Still ruht der See Tapada Grande
Der Waldsee Tapada Grande lockt zwischen Juni und September zu Badevergnügen und im Frühling und Herbst zu ausgedehnten Wandertouren durch Wald und Flur auf Schmugglerpfaden und zu Industriedenkmälern ehemaliger Schwefelkiesminen
Text und Fotos: Catrin George Ponciano
Unvergesslich idyllisch ist das flüssige Kleinod Tapada Grande am frühen Morgen. Über den tintendunklen See beugt sich der kobaltblaue Himmelsbogen. Das Laub hochgewachsener Pappeln, Weiden und Eukalypten singt im Gleichklang mit dem allmorgendlich auffrischenden Wind sein raschelndes Lied. Ungestüm kräuseln Wellen sich in Schlangenlinien durch das erquickende Nass. Es ist sieben Uhr. Die Tapada Grande ruht. Noch.
Doch kaum legt sich die erfrischend kühle Brise, die die heiße Luft vom Vortag im Morgengrauen Richtung Süden, Richtung Atlantik und Algarve treibt, zirpen Grillen im Chor mit Spatzen und Drosseln, und zwitschern den neuen sengend heißen Sommertag willkommen. Das Dorf São Domingos und sein See erwachen.
Die Kirche des heiligen Domingos mit ihren runden Kontrafortes, die sich pyramidenförmig abgerundet über das Dach emporrecken, erhebt sich auf dem Hügel der kleinen Ortschaft an der Nationalstraße N 265 zwischen Mértola und Serpa am östlichen Vale do Guadiana Naturpark. An dem Mini-Supermarkt gegenüber der Poststation begegnen sich Frühaufsteher aus der Nachbarschaft mit fröhlichem „bom dia“ und kaufen frisch gebackenes warmes Holzofenbrot für die erste Brotzeit des Tages. Den Duft nach Hefe treibt der eilige Wind durch die verschlafen wirkenden engen Häuserdurchlässe. Fenster und Türen der ebenerdig gebauten eng aneinander gedrängten Häuser, die sich in Reih und Glied an den Hügelhang schmiegen, öffnen sich. Kindergelächter, Stimmen, Radiomusik lösen die morgendliche Ruhe auf.
Gerade schlägt die Kirchturmglocke acht Uhr, schon laufen einige Dorfbewohner oder Wochenendausflügler, die in einem der Dorfhäuschen, umgebaut zur Ferienvermietung, im Hotel oder im Haus der Familie residieren, sommerlich luftig mit Badeanzug bekleidet, Sonnenschirm und Handtuch unter den Arm geklemmt, über die Hauptstraße den Stich am Kiosk hinab, zum größten, künstlich angelegten Strandsee in Portugal, zum Praia Fluvial da Tapada Grande. Um diese Uhrzeit einen Liegeplatz im Schatten zu ergattern, ist einfach. Als erste werden die Plätze im Sand unter den Reet-Sonnenschirmen im konzessionierten Strandbereich okkupiert, danach die umliegenden Ufer mit Rasen und unter Bäumen, zum Schluss die weiter entfernt liegenden Ufer rund um den südöstlichen Teil des Sees, der den Badegästen ebenso vollständig zur Verfügung steht.
Der Kiosk öffnet seine Pforten gegen neun Uhr und versorgt die Badegäste, die über den Tag verteilt mehr werden, mit Erfrischungen, Eis, Kaltgetränken und Snacks. Die sanitären Anlagen, sowie alle anderen öffentlichen Nutzungsbereiche entsprechen den derzeitig gesundheitlichen vorgeschriebenen Covid-19 Vorbeugungsauflagen. Bitte Abstand halten. Desinfektionsgel und ein Richtungsleitsystem zum und vom Strand helfen, das Badevergnügen konform des portugiesischen Gütesiegels „clean & safe“, ausgelassen zu genießen. Am Strand, ausgezeichnet mit blauer Flagge und Goldplakette für Wasserqualität und Sicherheit, und über die umliegenden Ufer, wachen Strandwächter und Rettungsschwimmer.
Hinein in den Waldsee watet man ein Stück durch Lehm, das Ufer fällt unter die Wasseroberfläche seicht ab. Das Wasser umfängt die Badenden sonnenerwärmt, erst wer sich ein Stück hinauswagt, aus dem mit Bojen abgetrennten Sicherheitsbereich für Kinder und weniger gute Schwimmer, erreicht tieferes Wasser mit kühleren Temperaturen. Die Insel vor dem Strandufer gelegen erreicht man spielend.
Ausgewiesene Parkplätze sorgen für bequemes Parken am Seeufer, den Rest geht man zu Fuß. Der Waldboden ist tiptop aufgeräumt. Unterholz oder trockene Wildgrasbüschel werden regelmäßig entfernt, um der Brandgefahr vorzubeugen. Genügend Abfalleimer und Container sorgen für sauberes Ambiente. Ein Mitarbeiter sammelt ein, was trotzdem liegen bleibt. Tische und Bänke, an mehreren Stellen verteilt aufgestellt, laden ein zu geselligem Beisammensein und oberhalb am Strand ein Grillplatz für zünftiges Barbecue.
Wem es am See zu voll wird, oder wer lieber für den kommenden Herbst einen Ausflug in das pittoreske Dörfchen plant, geht spazieren – und wandern. Die Grande Rota do Guadiana kreuzt sich am Südufer mit zwei ausgeschilderten Wanderwegen. Einer führt die Besucher zurück in die Vergangenheit des Dorfes, das seinen bescheidenen Wohlstand den einst in großen Mengen vorhandenen Bodenschätzen verdankt; ein zweiter Rundweg, leitet die Wanderer auf Schmugglerpfade durch die Gegend bis zur einen Steinwurf entfernten Grenze nach Spanien.
Die Minen-Route Rota do Minério ist ein Weg der Kontraste. Einerseits umgarnt unberührte Natur mit seltenen Pflanzen und Vogelarten alle Sinne, andererseits erschreckt die bizarr geschlagene Wunde des Über- und Untertageabbaus in den einst reich bestückten Boden das Auge des Betrachters. Siebzehn Kilometer wechseln sich Industriedenkmäler und Ruinen mit Naturschauspiel ab. Der Weg führt vom südlichen Ortsrand São Domingos´ zum ehemaligen Erzhafen in Pomarão, dem ältesten Flusshafen im unteren Alentejo am Rio Guadiana. Einhundert Meter dahinter begrüßt bereits das Schild ESPANHA Reisende jenseits der grünen Grenze auf spanischem Territorium.
Entlang der Wanderstrecke entdeckt man Ruinen alter Verwaltungsgebäude sowie Lagerhallen, stillgelegte Förderkräne, frühere Essen und Hochöfen, versperrte Eingänge in alte Stolle, sowie an mehreren Stellen, kontaminierte Kiesseen, deren Ufer die geologische Vielfalt des südiberischen Pyritgürtels Faixa Piritosa Ibérica in diesem Teil des Alentejo sichtbar machen. Die Rota do Minério folgt dem ehemaligen Schienenstrang, auf dem Loren den Schwefelkies und das Katzengold in den Minen aufgeladen bis nach Pomarão zum Erzhafen transportiert haben. Bis 1966, bis die britische Betreibergesellschaft Mason & Barry ihre Schürfrechte verlor, Insolvenz angemeldet hat, die Minen stillgelegt wurden und über 1.000 Minenarbeiter arbeitslos wurden. Im Zuge dessen verwaiste der Ort, die Bewohner zogen auf Arbeitssuche fort. Mina de São Domingos wurde erst nach regionaler Intervention seitens der Stadtväter und Bürger im Landkreis Mértola, im Jahre 2013 als nationales Interessenprojekt eingestuft und entsprechend infrastrukturell restauriert. Ein Minen-Museum, diverse Genossenschaftshäuser, die sogenannte „englische Nachbarschaft“ mit Park und englischem Friedhof, separiert vom Dorfkern, laden zu Erkundungstouren ein, kleine Kneipen zur Pause und zum Verweilen.
Die Schmugglerstrecke entführt auf gefährlichen Abwegen der Contrabandistas in die Diktaturepoche in Portugal und Spanien unter Salazar und Franco. Alles was auf dem Schwarzmarkt gehandelt oder getauscht werden konnte, trugen die gewitzten Schmuggler in dunklen Nächten im Schein einer Taschenlampe über geheime Pfade von drüben oder nach drüben. Mehl, Eier, Speck, Tabak, Alkohol, Handwerkszeug. Kilometerweit schlichen sie im Schutz der Nacht über Hügel und Felder zu heimlichen Treffpunkten mit Gleichgesinnten, handelten und tauschten was das Zeug hielt, stets auf der Hut nicht von der Geheimpolizei erwischt zu werden. Nach 16 Kilometern erreicht man den Dorf-flecken Santana de Cambas und das lokale Schmuggler-museum Museu do Contrabando.
Ein Besuch in Mina de São Domingos lohnt zu jeder Jahreszeit. Im Hochsommer sind Wanderungen jedoch bloß frühmorgens empfehlenswert, ausgestattet mit genügend Trinkwasser, Sonnenschutz und Kopfbedeckung. Aber selbst ein spontaner gemächlicher Spaziergang am Industriedenkmal im Ort vorbei zum ehemaligen Schwefelkieswerk mit Erzstollen, vermittelt auf Schritt und Tritt nachhaltige Eindrücke der überall präsenten Gegensätze des Dorfes – und der Region. Auf der einen Seite der Nationalstraße N 265 Waldseeidylle, auf der anderen ausgebeuteter Boden und kontaminierte Natur. Irgendwo dazwischen, der Mensch.
In ESA 08/2020