Der Weg ist das Ziel
Pulo do Lobo. Wo der Rio Guadiana in einem gewaltigen Felsloch verschwindet
Reiseeindrücke, verfasst und fotografiert von ROLF OSANG
Tage gibt es, an die man sich Jahre später noch erinnert. Heute ist so einer. Auf der Via do Infante rolle ich gen Osten. Im Süden glänzt silbrig die Ria Formosa, und landeinwärts ziehen Hügel an mir vorbei. In der ersten Novemberwoche hat es kräftig geregnet, geschüttet hat es, und nun wirken die sanft gerundeten Hügel und Kuppen der Küstenregion, als wären sie randvoll mit Wasser gefüllt. Strotzen tun sie vor lauter Lebenskraft, aus den Bäumen und aus einem grünen Flaum an Gräsern sprießt und drängt die Kraft mit Lust. Schon zeigen sich die ersten blassgelben Blütenteppiche. In Mitteleuropa zieht sich die Natur in den Wintermonaten zurück; sie schlummert. Hier in der Algarve aber, von Sonne und Wasser belebt, wacht sie soeben wieder auf. Ich sehe es den Gesichtern der Menschen an, denen ich unterwegs begegne: Diese Welt und ihre Neugeburt macht einen unwillkürlich glücklich. Von solchen Gedanken und Eindrücken getragen, nähere ich mich dem Rio Guadiana.
Der Grenzfluss zwischen Portugal und Spanien ist der zweitlängste Strom der Iberischen Halbinsel. Er entspringt bei Cuenca südöstlich von Madrid und zieht westwärts, bis er bei der römischen Stadt Mérida in einer weiten Schleife südwärts fließt und im Bereich der Algarve zum Grenzfluss der iberischen Länder wird. Ein behäbiger Fluss, nicht so reißend wie der Rio Douro, nicht so lieblich wie der Rio Tejo, sondern einer, der sich durch ein heißes Land wälzt, durch weite Ebenen mit Weideland und unendlichen Olivenhainen. Vor der Brücke nach Ayamonte verlasse ich die Autobahn an der Ausfahrt Vila Real de Santo António und fahre auf der IC 27 in Richtung Norden weiter. In der Nähe ragt der Burgberg von Castro Marim auf. Einst war diese Burg der Hauptsitz der Ritter des Christusordens, der Templer. Im Mittelalter wurden sie durch einen päpstlichen Bann geächtet. Man warf ihnen sexuelle Vergehen und das Betreiben alchemistischer Versuche vor. Schlauer als seine königlichen Kollegen im Rest Europas war Portugals Regent: Er gründete einen neuen Orden, aber mit gleichen Ordensregeln, auch die Mitglieder blieben die gleichen und ihr Leben und ihr Besitz unangetastet, während in Frankreich, Deutschland, Italien oder Spanien die Heilige Kirche die Besitzungen der Templer an sich riss. Unter diesen Umständen zogen begüterte Menschen aus ganz Europa ins südwestlichste Land des Kontinents, das von Anbeginn seiner Geschichte im 12. Jahrhundert ein Schutzhafen für Nordeuropäer war (sie hatten ja auch bei der Gründung des Landes schon kräftig Hand angelegt). Toleranz war schon immer eines der herausragenden Merkmale des lusitanischen Landes. An der Mündung des Rio Guadiana, wo die Bodenschätze aus dem Landesinneren ins Mittelmeer oder in Richtung Nordsee verschifft wurden, hatten die Templer mitten im maurischen Feindesland diese Burg erbaut und später auch gegen Spanien verteidigt. Erst zu Zeiten Heinrichs des Seefahrers wurde der Hauptsitz des Ordens nach Tomar verlegt. Bei den Mittelalterlichen Tagen in Castro Marim, einem der schönsten Sommerfeste der Algarve, wird diese Vergangenheit lebendig. Auf der IC27 überquere ich den Staudamm der Barragem de Odeleite. Und dann: Runter zum Rio und auf der alten Uferstrasse nach Alcoutim fahrend, unterwegs die herrliche Flusslandschaft genießend, dieses breite Tal, in dem die Wassermassen des Atlantiks im Rhythmus der Zeitlosigkeit von Ebbe und Flut herrschen. Weite Orangenhaine säumen den Strom. Alcoutim selbst ist allemal einen Ausflug wert (s. ESA 9/2006). Oder man bleibt hinter der Barragem de Odeleite auf der Schnellstrasse und gelangt zu einer Eisenbrücke über die Ribeira do Vascão. Ab jetzt ist die Straße älteren Datums denn man befindet sich nun im Alentejo, wo alles gemächlich ,,calma, calma“ vor sich geht. Dennoch: Die Straße schlängelt sich, rasch befahrbar, bis Mértola dahin. Ein Juwel ist dieses Städtchen. Von den Phöniziern wurde es gegründet, die einen kleinen Hafen anlegten, war der Rio doch bis hierher dank der Flutwelle gut schiffbar. Aus dem Landesinneren (ein etwa 80 Kilometer breiter Gürtel mit Erzen voller Edelmetallen, Kupfer vor allem, aber auch Silber und Gold, reicht vom Atlantik bis zum Mittelmeer) holte man edle Metalle herbei und brachte sie auf dem Rio zum Meer. Später bauten die Römer den Hafen aus und errichteten eine Burg, die als Wachtposten auf dem Uferberg thront und unter sich Ort und Tal weiß. Rundherum wuchs das Dorf wie Ringe um einen Baum, niedrige Häuschen ducken sich ans Felsgestein, und selbst die Kirche hat etwas Geducktes an sich. Sie ist die einzige original erhaltene Moschee in Portugal. Als die Christen das Städtchen und die Burg (die Mauren hatten sie ausgebaut) anno 1238 einnahmen, zerstörten sie nicht wie andernorts das islamische Gotteshaus, sondern stellten ein Kreuz samt Altar auf, womit der Wechsel der Gottheiten vollzogen war. Interessant die Säulenkapitelle, die alle verschieden gestaltet sind. Lassen Sie das Auto unten am zentralen Plätzchen Largo Vasco da Gama stehen und schlendern hinauf zur Burg und zur Moschee. Dabei kommt man auch zur Rua Dr. Manuel Francisco Gomes und dort zur Pension Janelas Verdes. Wem ein romantisches Herzerl schlägt: Hier schläft man goldrichtig. Zwei alte Damen führen das Haus, in dem sich seit ihrer Geburt außer der Einführung von Elektrizität kaum etwas verändert hat. Hoch sind die Betten, man ,,steigt hinein“. Und kuschelig ist es und überhaupt. Dass es so etwas noch gibt! Auch essen lässt es sich bestens in Mértola. An der großen Rotunda vor der Brücke über den Rio Guadiana gibt es mehrere Restaurants, wo Einheimische verkehren; das ist immer ein gutes Zeichen. Mir gefiel es besonders im Esquina, wo Lammeintopf oder Suppe mit Flussfischen zu den (preiswerten) Spezialitäten zählen. Jetzt aber unbedingt noch auf die Brücke, will man den berühmten Schnappschuss von Mértola schießen: die Gesamtansicht des historischen Städtchens. Wechseln Sie aber auch zur Nordseite der Brücke, denn von hier zeigt sich eine der schönsten Wassermühlen des Rio-Tals. Früher gab es etliche solcher Azenhas. Diese hier erstreckt sich über die gesamte Flussbreite. Man kann die Mühle auch aus nächster Nähe sehen: An der Rotunda zur nahen Schule gehen; gleich hinter dem neuen Gebäude führt ein Weg zum Ufer. Heute ist es dort schlammig. Spuren vom Hochwasser sind unübersehbar. Gute sieben Meter war es Anfang November über den Normalpegel angestiegen! Und jetzt zieht es mich zum Pulo. Ich war vor Jahren schon einmal am ,,Wolfssprung“ gewesen und seither von diesem Naturschauspiel begeistert. Damals hatte ich mir vorgenommen: Den Pulo nach einem kräftigen Regen besuchen. Bei der Rotunda fahre ich erst einmal weiter in Richtung Beja. Nach drei Kilometern rechts abbiegen, ,,Pulo do Lobo“ ist gut sichtbar ausgewiesen. Weites Land. Früher wuchs hier viel Getreide, das die Leute mit Eselkarren zu den Wind- und Wassermühlen brachten. Alles liegt nun brach. Erstaunlich, dass bei diesem wirtschaftlichen Niedergang einer ganzen Region endlich einige Häuser renoviert werden. Vor allem die Montes, jene auf Bergkuppen situierten Landgüter, kleine, große, auch riesig große mit über 1.000 Hektar Land drumrum! Solche Güter sind die Erbschaften der von den Römern gegründeten Latifundien, mit welchen die Lateiner das unbewohnte Landesinnere der Iberischen Halbinsel zumindest punkthaft besiedelten und erschlossen. Pampa, tiefe Pampa. Etwa zehn Kilometer hinter dem letzten Abzweig komme ich zum Dorf Corte Gafo und biege Richtung Pulo ab. Noch mehr Pampa. Schirmpinien grünen satt, Olivenbäume knorren vor sich hin, sie scheinen aus der Zeit der römischen Besiedlung zu stammen. Zahllose Steineichen stehen stolz und einzeln, jede ein Schattenspender für Schafe und Rinder. Und so nähere ich mich dem Dörfchen Amendoeira. Jetzt ist die Straße zum Pulo nicht mehr geteert. Neben einem gemauerten Plan der Umgebung gehe ich ein paar Schritte zu einem Hühnengrab, einer ,,Anta“. Von hier führt ein Weg zu einer Windmühle, wo sich ein herrlicher Ausblick auf das Tal des Rio Guadiana öffnet. Sie hat einen hübschen Namen: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Dann naht ein Gatter, und dort steht auf einem Schild: ,,Eingang. Nachdem Bitte Ende das Gater eingetragen worden ist und herausgenommen wurde.“ Also öffnen, durchfahren, wieder schließen. Jetzt sind wir im Pulo-do-LoboGebiet. Hier laufen Schafe frei herum, sie stehen neben den Ruinen von Lehmhäusern, grasen neben einem Teich oder reiben sich an den vielen Zypressen, die der Landschaft einen italienischen Hauch beizaubern. Abwärts geht’s. Dann, nach einer scharfen Linkskurve, bietet sich der Ausblick auf den Pulo do Lobo. Wahrscheinlich ist dieser Wasserfall durch den Einbruch einer Höhle unterm Flussbett entstanden. Hier nun werden die eben noch behäbig daher fließenden Wassermassen von durchlöcherten Felsen wie von einem Trichter gebündelt, bis sie schäumend und gischtend, brüllend und berstend in eine Schlucht wegstürzen, und auch diese bietet einen Anblick, der dem Schöpfungsgedanken des Satans hätte entspringen können. Eine wahrhaftig gewordene Unterwelt ist es: Ein kilometerlanges totenblasses Schieferbett, in dem reißendes Wasser begraben liegt, wie ein Ungetüm, das sich in die Erde senkt, um ihr nahe und der Welt fern zu sein. In dieser mystischen Schlucht gurgelt der Rio Guadiana vier Kilometer lang an senkrecht aufsteigenden Felswänden entlang! Und so unerwartet trifft man in der Pampa auf dieses Naturschauspiel, dass einem die Worte fast vergehen. Findet man sie wieder, sollte man die Gelegenheit nützen und auf den Schieferplatten nahe zum Abgrund gehen. Aber Vorsicht ist geboten! Vorsicht zeigen indes jene Einheimischen nicht, die zu Zeiten geringer Wassermengen im Pulo hochklettern und mit der bloßen Hand Neunaugen fangen, die sich mit kräftigen Schwanzschlag im stürzenden Wasser aufwärts bewegen. Dieser kostbarste aller Süßwasserfische kommt hier immer noch recht zahlreich vor. Für die Rückfahrt ergeben sich mehrere Möglichkeiten, die im Kasten aufgeführt sind. Wie auch immer man nach Hause fährt: Man hat am Pulo do Lobo Urgewaltiges erlebt. So schnell lässt einen das nicht wieder los. Versprochen.
Anfahrt über die N124 bis Mértola, oder ab Barragem de Odeleite zum Rio Guadiana und am Fluss entlang bis Alcoutim und weiter nach Mértola. An der Rotunda am Rio Guadiana dem Schild Beja und Pulo do Lobo folgen, nach 3 km rechts abbiegen und bis Amendoeira, dann weiter zum Pulo do Lobo durch die Pampa fahren. Für den Rückweg empfehlen sich diese Alternativen: 1. 1 km südlich von Mértola Richtung Almodovar westlich abbiegen. Einsame Strecke. In Almodovar weiter nach Gomes Aires und zur IC1/Albufeira, oder südwärts nach São Bras/Loulé/Faro. 2. Bei Alcoutim westlich in Richtung Martim Longo abbiegen, einsame Strecke. In Martim Longo südlich nach Vaqueiros abbiegen und den Parque Mineiro ,,Cova dos Mouros“ besuchen. Hochinteresante Darstellung vom antiken Erzabbau und dem Ausschmelzen der Edelmetalle. Eigene Eselzucht, Ausritte sind möglich. Auskunft: Tel 289 999 229. Essen: Die Küche des Hinterlandes unterscheidet sich erheblich von jener an der Küste. Herzhafte Gerichte vom schwarzen Schwein, Süßwasserfisch, Hase, Wildschwein, Lamm. Wenige, aber in der Regel ordentliche Lokale. In Mértola gibt es mehrere empfehlenswerte, wie ,,Esquina“ an der Rotunda beim Rio Guadiana. Komplettes Menü ca. 12-15, Tel 286 611 081. Übernachtung: In Mértola ist die im Text beschriebene Pension Janelas Verdes in der Rua Dr. Manuel Francisco Gomes, 38-40 ein Schmankerl! Zimmer für zwei Personen 40 Euro, Tel 286 612 145. Wer es fein will: In Mina de São Domingos nordwestlich von Mértola befindet sich im ehemaligen Palastgebäude der Minenbesitzer (Kupfer und Gold) die Estalagem São Domingos. 31 Zimmer, gut ausgestattet, Tel 286 640 000, recepcao@hotelsaodomingos.com, an Wochentagen 120 Euro pro Doppelzimmer inkl. Frühstück. Bei 2 Übernachtungen Vollpension 82 Euro pro Person. Wein: Heißer Tipp: In Mértola gibt es einen sehr guten, preiswerten Rotwein: Bombeira do Guadiana. Zu kaufen bei Senhor Fiúza im Buchhaltungsbüro in der Rua da República 3 beim Postamt, Tel 286 612 287. Käse: In manchen Dörfern des Hinterlandes lockt guter Ziegenkäse dort, wo geschrieben steht: Vende-se queijo da cabra. Jetzt gibt es nur gereiften Käse, ab Frühling wieder frischen. Pferde: Klar, dass sich Pferdezüchter in diesem weiten Land wohl fühlen. Auch Roland Winter, der bei Corta Gafo die einzige Zucht für American Quarter Horses in Portugal betreibt; derzeit hat er etwa 40 Pferde. Ausritte und Urlaub auf dem Land, Tel 286 611 069. Patronat: Die Associação de Defesa do Património de Mértola bemüht sich um das Naturschutzgebiet des Pulo do Lobo. Ab und zu werden auch Ausfahrten mit Booten durch die ,,Unterwelt-Schlucht“ des Rio Guadiana bis hin zum Pulo-Wasserfall organisiert. Tel 286 610 000, geral@adpm.pt