Floripes ist auch so etwas wie der Butzemann in Olhão. Wenn man Angst machen will, sagt man „Sieh zu, dass Floripes dir nicht erscheint!
ESA 10/13