Die Rettungsstation von Fuzeta
Wind und Watt
Ein etwas besonderer Segel-Törn in der Ria Formosa, einem der sieben Naturwunder Portugals
Die Tatsache, dass die Algarve ein bevorzugtes Segelrevier ist, davon zeugen die unzähligen Yachten in den Marinas von Lagos, Portimão, Vilamoura, Faro, Olhão und Vila Real. Natürlich macht es Spaß draußen auf See zu kreuzen und entlang der spektakulären Felsenküste zu gleiten. Dazu muss man kein Kapitänspatent besitzen. Um in den diffizilen Gewässern der Ria Formosa zu segeln, bedarf es neben Kenntnisse von Tiden und Strömungen natürlich auch das passende Boot und einen erfahrenen Skipper. Carlos Pires ist so einer. Der portugiesische Ingenieur lebt seit Generationen mit seiner Familie in Arroteia und verbringt viel Zeit mit seiner Geliebten Lissi einer Lis-Jolle, die sich hervorragend für Törns in kniffligen Binnenrevieren eignet. An einem leicht diesigen Samstagmittag im Oktober steige ich zu ihm ins Cockpit. Carlos drückt mir gleich die Vorschot in die Hand und nimmt Kurs auf Richtung Fuseta. ,,Ich zeige dir heute das wahre Gesicht der Ria. Es ist nicht immer so attraktiv, wie es die Hochglanzbroschüren der Tourismusindustrie zeigen.“ Bei einer frischen Brise von 3 bis 4 Beaufort aus Westnordwest kreuzen wir hoch am Wind in den schmalen Gezeitenkanälen vorbei an der blaugelben ehemaligen Rettungsstation, eine auffallende Landmarke und Walhalla Fusetas, die obwohl ungenutzt vor sich hin gammelnd selbst von den omnipräsenten Graffiti-Künstlern respektvoll verschont bleibt. Der Canal de Olhão öffnet sich in ein weites seichtes Lagunenbecken. Es ist Ebbe, und Carlos hat das Kielschwert fast vollständig aufgeholt, um die Gefahr auf Grund zu laufen zu reduzieren. Hinter Bias do Sul mit seiner einigermaßen erträglichen Urbanisation befindet sich die Ruine einer großen Gezeitenmühle, von denen es hier früher Dutzende gab. Ein Schicksal, das der weit sichtbaren, liebevoll restaurierten Mühle der Quinta de Marim, die bis 1970 in Betrieb war, erspart blieb. Wir machen einen Schlag nach Süden und wenig später schiebt sich Lissis schlanker Bug in den braunnassen Sand von Culatra. Die Saison ist vorbei, jetzt herrscht Ruhe in dem Fischerdorf. Die Einheimischen sind unter sich, pflegen ihre üppig-bunten Gärten und die Kunst der Konversation in den Cafés am Pier. Der nahezu menschenleere, von Salzmelden, Strandhafer und Disteln geprägte endlos lange Sandstrand wird in den nächsten Monaten das lusitanische Licht und die prächtigen Sonnenuntergänge alleine genießen können. Bevor die Ebbe ihren Tiefststand erreicht, brechen wir auf und laufen mit glucksendem Kiel und breit ausladenden Segeln gemächlich vor dem Wind in das mit Bojen und Besen markierte Fahrwasser hinter den Barren. Angler und Krabben winken, Muschelsammler unterbrechen die Suche nach Herzmuscheln, Purpurschnecken und Austern und dehnen ihre verspannten Rückenmuskulatur. Graureiher und Störche staksen durch den dunkelgrauen Schlick der Uferzonen. Am fahlblauen Himmel ziehen Flamingos und Flugzeuge ihre Bahn nach Osten. ,,Das Beste kommt wie immer zum Schluss,“ schmunzelt Carlos, lässt das Großsegel durchrauschen wickelt die Genua (Vorsegel) auf und wirft den Klappanker ins knietiefe Wasser. Wir befinden uns direkt neben dem Bootsanleger der Ilha da Armona. ,,Die Einheimischen nennen dieses Beispiel sinnloser Umweltzerstörung bereits Novo Dhubai“, erklärt der Ingenieur mit unterdrückter Wut, ,,hier werden 4,5 Millionen EUSubvension förmlich in den Sand gesetzt. Die Insel soll eine schönere Kontur und eine neue Passage für die Fischer aus Fuseta erhalten, die der nächste starke Sturm und Gezeitenströmungen innerhalb kürzester Zeit wieder dicht machen werden. Wie heftig die Natur reagieren kann, haben wir ja erst letzten Winter erlebt, als die illegal gebauten Häuser und Buden bei Sturm und Springflut im Meer versanken.“ Wir ignorieren Bauschilder und provisorische Abzäunung und schauen uns das Ganze näher an. ,,Diese Muldenkipper hier“, er deutet auf zwei verstaubte gelbe Volvo-Trucks, ,,sind ihnen bereits verreckt. Motorschaden! Kaputt!“ Ein riesiger Löffelbagger belädt einen der übrigen Muldenkipper, die den abgeräumten Sand an anderer Stelle abkippen. Das, was einmal ein über Jahrhunderte gewachsenes sensibles Naturreservat, ein einmaliges artenreiches Habitat für seltene Pflanzen- und Tierarten war, ist jetzt ein von Baggern, Bulldozern und planlos aufgetürmter Sandhaufen verwüstetes Brachland, wo das Unterste nach oben gebuddelt wird. ,,Die Insel war bekannt für ihre Fauna und Flora und gleichermaßen beliebt bei Einheimischen und Touristen. Glaubst du, dass in der kommenden Saison einer seinen Urlaub auf dieser platt gewalzten Wüsteninsel verbringen wird? Wohl kaum.“ Und während Hundehalter an Fusetas Uferpromenade ihre Lieblinge Gassi führen, Fischer ihre ramponierten Netze flicken und Müßiggänger in den kleinen Tavernen und Strand-Bars Sagres oder Galão schlürfen, trägt uns die Lis-Jolle durch das Labyrinth der Priele, Sand- und Schlammbänke zurück nach Arroteia. Um sich im warmen Muschelkies ihres Heimathafens gemütlich trocken fallen zu lassen, dazu reicht es heute nicht ganz. Es fehlt die ,,handbreit“ Wasser unterm Kiel, und Lissi muss eine halbe Seemeile vom Ufer entfernt geduldig am Anker verharren, bis einer der bei Flut heimkommenden Fischer sie zu ihrem angestammten Liegeplatz schleppt. ,,Für diese Form der Nachbarschaftshilfe gibt es später im Café einen RiaMix, Bier und selbst gebrannten Medronho.“ Inzwischen wurden die Bauarbeiten auf der Ilha da Armona eingestellt. ESA wird weiter über diese ungewöhnliche Inselbaustelle berichten.
Bernd Keiner
ESA 12/10