Die Ostra da Culatra erobert den Gourmethimmel
Die Muschelzucht ist für die Fischergemeinschaft auf der Ilha da Culatra existenziell. Seit die Insel besiedelt ist, leben die Menschen hier am Meer und vom Meer. Ohne die Früchte des Meeres keine Existenz, ohne Existenz keine Zukunft
An diesem Morgen ist die Lagune im Parque Natural da Ria Formosa in Frühnebel gehüllt. Der Blick von der Hafenmole in Olhão reicht gerade einmal bis zum Bootssteg davor. In der Fischhalle wird der Tagesfang noch auf Eis drapiert. Ein Kaffee im Stehen ersetzt das Frühstück. Im Hafen wartet ein Bootstaxi. Kaum den Hafen verlassen, durchpflügt der Außenbordmotor brummend das Wasser. Lichtbojen zeigen dem Skipper den Weg durch den Morgennebel zur Ilha da Culatra.
Angekommen am nagelneuen Anlegesteg für Fährboot und Bootstaxi geht es schnurstracks zum Treffpunkt mit der Umweltaktivistin und Austernzüchterin Sílvia Padinha, und mit ihr gemeinsam los in die Marschlandschaft von Culatra. Die Ebbe muss genutzt werden. Auf dem Weg zu den Austernbänken weist Sílvia ein in die Welt der Schaltierzucht auf Culatra. „Wichtig ist die Diversität, damit die Schal-tiere mit optimalen Umweltbedingungen wachsen können.“
Das Watt direkt vor dem Fischerdorf gelegen, ist in zwei Hälften unterteilt. Am Ufer in unmittelbarer Nähe der Fahrrinne befinden sich eine Menge Metallgestelle, auf denen Säcke ausgebreitet liegen. Das sind die sogenannten Austernbänke. Wie ein Wall schützen sie die dahinter, etwas höher, im Watt angelegten Venusmuschel-Felder davor, dass die Strömung bei einlaufender Flut zu schnell steigt, den Sand aufwühlt, und die amêijoas aus dem Sand hochwühlt und fortschwemmt.
Bevor die Culatrense Muschelbauer auch Austern gezüchtet haben, verloren sie regelmäßig einen Teil ihrer Muschelzucht an die Launen des Meeres. Jetzt nicht mehr. „Das Watt auf Culatra eignet sich ideal für die Zucht für beide Edelbivalven“, erklärt Sílvia.
Auf den Metallgestellen liegen Säcke aus Gummi mit löchrigen Maschen, darin die Austern. Die Oberseite ist mit einer dicken Schicht Algen bedeckt. Die Arbeit der Austernzüchter passiert zyklisch. Ausgesetzt wird die portugiesische Auster, deren Nachzucht nicht mehr aus Portugal, sondern größtenteils aus Frankreich aus der Bretagne stammt, als Babyauster. Austern ernähren sich durch Plankton, wachsen relativ rasch und müssen regelmäßig umgebettet werden. In jedem Sack sind zunächst 500 Babyaustern, die innerhalb von 15 Monaten mehrmals in weitere Säcke aufgeteilt werden, damit sie Platz zum Wachsen haben, bis 50 gleichgroße etwa 150 Gramm schwere Austern pro Sack übrigbleiben. Im 14-Tage-Rhythmus werde die Säcke gedreht, die Austern geschüttelt.
Sílvia öffnet den Sack, nimmt Auster für Auster in die Hand und knackt die äußere Schalenkante rundherum weg, damit die Schale nicht zu unförmig wächst und die Auster zum Schluss mehr Schale auf die Waage bringt als Muschelfleisch. Mit einem Austernmesser öffnet sie eines der begehrten Meereshäppchen und prüft die Qualität. Die Flüssigkeit ist glasklar, das Fleisch schneeweiß. Allein der Geruch erinnert sofort an Salzluft, der Geschmack überzeugt beim ersten Schlürfen. Ein Meereskuss für Zunge und Magen. Kein Wunder, dass die Culatra-Auster sich ihren Platz ganz oben unter den Delikatessen aus dem Meer erobert hat.
„Austern wachsen schneller als amêijoas, bereiten während der Aufzucht und Ernte weniger körperliche Anstrengung, und erwirtschaften größere Renditen. Darin liegt eine große Gefahr. Die unternehmerische Versuchung, bloß noch Austern anzubauen, ist sehr hoch.“
Erklärend deutet sie mit der Hand auf die Uferlinie. Sílvia und ihr Sohn bewirtschaften gemeinsam ein Feld von ungefähr 2 x 2.500 Quadratmetern. Alle Felder sind abgesteckt und mit Fähnchen bewimpelt. Die Lizenz zur Bewirtschaftung maritimer Fläche erwerben die Muschelbauer bei der portugiesischen Generaldirektion für Naturressourcen (Direcção-Geral de Recursos Naturais, Segurança e Serviços, DGRM). Bei Austern für zehn Jahre.
Während der Krise zwischen 2006 und 2012 standen auf der Ilha da Culatra etliche Fischerfamilien vor dem wirtschaftlichen Aus. Ihre amêijoas fanden kaum mehr Absatz, aber um alternativ in Austernbänke zu investieren, fehlte den Fischern das nötige Kapital. Die Austernzucht an der Algarve stand damals noch am Anfang, aber die Auster aus dem Parque Natural da Ria Formosa war bereits in den Gourmethimmel aufgestiegen. Die Nachfrage nach portugiesischen Austern explodierte. Eine echte Zwickmühle. Das Kapital lag im Watt, niemand wollte die exquisiten amêijoas kaufen, aber dafür Austern.
Spitzenanbieter auf dem Weltmarkt waren die Franzosen. So dauerte es nicht lange, bis französische Austernzüchter den Fischerfamilien auf Culatra während der Krise die Pachtlizenzen abzuluchsen versuchten. Sie boten den Fischern exorbitant hohe Summen an, damit diese ihre Lizenz und damit das Recht für die gepachtete Fläche abgaben. In anderen Gebieten in der Ria Formosa ist das den Franzosen während der Krise auch tatsächlich gelungen. In Tavira und in Fuseta werden mittlerweile Austern exzessiv unter der Leitung von französischen Lizenznehmern angebaut. Auf Culatra blieben die Franzosen erfolglos.
Wie eh und je in der Geschichte ihrer Insel, rauften die Fischer sich zusammen, und fanden eine machbare Lösung. Mithilfe von der Umweltaktivistin Sílvia Padinha und ihren Gefährten im Gemeindeverein Associação de Moradores da Ilha da Culatra (AMIC), sowie mit beantragten Fördermitteln bei der DGRM, gelang es den betroffenen Fischerfamilien die Krise zu überwinden und in das Austern-geschäft zu investieren. Das Damoklesschwert verschwand.
Nur ein einziger französischer Unternehmer hat es geschafft, sich auf der Insel niederzulassen. Seine Austernbank liegt abseits der Uferlinie weit entfernt von den anderen Austernbänken mitten in den Venusmuschelfeldern. Auch ohne die Vorgeschichte zu kennen, sieht die Austernbank an dieser Stelle völlig deplatziert aus.
„Wäre es uns damals nicht gelungen, die drohende Übernahme durch französische Austernzüchter abzuwenden, wäre das gesamte Watt von Culatra mittlerweile mit Austernbänken besetzt, unsere amêijoa abgedrängt, und wir auch.“
Mit dem Verlust ihrer Schaltiere-Zuchtlizenz im Watt, hätten etliche Fischerfamilien ihre Existenzgrundlage verloren. Sie hätten an Land nach Olhão zum Arbeiten gehen oder gar von der Insel fortziehen müssen. So haben die Fischerfamilien die Zähne zusammengebissen und anstatt aufzugeben, das Austernzuchthandwerk dazugelernt, Kredit über den Förderfonds aufgenommen und sich der neuen Herausforderung gestellt. Erfolgreich. Die Ostra da Culatra konnte sich als Marke etablieren und schwebt ganz oben im Gourmet-himmel.
Damit die Symbiose zwischen Meer und Mensch fortlebt, muss der Mensch etwas zurückgeben, wiederholt Sílvia, und setzt sich deswegen unermüdlich für Umweltschutz und konsequente Müllreduktion auf der Insel ein. Man muss dazulernen, lautet Sílvias Credo. Das Leben heute funktioniert anders als vor 20 Jahren, anders als vor 50 Jahren. Wenn die Bewohner ihrer Insel nicht im Laufe der Lokalgeschichte stets derart lernbereit gewesen wären, gäbe es vermutlich keine Inselgemeinschaft mehr und erst recht keine portugiesischen Austern von portugiesischen Austernzüchtern. „Aufklären ist das A und O. Nicht wissen ist nicht schlimm. Nicht dazulernen wollen, kann fatal sein.“
Kasten:
Kurios und brisant
Waffenstillstand im Kampf um Sammellizenzen und Austernzucht
Kurz vor Weihnachten wurde es wieder einmal heikel für die Muschelbauergemeinschaft von Culatra. Ein auf dem Festland ansässiges Muschelzuchtunternehmen hat bei der Behörde DGRM ein Projekt eingereicht und sich um die Pacht- und Nutzungslizenz für Austernzucht in einem als Schutzzone für Schaltiere deklarierten Gebiet beworben. Laut DGRM besteht jedoch eine unmissverständlich formulierte Vorschrift, dass in dem beworbenen Gebiet gar keine kommerziell genutzten Muschelfelder oder Austernbänke angelegt werden dürfen, um den natürlichen Fortpflanzungsprozess der einheimischen Schaltiere nicht zu gefährden.
Kurios also, dass für die Düne zwischen Olhão und Culatra keine öffentliche Ausschreibung vorlag, aber eine Bewerbung bei der DGRM eingegangen ist.
Brisant, weil die ansässigen Muschelbauern von dem in der Schwebe befindlichen Projekt erst nachträglich erfuhren.
Kurios außerdem, weil sich für die insgesamt zehn Hektar große Fläche (100.000 m2) ein einzelner Unternehmer für gleich 25 Jahre Nutzungsrecht für Schaltier- und Austernzucht bewarb, während die Muschelbauern von Culatra Lizenzen bloß für jeweils zehn Jahre und höchstens 5.000 m2 Größe/pro Muschelbauer/Sorte Schaltiere erwerben können.
Die Mitglieder und Angehörigen der Assoziation AMIC waren deswegen ratlos und wütend zugleich und haben dank ihres über viele Jahre hinweg aufgebauten Netzwerks diverse Medien, Journalisten und Umweltschutzorganisationen mobilisiert, um auf das geplante Projekt aufmerksam zu machen. Daraufhin schloss sich die Gewerkschaft der Fischer solidarisch einstimmig mit den Mitgliedern der AMIC und ansässigen Umweltschutzvereinen zusammen und legten Protest gegen das Projekt ein. Mit vereintem Presseauftritt, unter anderen im Journal O Barlavento, sowie gezielt gestreute Präsenz auf allen sozialen Kanälen und in den aktuellen Nachrichten beim Sender RTP 1, drang die Brisanz mit all ihren offenen Fragen, an die Öffentlichkeit.
Am 6. Dezember konnten die Bewohner von Culatra und die Muschelbauer der Ria Formosa wieder aufatmen. Das Projekt wurde von den beiden führenden Institutionen für Naturschutz ICNF und APA geprüft, und rigoros abgelehnt.
Text: Catrin George Ponciano in ESA 01/2020
Fotos: Catrin George Ponciano; Bruno Filipe Pires