Karstlandschaft mit Traumausblick
Der Rundweg auf dem Cerro da Cabeça ist gleichzeitig eine gemütliche Wanderung und ein kleines Kletterabenteuer. Umgeben von der typischen Macchie-Landschaft des Barrocal genießt man einen traumhaften Blick auf das umliegende Flachland und auf die Küste
Etwa zehn Kilometer nördlich von Faro und Olhão erstreckt sich parallel zur Küste die kleine Bergkette Serra de Monte Figo. Ihre höchste Erhebung ist mit 411 Meter der São Miguel-Gipfel, der dank der vielen Antennen aus der Ferne gut erkennbar ist. Sein nur 249 Meter hoher Nachbar Cerro da Cabeça kann sich, was die Höhe betrifft, weder mit ihm noch mit dem Fóia- (904 Meter) oder dem Picota-Gipfel (774 Meter) im Monchique-Gebirge messen, ist aber geologisch betrachtet in der gesamten Region unschlagbar. Die Karstlandschaft des Cerro da Cabeça ist mit ihren enormen Kluften und Einkerbungen in der Landschaft, in der Geologie ‚Karren‘ genannt, ein echter Traum für Geologen, aber auch für Natur- und Kletterfreunde.
Ein zirka sieben Kilometer langer Rundweg ermöglicht es, dieses geologische Paradies mit seinen unterirdischen Höhlen, die verschiedenen Fledermausarten als Unterschlupf dienen, zu entdecken und dabei einen eindrucksvollen Ausblick auf die Küste zu genießen.
Wir fahren über die A22, nehmen die Ausfahrt Moncarapacho/Olhão, dann die N 398 nach Moncarapacho, biegen links nach Moncarapacho Este/Fuseta ab, an der Ampel wieder links und sofort wieder links. Nach zwei Kilometern und kurz bevor die asphaltierte Straße endet, biegen wir links in eine Toreinfahrt ab (das Grundstück ist nicht privat) und parken. Sofort werden Catrin George, die mich heute begleitet, und ich herzlich von vier kleinen Vierbeinern begrüßt. Wir folgen dem mittleren Weg und nehmen zirka 150 Meter später bei der Weggabelung den von Leitungsmasten begleiteten Schotterweg nach rechts. Hoch oben auf dem Gipfel sehen wir einen gelben Turm und das rosa Gebäude des Aussichtspunktes. Doch bis wir dort ankommen, wird es noch ein wenig dauern. Nach weiteren 250 Metern kommen wir erneut an eine Gabelung, die gleichzeitig Start und Ziel der heutigen Wanderung ist, und beginnen den Aufstieg auf dem Weg nach rechts. Ab dieser Stelle ist die Route durch gelbe Markierungen an Steinen gekennzeichnet. Hier und da ist der Weg gepflastert und wir rätseln, ob es sich um Reste einer ehemaligen Via Romana handelt. Um uns herum wird die Landschaft von Macchie beherrscht. Am Wegesrand wachsen vor allem Mastixsträucher und Lackzistrosen. Vereinzelt sind auch Eichen zu sehen. Unsere vierbeinige Begleiter, die scheinbar beschlossen haben den Ausflug mit uns zu unternehmen, verschwinden immer wieder laut bellend in den Büschen, um kurz darauf einige Meter weiter vorne wieder aufzutauchen. Nur der Jüngste folgt uns auf Tritt und Schritt und scheint etwas verängstigt, wenn seine Freunde außer Sichtweite sind.
Nach 1,3 Km biegt der markierte Weg scharf nach links ab und es geht leicht aufwärts weiter. Wir kommen an große Kakteen der Art Opuntia ficus-indica, die schon einige reife Kaktusfeigen tragen, trauen uns aber nicht eine zu kosten, da wir nichts dabei haben, um unsere Finger vor den feinen, aber sehr harten Dornen zu schützen. Zwischen den in der Algarve meist piteira oder figueira tuna genannten Kakteen wachsen Zwergpalmen, deren getrocknete Blätter für das traditionelle Flecht-Kunsthandwerk empreita verwendet werden. Links von uns eröffnet sich der Blick über das gesamte Flachland bis hin zur Küste.
Nachdem wir an einem alten Kalkbrennofen vorbeigelaufen sind, kommen wir zu einer Gabelung, auf deren Boden ein glatter Kalkstein mit einer gelben Markierung den Weg weist. Links geht es bergab zum Aussichtspunkt und weiter bis zum Ziel, rechts geht es durch einen schmalen, dicht bewachsenen Pfad weiter bergauf und schließlich mit etwas Kletterei über den Karst bis zum Gipfel. Hier sollten weiße und grüne Markierungen den Weg angeben, wir sehen sie jedoch nicht und folgen den Steinmännchen, die in Portugal mariolas genannt werden. Unseren kleinsten Begleiter müssen wir ab und zu tragen, da einige der Felsen für ihn zu hoch sind und wir Angst haben, dass er in eine der vielen tiefen Karren fallen könnte. Für uns stellen die Felsen, die überall um uns herum aus dem Boden ragen, jedoch kein Hindernis dar. Selbst mit Hund in einer Hand und Kamera in der anderen, schaffen wir es, uns von Felsen zu Felsen und über die breitspaltigen Gesteinsrinnen zu balancieren. Ein kleines Kletterabenteuer, das unseren Ausflug um einiges interessanter macht.
An der geodätischen Säule am Gipfel angekommen, sind wir sprachlos über die beeindruckende Karstlandschaft und dem atemberaubenden 360-Grad-Blick. Im Osten reicht der Blick bis Vila Real de Santo António, vor uns erstreckt sich der weite Atlantik und die Ria Formosa, deren Lagunen vor allem vor Fuseta gut erkennbar sind. Im Westen sehen wir bis Faro, nordwestlich den mastgekrönten São Miguel-Gipfel und im Norden die Karbonatgestein-Hügel. Um uns herum sind unterschiedliche Felsformationen zu sehen. Einige bilden kleine Türme oder Blöcke, andere sind konisch geformt. Diese Karstlandschaft ist für Geologen ein so besonderer Ort, dass sie den Cerro da Cabeça als ein wahres Geo-Denkmal bezeichnen. Doch nicht nur das, was hier an der Oberfläche zu sehen ist, ist besonders. Die Verkarstung der Karbonatgesteine führte zu einer Vielzahl von unterirdischen Höhlen. Tatsächlich ist der Cerro da Cabeça der Bereich in der Algarve, der am meisten Höhlen aufweist. Hier befinden sich auch die beiden tiefsten Dolinen der Region: der Algar Maxila und der Algar Medusa mit 95 beziehungsweise 78 Metern Tiefe. Ein Traum für Höhlenforscher und für Anhänger des Boulderns, des Sportkletterns ohne Kletterseil und -gurt an Felsblöcken in Absprunghöhe.
In Verbindung mit diesen Höhlen gibt es auch einige Legenden. Eine der schönsten und interessantesten ist vielleicht die von „O Arraúl“. Arraúl soll ein ungewöhnlich tapferer junger Mann gewesen sein, dessen Namen in Sanskrit „der, der Gutes tut“ bedeutet. Dies passt zu Arraúl, da er derjenige gewesen sein soll, der zum Schutz der Algarve die Sanddünen der Ria Formosa schuf. Laut der Legende war Arraúl der 20. Sohn des Hauptwächters der Säulen des Herakles von Atlantis und der einzige Überlebende, nachdem dieses Inselreich unterging, denn schon damals bestraften die Götter die Sterblichen, wenn diese zu übermutig und stolz wurden. Arraúl wurde von den Wellen auf das weite Meer getrieben und dort von einem Wal verschluckt. Durch den hohen Wellengang wurde es dem Wal jedoch schlecht und er spuckte Arraúl lebend wieder aus. Schließlich wurde Arraúl durch die Strömung an Land getrieben und er erreichte das Festland am Sítio das Prainhas, nahe dem heutigen Olhão. Der junge Mann war sofort von der schönen Landschaft beeindruckt und aus Angst, dass auch dieses Reich untergehen könnte, beschloss er die Küste vor dem Meer zu schützen. Dafür soll er einen viereckigen Karren mit viereckigen Rädern gebaut haben – denn er liebte alles, was viereckig war – und beförderte damit Steine und Erde vom Cerro da Cabeça zur Küste, wo er die Sandinseln von Fuseta, Armona und Culatra baute. Die Strömung trug den Sand weiter nach Osten und Westen und so entstand die Ria Formosa, wie wir sie heute kennen. Der Cerro da Cabeça soll davor höher als der Cerro de S. Miguel gewesen sein, doch Arraúl hat so viel Erde und Steine abgetragen, dass er heute viel kleiner ist. Arraúl soll es auch zu verdanken sein, dass die Grundstücke bei Sítio dos Murtais und Alfandanga so fruchtbar sind, da er während seiner Reisen zwischen Berg und Küste Erde verlor. Hier soll er lange und vom Meer gelebt haben. Sardinen waren angeblich sein Lieblingsgericht und er soll so stark gewesen sein, dass er mit einer Hand ein Schiff samt Besatzung heben konnte. Arraúl wollte ebenfalls eine Straße über den Ozean bauen, von der Algarve bis dorthin, wo das sagenhafte Atlantis einst gewesen sein soll. Doch zuerst wollte er eine unterirdische Stadt im Cerro da Cabeça bauen, für die er die Höhlen, die er während seiner Ausgrabungen geschaffen hatte, benutzen wollte. Einige sagen, dass Arraúl sich in dem unterirdischen Labyrinth verirrte, andere, dass er bei einem Felseinsturz gestorben ist. Was auch immer geschah, Arraúl wurde nie wieder gesehen. Von ihm blieb nur diese Legende und die wunderschöne und einzigartige Ria Formosa!
Nach einer kleinen Stärkung – unsere Begleiter nutzten die Zeit auch für ein Nickerchen – gehen wir auf demselben Weg zurück zur Gabelung und folgen dem Pfad bergab. Kurz darauf erreichen wir den Miradouro samt kleinem Aussichtsturm. Beide Bauten sind ziemlich unansehnlich und passen ganz und gar nicht in die Landschaft. Dies scheint, angesichts der gelben und rosa Wände, auch nicht das Ziel der zuständigen Architekten gewesen zu sein. Noch dazu sind die Bauten nicht einmal nötig, um die Aussicht genießen zu können. Sie sind nun vollkommen dem Verfall überlassen. Obwohl der Aussichts-turm nicht sehr vertrauenserweckend aussieht, trauen wir uns die Stufen hinauf. Erfreulich ist hingegen die Treppe, die die Tourismusbehörde von hier bis zum Fuße des Hügels gebaut hat und die unseren Abstieg um einiges leichter und schneller macht. Wer jedoch den Rundweg in entgegengesetzter Richtung startet, dürfte wenig Freude an den vielen Stufen gleich zu Beginn der Wanderung haben. 700 Meter später erreichen wir dann einen weiteren bedauerlichen Bau der Tourismusbehörde: Das, was links vom Schotterweg wie die Reste einer alten Mine aussieht, ist der traurige Versuch der Behörden, die Höhle Gruta da Senhora dem Publikum zugänglich zu machen, was zu ihrer Zerstörung führte. Nach weiteren 400 Metern erreichen wir unseren Ausgangspunkt, verabschieden uns von unseren netten vierbeinigen Begleitern und kehren zufrieden nach Hause zurück.
Text und Foto: Anabela Gaspar
In ESA 03/16