Was bleibt, ist Nostalgie:
Die letzten Netzflickerinnen von Peniche
Peniche liegt auf einer Halbinsel an Portugals Westküste, etwa eine Autostunde nördlich von Lissabon. Seit jeher ist die Region eng mit dem Meer verbunden. Traditionell lebt man von der Fischerei und Fischverarbeitung, neuerdings floriert der Tourismus. Archäologische Funde bezeugen, dass hier vor 2.000 Jahren schon die Römer Amphoren zur Aufbewahrung von Fisch und Fischpaste herstellten. Ein Umstand, den man im letzten Jahr mit dem Slogan ,,Peniche, seit 2.000 Jahren in der Konservenherstellung“ feierte. Peniche ist einer der wichtigsten Häfen des Landes für den Sardinenfang. Die Krise in Portugals Fischerei trifft das 15.000-Seelen Städtchen hart, Großinvestitionen sollen helfen. Vor kurzem ging die nagelneue Fischauktionshalle im Hafen an den Start. Die hochmoderne Anlage kostete 340.000 Euro und man ist stolz auf sie. Trotzdem, die Zahlen sinken stetig. Heute liegen zum Beispiel zehn Traineiras im Hafen, vor 25 Jahren waren es noch mehr als fünfmal so viel „Acabou“, ,,es ist zu Ende“, Eugénia, die energische Wortführerin der Netzflickerinnen, sieht für ihren Berufsstand schwarz. Für die atadeiras gibt es heutzutage selten mehr als ein bis zwei Monate Arbeit im Jahr, bei einer Tagesgage von 22,50 Euro kein Traumjob, um den sich junge Leute reißen. Kleinere Reparaturen erledigen die Netzflickerinnen direkt an Bord. Wenn in Schonzeiten die Boote zur Reparatur in die Werft kommen, werden auch die riesengroßen Fangnetze an Land generalüberholt. In der Ecke eines großen Lagerraumes türmt sich ein rostrotes Netz fast bis zur Decke, ein schier unüberschaubares Kuddelmuddel aus Schnüren, Bojenketten und Bleigewichten. Die Ringwadennetze, die hierzulande traditionell zum Sardinenfang eingesetzt werden, können an die 2.000 Meter lang sein und bis in eine Tiefe von 200 Metern reichen. In einer rostigen Tonne brodelt dampfend der dunkelrote Färbesud. Die Netze werden nach der Generalüberholung vollständig neu eingefärbt und selbst die Bleigewichte werden dann vom Netz gedröselt, neu gegossen, gebrannt und wieder aufgefädelt. Zehn bis zwölf geübte Netzflicker sind mit der Komplettreparatur so eines Fangnetzes etwa drei Wochen lang beschäftigt. Die Männer, die den Flickerinnen bei der Arbeit zur Hand gehen, gehören zur Besatzung des Schiffes, von dem das Netz stammt. Den Ton geben aber ganz klar die Frauen an. Ein lautloses Menuett in Filzpantoffeln. Wenn sich die Frauen und Männer in Reih und Glied schrittweise auf dem ausgebreiteten Netz vorwärts bewegen, wirkt es fast wie eine einstudierte Choreographie. In einer Hand das Messer, in der anderen die lange Nadel, wird jede Masche, jeder Zipfel des Netzes, gewissenhaft ins Visier genommen. Den geschulten Augen entgeht kein noch so kleiner Riss. Die Gruppe arbeitet hoch konzentriert. Ab und zu machen Scherze die Runde und es wird viel gelacht, eine eingeschworene Gemeinschaft. Routiniert flickt Eugénia kleinere Löcher oder ersetzt kunstfertig schadhafte Netzstellen mit einer makellosen Maschenkopie. Die Nadel, ein schmales Webschiffchen, gleitet pfeilschnell durch das Netz und man sieht, dass sie ihr Handwerk wirklich aus dem Effeff beherrscht. Als sie anfing, war sie gerade mal zehn Jahre alt. Damals, Anfang der 50er Jahre, arbeiteten in Peniche hunderte von Kindern an den Netzen. Das Leben in der bescheidenen Fischersiedlung war für alle entbehrungsreich, erst nach der Nelkenrevolution 1974 ging es für das Städtchen und die Fischer etwas bergauf. Die neu gegründeten Fischerei-Kooperativen gaben Arbeit und kümmerten sich um ein wenig soziale Absicherung. Eugénia war Gewerkschafterin der ersten Stunde und engagierte sich hier von Anfang an. Für ihren unermüdlichen Einsatz und ihr Lebenswerk wurde sie von der Stadt jüngst mit einer Ehrenmedaille ausgezeichnet. Heute gibt es keine Kooperativen mehr, vor etwa fünf Jahren mussten die letzten aufgeben. Die Netzflickerinnen denken gerne an die alten Zeiten zurück, als Freundschaften noch fürs Leben geschlossen wurden und man wie Pech und Schwefel zusammenhielt. ,,Das Fischerleben war immer arm, arm, aber fröhlich,“ schwelgt das Freundinnen-Trio in gemeinsamen Erinnerungen.
ESA 1/10