Ein Ministerratsbeschluss sieht Instandsetzungsarbeiten an Portugals Küsten vor, wo der Erhalt des Landschaftsbildes bedroht ist. Dazu gehört auch die Ria Formosa. Die Rathäuser der Anrainerstädte haben dem ,,Polis Litoral“-Projekt zugestimmt, die Anwohner haben noch viele Fragen
Tragödien sollen psychologische Wirkung besitzen. Das Heldenschicksal zieht Zuschauer des klassischen Bühnenwerks in den Bann. Da passt es gut, dass die Bürgerversammlung zum regionalen Entwicklungsprogramm Polis Litoral da Ria Formosa im Stadttheater von Faro stattfand der Andrang war enorm, wobei die Zuschauer hier gleichzeitig Akteure waren: Weit über fünfhundert kamen aus Faro, Loulé, Olhão, Tavira und den der Küste vorgelagerten Inseln (ilhas-barreira) Ilha de Tavira, Culatra, Armona und Cabanas, denn es ging um ihr Schicksal: Um ihre Bleibe, ihre private und berufliche Zukunft. Nach fünf Stunden wortreichen Spektakels gaben einige Regionalpolitiker zu, sich nicht ausreichend mit dem Polis-Plan beschäftigt zu haben. Doch mittlerweile hat der Stadtrat ihn mit den Stimmen der Sozialistischen Partei PS bei Enthaltung der konservativen PSD-Opposition und gegen die Linksparteien CDU und BE beschlossen: ,,In fünf Jahren blickt Faro auf eine andere Ria Formosa“, so José Apolinário, Bürgermeister der Algarvehauptstadt und selbst in der Ria Formosa-Gemeinde Pechão bei Olhão geboren. Bis 2012 soll der Küstenstreifen der Ria Formosa bei Faro, Loulé, Olhão und Tavira ein neues Gesicht erhalten, auch die Zufahrt zur Praia de Faro wird erneuert (s. ESA 3/07). Eine Aktiengesellschaft mit 22,5 Millionen Grundkapital leitet das Projekt Polis Litoral Ria Formosa, Mehrheitsaktionär ist der portugiesische Staat. Die Stadtkasse werde geschont, da Geld aus dem EU-Kohäsionsfonds für Umwelt und Integration in die transeuropäischen Verkehrsnetze eingesetzt werde. Er steht Ländern zur Verfügung, deren Bruttoinlandsprodukt pro Kopf weniger als 90 Prozent des EU-Mittels beträgt. Der Polis-Plan für die Ria Formosa sieht die ,,Instandsetzung des Naturparks und seiner landschaftlichen Werte sowie die Aufwertung der Fischersiedlungen“ vor. Er wolle die Einheit der Region betonen, erklärt Apolinário, auch wenn die Eisenbahnlinie am südlichen Stadtrand die Ria Formosa und Faro ,,wie die Berliner Mauer“ trenne. ,,Wir sind dann die Ossis“, erwidert Sílvia Padinha, die auf der Ilha de Culatra lebt. Zwar habe Umweltminister Francisco Nunes Correia versprochen, bei der Wiederbelebung des ,,Markenzeichens der besten Strände Europas“ die Interessen der Menschen ,,voll und ganz zu wahren“. So recht glauben mag Sílvia Padinha das nicht. Auch José Vitorino, Oppositionsführer im Rat von Faro erklärte, die Abrissarbeiten auf den Inseln würden nicht nur weitergehen, sie seien sogar ausdrücklich vorgesehen. Die Insulaner fürchten, dass ihre Wohnungen vor dem Abriss stehen; als Datum wird 2009 genannt. In den Polis-Papieren seien Teile der Fischersiedlung auf der Insel Farol genannt, sowie ,,Strandhäuser auf der Ilha de Faro, die außerhalb des Bereichs stehen, der früher der Hafenverwaltung unterstand“. Dazu kommen ,,Häuser auf der Insel Culatra“.
Die Inselbewohner glauben nicht, dass die neuen Pläne den Umweltschutz der Küste gewährleisten. Schließlich sei ,,hier das Land der Träume für alle, die das große Geld im Tourismus machen wollen“. Die Menschen wollen eine Bestandsgarantie, schon aus gewohnheitsrechtlichen Erwägungen, denn die Pläne ließen vermuten, dass Vorbereitungen für große touristische Anlagen getroffen werden. Für die Infrastruktur der Inseln Culatra und Farol sind 2,4 Millionen vorgesehen, die Dünen sollen aufgeschüttet und befestigt und ein Park für Umwelt und Naturschutz bei Ludo geschaffen werden. Das alles habe ,,keinen Sinn, wenn die Menschen weg sollen“. Die Siedlung auf Culatra entstand um 1841, als Fischer sich niederließen und mit ihrer Arbeit sich selbst und die Region ernährten. Da habe ,,niemand nach Baugenehmigungen gefragt“. Doch was besteht, musste irgendwann einmal
einen Namen erhalten: Die Erben der Fischer leben in einem núcleo piscatório, ohne verwaltungsrechtlichen Status. Nun traten die Bewohner die Flucht nach vorne an. Der Anwohnerverband Associação de Moradores da Ilha da Culatra möchte, dass der núcleo piscatório als Dorf (aldeia) eingestuft wird. Die hat zwar im portugiesischen Kommunalrecht auch keine Verwaltungsautonomie, ist aber eine anerkannte administrative Einheit. So könnten die bestehenden Häuser legalisiert werden. Es sei auch ein Signal für junge Menschen, dass ihre Insel ihnen eine Zukunft bietet. Derzeit ist auf Culatra selbst das Gemeindehaus illegal. Wenn es ,,keinen Abbruch nur um des Abbruchs Willen geben soll“ (Apolinário), dürfte es nicht schwerfallen, ihre Forderungen zu erfüllen, meinen die Inselbewohner. Politiker scheuen solche Verwaltungsakte, denn wenn ,,eine Umwidmung es erleichtert, bestimmte Privilegien zu erwerben“, so könne das rasch Nachahmer finden. Entlang der portugiesischen Küste gibt es viele Dutzend der in zwei bis drei Jahrhunderten gewachsenen Siedlungen. Die Regierung möchte ,,Zweitwohnsitze“ abreißen, deren Bewohner ,,nicht ständig anwesend sind“, so der Umweltminister. Sílvia Padinha entgegnet, etwa jeder zehnte Insulaner habe eine Wohnung in Olhão oder Faro, damit die Kinder dort zur Schule gehen können. Die Inselschule auf Culatra unterrichtet nur bis zur sechsten Klasse. Niemand dürfe ,,benachteiligt werden, weil er für die Kinder das Beste wolle“. Padinha möchte aber in jedem Falle den Verkauf von Häusern an Ortsfremde verboten wissen. Nur so könne die Düneninsel vor Bodenspekulation geschützt werden. Die Insulaner wollen für ihre Fischerorte und ihr Handwerk kämpfen. Die Abwasserkanäle der Inseln sollen an die Klärwerke in Faro und Olhão angeschlossen werden, um die Sterblichkeit der Fische in der Ria zu reduzieren. Der Ausgang ist ungewiss. In der klassischen Tragödie jedenfalls können die Akteure nur sehr bedingt Einfluss auf Verlauf und Ausgang der Handlung nehmen.
Die Ria Formosa, Europas größtes Naturschutzgebiet, erstreckt sich entlang der Küste von Loulé über Faro, Olhão und Tavira bis nach Vila Real de Santo António auf einer Länge von 60 km von der Mündung des Flusses Ancão bis zum Strand von Manta Rota auf rund 18.400 Hektar. Seit 1987 steht die Landschaft aus Marschland, Dünen, Inselchen, Kanälen und Lagunen unter Naturschutz; zuvor galt sie zehn Jahre lang als nationales Naturreservat. Verschiedene Pflanzenarten sind hier zu finden, außerdem 288 Mollusken, 79 Fisch- und 214 Vogelarten insgesamt 2.500 Spezies aus Flora und Fauna.
ESA 05/08