Archäologen entdeckten bei Boca do Rio, nahe Vila do Bispo, die Überreste einer Garum-Produktionsstätte und eines Hafens aus der Zeit zwischen dem 2. und 5. Jahrhundert nach Christus. Ein Projekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft will anhand dieser Fundstelle Licht auf das Wirtschaftssystem des Römischen Reichs werfen
Im Rahmen der monatlichen Vorträge des Archäologie-Vereins der Algarve, berichtete Florian Hermann von der Universität Marburg über die jüngsten Ergebnisse der Feldarbeiten bei der Ausgrabungsstätte in Boca do Rio, die er als wissenschaftlicher Mitarbeiter vor Ort betreut.
Seit 2017 erforschen dort Archäologen des Vorgeschichtlichen Seminars der Uni Marburg, gemeinsam mit Kollegen der Universität der Algarve, eine wichtige Produktionsstätte der im Römischen Reich beliebten Fischsoße Garum. Dabei handelte es sich um eine Mischung aus rohem Fisch, Gewürzpflanzen und einer Salzlake, die in offenen Becken monatelang der Sonne ausgesetzt war, so dass das Fischeiweiß durch die in den Eingeweiden enthaltenen Enzyme abgebaut wurde. Dieses Gemisch wurde dann ausgepresst und mehrfach gefiltert, bis man eine klare, bernsteinfarbene Flüssigkeit erhielt, die in der römischen Küche als Gewürz und Kochsoße eingesetzt wurde. Eine Art antike Fertigbrühe. Ein Jahr nach Beginn der Grabungen brachten die Archäologen einen der am besten erhaltenen römischen Häfen im Mittelmeerraum zutage. Doch sie waren nicht die ersten, die dort fündig wurden.
Der Tsunami der dem Seebeben von 1755 folgte, legte Teile der Ruinen bei Boca do Rio frei. Doch erst 1878 beschloss Estácio da Veiga dort archäologische Forschungen durchzuführen und entdeckte eine kunstvoll mit Mosaiken und Wandmalerei verzierte Villa direkt am Meer. Leider zerstörte das Meer mittlerweile etwa 70 Prozent dieser Überreste mit den dazu gehörigen Thermen. Etwa hundert Jahre später soll der damalige Direktor des Nationalmuseums in Lissabon die Forschungen wiederaufgenommen haben, um der Frage nachzugehen, woher die Grundlage für den dahinterstehenden Wohlstand gekommen sei. Damals wurden zwei kleine Becken für die Produktion von Garum ausgegraben. An diese archäologischen Vorarbeiten knüpften die der Uni Algarve unter der Leitung von João Pedro Bernardes und der Uni Marburg unter der Leitung von Prof. Dr. Felix Teichner an. Mit Hilfe moderner Methoden der Geoarchäologie, „durchleuchteten“ sie den Boden und stießen bei der anschließenden Grabung am Hang westlich der Flussmündung, die dem Ort den Namen verleiht, und nahe der von Estácio da Veiga entdeckten Villa, auf fünf etwa zwei Meter tiefe Becken, die eindeutig der Produktion von Garum dienten. Mehr als 30 Becken sollen zu der Anlage gehört haben, die somit eine weit überregionale Bedeutung im Römischen Reich hatte. Die Überreste des Hafens, von dem aus die Erzeugnisse in das gesamte Reich exportiert wurden und der heute versumpft und verlandet ist, bestehen aus einer zirka
40 Meter langen Kalksteinstruktur mit Vertäuungssteinen, einer Rampe und Zugangsstufen. Direkt dahinter befindet sich eine Reihe von Becken, die die bislang größten in der Algarve sind. Einige sind 4 x 2 Meter, andere sogar 4 x 4 Meter groß. Zudem entdeckten die Archäologen Spuren, die erschließen lassen, dass in ihren Ecken Säulen standen, die ein Dach trugen. Die Fundstätte in Boca do Rio weist daher einige Besonderheiten auf: Das Vorkommen mehrerer Produktionsstätten mit unterschiedlichen Dimensionen an einem Ort, die Überdachung der Becken sowie der direkte Zugang zu einem Hafen. Eine weitere Seltenheit war die Entdeckung von organischen Überresten im Sommer 2017: In einem Becken wurde eine graue Masse entdeckt, die zum Großteil aus Fischgräten bestand. Diese werden derzeit analysiert, um festzustellen welche Fischarten dort verarbeitet wurden.
In den letzten zwei Jahren wurde in Boca do Rio, in enger Zusammenarbeit mit Geowissenschaftlern aus Aachen und Köln, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Projekt „Vulnerabilität komplexer römischer Wirtschaftssysteme“ durchgeführt, das die Funktionsweise der römischen Hafennetzwerke untersucht.
Die wirtschaftliche Blüte der hispanischen Provinzen Roms basierte, neben den Gewinnen aus dem Bergbau, vor allem auf den maritimen Erzeugnissen, von denen das Garum zusammen mit gesalzenem Fisch hervorzuheben ist. Hochspezialisierte Betriebe fügten sich in komplexe Produktionsnetzwerke zusammen: Es gab Spezialisten für den Fischfang, die Konservierung der Fische und Herstellung von Garum sowie die Anfertigung von Tonamphoren, die dem Transport der Produkte dienten. Aber auch Salinen, in denen das Salz zum Salzen der Fische geschöpft wurde, waren nötig.
Dass die Südküste der Iberischen Halbinsel um die Meerenge von Gibraltar ein Hotspot dieser Produktionsanlagen war, steht fest; die Anlagen an sich sind ebenfalls gut erforscht und es konnte eindeutig festgestellt werden, dass es zwischen dem 2. und 3. Jahrhundert n. Ch. einen Einbruch in der Garum-Produktion gab, der zur Umstrukturierung von Betriebs- und Vertriebsstrukturen führte oder gar zur Aufgabe mancher Stätten. Die Ursache, die dazu führte, konnte jedoch bislang nicht fest-gestellt werden. Genau diese Frage versuchen die deutschen Archäologen anhand des Beispiels von Boca do Rio zu beantworten. Die derzeitige Hypothese lautet, und darauf fokussieren sich die Untersuchungen, dass regionale Umweltveränderungen oder Naturkatastrophen, wie etwa ein Tsunami oder eine größere Flutwelle, dazu führten.
Boca do Rio ist der ideale Ort für eine solche Untersuchung, da dieser unbebaute Küstenabschnitt landesweit als beste Stelle gilt, um die Folgen des Tsunamis im Jahr 1755 zu untersuchen. Ein Kilometer landeinwärts sind dort Sedimentablagerungen zu finden, die unter anderem Schalen von Meerstieren und Muscheln enthalten und die laut Geowissenschaftlern vom damaligen Tsunami verursacht wurden. Die geowissenschaftlichen Untersuchungen ergaben auch, dass die heutige Schwemmebene zu Zeiten der Römer komplett unter Wasser stand und der Ribeira de Budens, der heute ein kleiner Wasserlauf ist, damals ein bis weit ins Land befahrbarer Fluss war. Was also führte dazu, dass die Siedlung in Boca do Rio aufgegeben wurde? Darauf hoffen die deutschen Archäologen bald Antworten zu finden.
Text & Foto: Anabela Gaspar
Veröffentlicht in ESA 05/2019