BOOTSAUSFLUG
Silves Bürgermeisterin Isabel Soares hatte mich ungläubig angeschaut, als ich ihr offenbarte, nie einen Bootsausflug auf dem Rio Arade bis Silves unternommen zu haben. Das müsste jeder Algarve-Bewohner mindestens einmal im Leben machen, sagte sie. Als sie den Fluss dann mit den norwegischen Fjorden verglich, und sogar meinte, der Arade sei viel schöner, hatte sie endgültig meine Neugier geweckt. Der Vergleich mit den Fjorden mag etwas übertrieben sein, aber die Bürgermeisterin hat recht: Der Bootsausflug auf dem Arade ist nicht nur etwas für Touristen. Er ermöglicht auch Residenten, die Gegend aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wir treffen uns mit João Venâncio um 11.30 Uhr beim Kai direkt neben dem Clube Naval de Portimão. Sein Boot Barca do Arade ist kaum übersehbar. Er hat es nach Angaben des Museums der Marine nachbauen lassen. So sollen die Boote, die im 16. Jahrhundert auf den Gewässern des Arade glitten, ausgesehen haben. Damals herrschte noch reger Verkehr auf dem Fluss. Silves war eine große Stadt, die nicht nur nötige Lebensmittel und Produkte einschiffen ließ, sondern auch die eigene Produktion per Schiff exportierte. Seit einigen Jahren ist der Arade jedoch für große Schiffe nicht mehr befahrbar. Ausbaggerungen sind dringend nötig. Doch seit Jahren warten die Bürgermeisterin, sowie alle Bewohner der Region vergebens auf die Genehmigung und Gelder aus Lissabon, um die Arbeiten durchführen zu können. João Venâncio bietet die Bootsausflüge auf dem Arade seit 22 Jahren an. Seine Familie hat sich vor über 300 Jahren in der Gegend von Portimão angesiedelt. Sein Vater war Fischer. Auch er war früher beim Sardinenfang tätig. Später hatte er sein eigenes Schleppboot, mit dem er Meeresfrüchte fing. Doch als der Fischfang nicht mehr lukrativ war, widmete er sich ausschließlich den Bootsausflügen. ,,Seit Jahrhunderten ernährt dieser Fluss meine Familie. Früher lebten die Fischer hier vom Fischfang aus dem Fluss. So auch mein Vater. Heute entnehme ich dem Arade zwar nicht direkt die Fische, aber durch ihn verdiene ich das Geld, mit dem ich Fische zum Essen kaufe“, sagt er lächelnd und fügt hinzu, dass ihm der ,,Arade in den Adern fließt“. Auch er wünscht sich, dass der Fluss ausgebaggert wird, damit er nicht von den Tiden abhängig ist. Einst hat ihm sogar der ehemaliger Staatschef von Portugal, Jorge Sampaio, versprochen, dass er sich persönlich dafür einsetzen würde. ,,Ich habe es schriftlich in meinem Gästebuch. Aber ich warte immer noch darauf.“ Langsam nähern wir uns der neuen Brücke über den Arade. Bald werden wir die Hochhäuser von Portimão nicht mehr sehen. Erster Stopp ist gleich hinter der Brücke. Im Felsen Rocha de Garcia haben die Bewohner von Mexilhoeira da Carregação ein Bild vom Heiligen António aufgehängt. Er soll die Fischer schützen. Früher stand dort eine Statuette. Nachdem diese gestohlen wurde, haben die Fischer lediglich das Kachelbild aufgehängt. Bis heute gehen die Fischer von Mexilhoeira da Carregação, Ferragudo und Portimão dorthin, um Gelübde abzulegen. Das Kreuz, das auch dort steht, hat ein schwer erkrankter Fischer angebracht, der dem Schutzpatron versprochen hatte, ihm zu Ehren ein Kreuz aufzustellen, würde er ihn heilen. Sein Gesundheitszustand verbesserte sich und der Fischer hielt sein Versprechen. Venâncio erklärt uns auch, dass die Steine, die an der Flussmündung bei Portimão und Ferragudo als Wellenbrecher dienen, von hier stammen, aus einem Areal direkt hinter der Felswand, an der das Bild des Heiligen angebracht ist. Die Steine wurden von dort mit Schiffen bis zur Mündung gebracht. Die Fahrt geht weiter. Der Fluss ist ruhig. Die Landschaft ist still. Außer dem Motor des Bootes vernimmt man keine weiteren Geräusche. Auch zu dieser Jahreszeit sind die Flussufer und die umliegenden Felder und Hügel grün. Alles lädt zur Entspannung ein. Wir kommen an eine breite Stelle des Arade, hier ist in der Mitte des Flusses eine kleine Insel: Nossa Senhora do Rosário. Früher stand an dieser Stelle eine Wallfahrtskirche, die gleichzeitig als Leuchtturm diente. Die Insel ist auch ein Grenzpunkt der Bezirke Lagoa, Silves und Portimão. Oft kam es hier zu Rivalitäten zwischen den Bewohnern. Nach einem dieser Kämpfe sollen Männer aus Ferragudo die Statuette der schwarzen Nossa Senhora do Rosário, die in der Kapelle war, gestohlen haben. Fakt ist, dass sie heute in der Kirche von Ferragudo steht. In der Ferne ist bereits die Burg von Silves zu erkennen. Der Fluss wird schmaler. Vögel sehen wir hier keine, mit Ausnahme einer Storchenfamilie. Dafür aber Dutzende Schildkröten, die sich an den Ufern sonnen. Und natürlich die Orangenhaine, welche die Landschaft von Silves prägen. Nach einigen Biegungen sind wir an unserem Ziel. Sicher und gezielt manövriert Venâncio das Boot zur Anlegestelle. Eineinhalb Stunden Zeit lässt er seinen Gästen, um Silves zu Fuß zu erkunden. ,,Länger geht es leider nicht, sonst können wir nicht zurück fahren“, erklärt er. Zum Mittagessen und die Stadt zu besichtigen, reicht die Zeit nicht aus. Deshalb rät er den Gästen etwas zum Essen mitzunehmen. Zu besichtigen gibt es die hoch über dem Häusermeer ragende Burganlage, die direkt daneben liegende Kathedrale oder das Archäologie-Museum. Außer der arabischen Burg erinnert nichts mehr an die Hochblüte dieser Stadt, die 713 von den Mauren erobert wurde und zur Hauptstadt der Provinz al-Gharb heranwuchs. Kaum eine andere Stadt im Umkreis kann auf solch eine bedeutende Geschichte zurück blicken. Für Archäologen ist Silves ein Traum: egal wo gebuddelt wird, man stößt auf historische Funde. Früher hat Venâncio selbst seine Gäste durch die historischen Gassen geführt. ,,Doch da die Hälfte der Besucher während der Führung sich selbstständig machte, habe ich eingesehen, dass sie lieber auf eigene Faust die Stadt entdecken wollten.“ Seitdem lässt er es. Doch seiner Ansicht nach sollte jemand im Auftrag der Tourismusbehörde oder der Stadt am Kai die Besucher willkommen heißen und ihnen die Sehenswürdigkeiten von Silves zeigen. ,,Würden wir die Sachen richtig machen, müssten wir nicht in Brüssel betteln“, sagt er. ,,Der Tourismus ist alles, was uns bleibt; alles andere wurde zerstört. Wenn wir Qualität bieten, die Touristen gut behandelt werden und sich wohl fühlen, kommen sie immer wieder.“ Bei einem lustigen Mittagessen verrät uns Venâncio noch viel mehr über seine politischen und wirtschaftlichen Ansichten. Dann geht es zurück nach Portimão. Aus dem alten Kassettenrekorder dröhnt portugiesische Volksmusik. Doch Venâncio will, wie er sagt, seine Anlage modernisieren. Er ist gerade dabei, alle Informationen, die er uns vermittelt hat, auf Deutsch und Englisch auf CD aufnehmen zu lassen, um sie später während der Bootsfahrt abzuspielen. ,,Die Reise soll so angenehm und interessant wie möglich sein. Ich bin stolz auf die Geschichte unserer Region und will sie gerne anderen weiter erzählen“, erklärt der von der Sonne braun gebrannte Mann, der stets lächelt und ohne Zweifel viel zu sagen hat und vieles weiß.
Anabela Gaspar