Joana Rosa Bragança vereint die Phantasie eines Kindes und den Scharfsinn eines Erwachsenen. Auf den ersten Blick mögen ihre Illustrationen naiv erscheinen, doch bei nähere Betrachtung entdeckt man eine feine Ironi
1986 in Sagres geboren, zog sie bereits in jungen Jahren nach Olhão. Tagein, tagaus beobachtete sie die Fischer bei ihrer Heimkehr nach einer Nacht auf dem Meer und beim Ausladen des Fangs, die Hunde der Fischer und die streunenden Katzen. Den Sommer verbrachte sie auf den vorgelagerten Inseln, lief den ganzen Tag barfuß herum und spielte am Strand. Sie beobachtete die Badegäste, die während der Hochsaison aus der ganzen Welt auf den kleinen Inseln eintrafen. Solange sie sich erinnern kann, war jedoch ihr Lieblingsspiel Malen. Statt mit Puppen fanden ihre Rollenspiele auf dem Papier statt. Wie ein Cartoon. „Beim Malen und Zeichnen konnte ich mich richtig ausdrücken und fühlte mich unbeschreiblich wohl“, erzählt die 27-Jährige. Daran hat sich absolut nichts geändert. Noch heute ist Joana etwas schüchtern und ihre Sprache die der Bilder, nicht der Worte. Als Inspiration dienen ihr meistens die Erinnerungen an die glückliche Kindheit. Aber der Blick aus ihrem Atelier über die Dächer der kubistischen Stadt auf das Meer und das Licht sind für sie unverzichtbar. Ihr Zeichenbrett steht daher strategisch zum großen Fenster. Dabei zeichnet Joana keine Landschaften. Sie zeichnet Lebewesen. Genauer gesagt Menschen, Katzen und Hunde. In dieser Reihenfolge. Meistens in alltäglichen Situationen, denen sie durch kleine Details eine gewisse Lächerlichkeit verleiht. Ihre menschlichen Figuren spiegeln oft die Echtheit der Algarvios wider, vor allem die der Fischer von Olhão. Die Männer sind stets stark behaart und haben lustige, übertriebene Schnurrbärte in allen möglichen Variationen. Man könnte fast meinen, dass Rosa, wie Familie und Freunde Joana nennen, von Schnurrbärten besessen sei. Doch für sie ist es einfach eine Art, Männer und Frauen zu unter- scheiden. Fakt ist, dass sie der Körperbehaarung große Aufmerksamkeit schenkt und sogar zwei kleine Magazine dem Thema widmete: „Bonito Bigodinho“ (Schönes Schnurrbärtchen) und „My Hair“ (Meine Haare). Ein weiteres Thema, das immer wieder auftaucht, sind Badegäste. Sollte man also die Strände in der Nähe von Olhão besuchen, muss man damit rechnen, dass Joana eventuell dort sitzt und aufmerksam beobachtet. Statt moderner Bikinis und Badehosen bevorzugt sie es jedoch, altmodische gestreifte Badeanzüge zu zeichnen. Weder die Frauen noch die Männer oder die Kinder, die sie malt, sind hübsch. Sie sind eher grotesk, haben merkwürdige Gesichtszüge und tiefe Falten unter den Augen. Doch der Betrachter empfindet auf Anhieb Sympathie für sie. Seit einiger Zeit macht sie auch dreidimensionale „Stoffskulpturen“, wie Joana sie nennt, die die Verkörperung ihrer Zeichenfiguren sind. „Ich hatte den starken Wunsch, meine Figuren greifbar zu machen“. Die „Badochas“ waren 2009 ihr erster Versuch. Nun sind die Figuren nicht nur größer, sondern auch qualitativ hochwertiger geworden. In vielen ihrer Zeichnungen sind auch Pflanzen zu sehen, denn Joanna ist eine leidenschaftliche Gärtnerin und verzichtet auch nicht auf einige Blumentöpfe im Atelier. Vor einiger Zeit widmete sie den Pflanzen die Serie: „Porträts mit der Lieblingspflanze“. Derzeit zeichnet und malt die junge Künstlerin zum Thema „Menschen und Essen“. Auf dem Zeichenbrett liegt ein A3-Bild, dessen Details umwerfend sind. Während einige ihrer Zeichnungen kindlich erscheinen, sind sie durch ihre Ironie und Sexualmerkmale doch Erwachsenen gewidmet. Joana ist der Meinung, dass Illustrationen generell für alle sind, die sie mögen. Sie selbst kauft oft Kinderbücher für sich, wenn ihr die Zeichnungen gefallen. Meistens malt sie mit Aquarellfarben und Chinatusche. Ihre Vorliebe gilt jedoch den Aquarellfarben wegen der Leichtigkeit des Pinselstriches und der nötigen Präzision. „Jeder Pinselstrich bleibt sichtbar“, erklärt Joana, „Mit anderen Farben kann man kleine Fehler ausbessern oder einfach drüber malen. Mit Aquarellfarben geht das nicht. Man muss also fast zärtlich vorgehen“. Dies passt auch zu Joanas Charakter: weiblich, zart, zurückhaltend. Ihre Zeichnungen und Illustrationen sind in verschiedenen Größen als Original oder in limitierter Printauflage sowie als Postkarten und Aufkleber erhältlich. Joana versucht auch immer wieder etwas Neues wie Lesezeichen oder bemalte Stofftaschen. Studiert hat Joana Rosa in der Kunsthochschule in Évora und später besuchte sie eine Fortbildung in Lissabon. Dort erhielt sie auch ihren ersten Auftrag ein Kinderbuch zu illustrieren. Ihr Lehrer organisierte eine Art Wettbewerb, bei dem die Schüler eine Geschichte illustrieren mussten. Joanas Zeichnungen wurden von der Autorin des Kinderbuches zur Veröffentlichung ausgewählt. Bislang illustrierte sie zwei Kinderbücher: „No Reino do Rei Rufino“ (Soregra Editores, 2009) und „O pequeno Super-Homem“ (Letras & Coisas, 2011). Ihre Arbeiten wurden, zusammen mit denen von anderen Künstlern, auch in „Cabeça de Ferro“ (Imprensa Canalha) und „The Morran Book Projekt“ (Studio Morran) veröffentlicht. Zuletzt erschien „Seaside Bathers“ (Edition Lidu, 2014), ein Comic Strip mit Schwarz-Weiß Zeichnungen ihrer beliebten Sonnenanbeter, der in der Milano Design Week im April vorgestellt wurde. Joana hatte fast 20 Ausstellungen, davon fünf Einzelausstellungen. Im Ausland nahm sie an zwei teil: 2013 in Minnesota, USA, an „SMART: an exhibition of wit, ingenuity and guile“ und 2011 in Cagliari, Italien, an „Circo senza animali“. Zu ihrer noch jungen aber bereits reichen Berufslaufbahn zählt ebenfalls das Design des Covers einer Fado-CD, die von der Tageszeitung Diário de Notícias herausgegeben wurde, sowie die Gestaltung der Poster, Postkarten und CDs des Dokumentarfilms von Tiago Ferreira zum Projekt „A Música Portugesa a gostar de si“. Illustratoren haben es in Portugal nicht einfach. Erst recht nicht in der Algarve. Doch Joana Rosa Bragança ist fest entschlossen, weiterhin von hier aus ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen. „Meine Kunst umfasst Zärtlichkeit, Poesie, Humor, Einzigartigkeit, Unklarheiten, Lebewesen und andere eigenartige Dinge. Ich male, zeichne und nähe, weil es meine Leidenschaft ist, und ich hoffe, dass man dies in meinen Kreationen erkennt“, fasst sie lächelnd zusammen.
Anabela Gaspar
ESA 06/14